Große Euter, ruhige Gemüter: Seine Nutztiere bearbeitet der Mensch aufwendig, um möglichst leistungsstarke Fleisch- und Milchlieferanten zu bekommen. Dazu braucht er Zangen zum Schnabelkürzen, Kupiergeräte für Ringelschwänzchen, Brennstäbe für die Enthornung. Der Fotograf Timo Stammberger zeigt die Werkzeuge, ohne Blut und angstgeweitete Augen.
Was Tierschützer gruselt, ist für viele Tierwirte Alltag. Zwischen Preisdruck, Marktnormen und Existenzängsten bleibt oft wenig Platz für Tierwohl. Um „das Produkt“ Tier zu verbessern und das Zusammenleben auf engem Raum zu erleichtern, sind Eingriffe mit bleibenden Folgen üblich.
Nehmen wir das Schwein: Weil das Fleisch von Ebern ab der Geschlechtsreife einen unangenehmen Geruch und Geschmack entwickeln kann, werden männliche Ferkel in der Regel wenige Tage nach der Geburt kastriert. Der Schweinezüchter greift sich das Ferkel und schneidet ihm mit einem Skalpell die Hoden ab. Per Gesetz ist die betäubungslose Kastration nur bis zum achten Lebenstag erlaubt, auf vielen Schweinefarmen aber ist sie auch später noch Routine.
Ende 2018 wurde die Ferkelkastration ohne Betäubung für weitere zwei Jahre erlaubt
Der Tierschutz steht im Grundgesetz, bereits 2008 erklärten Bauern- und Einzelhandelsverbände, „baldmöglichst“ auf die betäubungslose Kastration verzichten zu wollen, und 2013 wurde der Ausstieg aus der Praxis im Tierschutzgesetz beschlossen. Getan hat sich seitdem nicht viel: Im November 2018 wurde die betäubungslose Ferkelkastration erneut bis Ende 2020 für zulässig erklärt. Danach sollen Ferkel nur dann kastriert werden, wenn die Schmerzen wirksam ausgeschaltet werden können.
Auf die Frage, warum sich dieser Beschluss so lange hinzog, verwies der Bundestag auf einen Mangel an „praktischen Alternativmethoden“. Nichts ist so schnell und so preiswert wie der Schnitt mit einem Skalpell. Alternativ könnten die Landwirte ihre Ferkel …
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… unter Vollnarkose kastrieren. Doch das ist bislang nur Tierärzten erlaubt. Außerdem ist das Verfahren aufwendig, und die Gerätschaften sind teuer.
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… gegen den Geruch impfen. Die Impfung dürfen Landwirte zwar selbst durchführen, sie befürchten aber, dass geimpftes Fleisch beim Verbraucher schlechter ankommt.
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… ohne Kastration oder Impfung mästen. Bei der sogenannten Ebermast bleiben die Tiere körperlich unversehrt und haben keinen Behandlungsstress. Allerdings ist Eberfleisch beim Handel weniger akzeptiert, und die Gefahr ist groß, dass die Tiere sich mit Eintritt der Geschlechtsreife in den engen Ställen bei Machtkämpfen verletzen. Um das zu verhindern, müssten sie vor der Geschlechtsreife geschlachtet werden – und würden damit weniger Profit abwerfen.
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… mit lokaler Betäubung kastrieren. Dieser sogenannte „vierte Weg“ würde den geringsten Aufwand bedeuten, weshalb Landwirte und die Industrie ihn mehrheitlich favorisieren. Allerdings sind die Betäubungsmittel dafür noch nicht zugelassen, sie schalten den Schmerz nicht verlässlich aus, und Tierärzte und -schützer zweifeln, ob den Züchtern die korrekte Injektion zuzutrauen ist.
Umsetzbar sind alle diese Verfahren. Welches sich durchsetzt, ist unklar. Bis mindestens Ende 2020 wird das Skalpell weiter im Werkzeugkoffer der industriellen Schweinezüchter bleiben.