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Im Land der aufgehenden Tonne

In Japan wird das Mülltrennen sehr ernst genommen. Das hat mit strengen Regeln und einer achtsamen Bevölkerung zu tun

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„Hier steht noch, dass Sie auf jeden Fall den Müll trennen müssen“, sagt der Vermieter bei der Vertragsunterzeichnung. „In der Wohnung werden Sie einen Zettel mit Erläuterungen dazu finden, welcher Müll wann abgeholt wird. Wenn Sie hier dann bitte unterschreiben würden, dass Sie sich an diese Vorgaben halten?“

Wer in Japan eine Wohnung mieten will, verpflichtet sich, die Wände nicht zu beschmieren und keinen Hausfriedensbruch zu begehen – und dazu, seine Abfälle verantwortungsvoll zu entsorgen. Insgesamt acht verschiedene Müllbehälter müssen viele Haushalte in Japan managen. „Bitte binden!“, heißt es da zum Papiermüll, der am Freitag dran ist. Glasflaschen, PET-Flaschen, Dosen und Batterien sowie Plastikbehälter werden ebenfalls freitags abgeholt, haben aber jeweils eigene Tüten. Jeden zweiten Dienstag darf der nicht recycelbare Müll – zum Beispiel zerbrochenes Geschirr oder kleine Geräte – vor die Tür. Und mittwochs und samstags ist alles Kompostierbare dran. Ach ja: Auf dem Merkzettel steht noch, dass der Müll bis um acht Uhr des Vorabends vor das Haus gestellt werden muss.

So kompliziert das alles ist, erstaunlicherweise funktioniert es ziemlich gut. An den Abenden vor der jeweiligen Abholung türmen sich draußen regelmäßig die Mülltüten, die dann am nächsten Morgen verschwunden sind. Überhaupt ist es auf den Straßen im Großraum Tokio, dem mit rund 37 Millionen Menschen größten Ballungsgebiet der Welt, erstaunlich sauber.

Das japanische Wort für „schön“ bedeutet zugleich „sauber“

Dass das Mülltrennen besser klappt als in vielen anderen Ländern, hat möglicherweise auch kulturelle Gründe. Die Urreligion Shintō, nach der jeder Person und jedem Gegenstand etwas Göttliches und Schätzenswertes innewohnt, legt großen Wert auf Reinlichkeit. Und das japanische Wort für schön, „kirei“, bedeutet zugleich: sauber. Hinzu kommt, dass Regeln in Japan tendenziell stärker respektiert werden als in westlichen Ländern. Auch lästige Notwendigkeiten werden eher beherzigt, zumal dann, wenn sie dem Allgemeinwohl dienen. Das hat man auch während der Pandemie gesehen. Kaum jemand kam auf die Idee, keine Maske zum Schutz der Mitmenschen zu tragen.

Allerdings hat die Neigung zur Sauberkeit auch ihre Schattenseiten. Wer einen japanischen Supermarkt betritt, sieht in Schaumstoff verpacktes Obst, frisches Essen in Plastikboxen oder Kekspackungen, in denen noch einmal jeder Keks einzeln verpackt ist. Auf diese Weise produziert Japan laut einem Vergleich der internationalen Umweltorganisation UN Environment weltweit den zweitmeisten Plastikmüll pro Kopf hinter den USA.

Einen Großteil des Mülltrennens könnte man sich also sparen, wenn nicht so viel davon produziert würde. Zudem es am Ende nur begrenzt dem Ziel der Kreislaufwirtschaft dient. Nach offiziellen Zahlen werden zwar rund 86 Prozent des Mülls recycelt, jedoch besteht dieses Recycling bei mehr als der Hälfte davon in der sogenannten thermischen Verwertung – der Müll wird also einfach verbrannt, um Energie zu gewinnen.

Dass es in Zukunft mehr um Müllvermeidung als um Recycling gehen muss, hat auch die Regierung auf dem Zettel – und neue Gesetze erlassen. So dürfen Supermärkte nun keine Gratisplastiktüten mehr an ihre Kunden ausgeben. Und auch Unternehmen müssen bald ihren Müll trennen. Die sind darin bisher nämlich weniger vorbildlich als die privaten Haushalte.

Und dann gibt es noch traditionelle Ideale wie „Wabi Sabi“, das Imperfektion zur Schönheit erklärt und viele Japaner Gegenstände wie alte und selbst unansehnliche Teekannen wertschätzen lässt. Der Ausdruck „mottainai“, der häufig verwendet wird, bedeutet zudem so etwas wie „zu schade zum Wegschmeißen“ und erzieht zur Sparsamkeit mit Ressourcen. In Sachen Müllvermeidung gibt die japanische Kultur also noch einiges her.

Titelbild: Kyodo News Stills via Getty Images

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.