Fünf Beispiele, wie Menschen zum Sport gefunden haben…


...durch den Wunsch, gewaltfrei zu leben

„Wenn du mit dem Boxen beginnst, dann um dich auszupowern, um Aggressionen abzubauen. Es ist der Sport, bei dem man vielleicht am besten beweisen kann, was für ein Mensch man ist: bei dieser Eins-gegen-eins-Situation im Ring. Vor etwa acht Jahren habe ich mit dem Boxen begonnen. Damals noch in Bochum, wo ich herkomme. Zu der Zeit machte ich einige Probleme: Ich prügelte mich und probierte Drogen aus. Meine Eltern bestraften mich mit Hausarrest, zum Boxen durfte ich aber weiter gehen. Jetzt lebe ich in Berlin und gehe dem Sport bei ,Boxen statt Gewalt‘ nach. Das Projekt gibt es seit etwa 14 Jahren. Wir sind mittlerweile mehr als 200 junge Boxer – einige noch Kinder, andere junge Erwachsene. ,Boxen statt Gewalt‘ wurde von dem Unternehmer und Exboxer Harald Lange ins Leben gerufen. Finanziert wird es von privaten Sponsoren. Die stecken jeden Monat etwa 10000 Euro in dieses Projekt. Dafür sind an sechs Tagen in der Woche Betreuer für uns da – darunter der langjährige Olympia-Boxtrainer Otto Ramin. Es wird hart und diszipliniert gearbeitet. Die Boxer stammen aus über einem Dutzend verschiedener Länder, in der Halle sprechen aber alle nur Deutsch, aus Respekt vor den Trainern, die natürlich alles verstehen wollen, was wir sagen. Die Trainer und Betreuer kümmern sich auch abseits der Halle um uns. Wenn einer Probleme hat, versuchen sie zu helfen. Und auch, wenn einer Probleme macht. Viele von uns sind durch Gewalttaten aufgefallen, doch die meisten, etwa 80 bis 90 Prozent, werden nicht wieder straffällig. Und wer talentiert ist, der wird gefördert. Das ist auch einer der Gründe, warum ich nach dem Umzug nach Berlin ausgerechnet hierher gekommen bin: Ich mache eine Ausbildung in einem Unternehmen, das es mir ermöglicht, Job und Sport unter einen Hut zu bringen. Mittlerweile engagiert sich auch der Sauerland-Boxstall für unser Projekt. Dort ist neben dem Weltmeister Arthur Abraham auch Faruk Shabani unter Vertrag. Als Profi ist Shabani in 13 Kämpfen ungeschlagen. Auch er hat beim Projekt ,Boxen statt Gewalt‘ angefangen.“
 

Steffen Merker, 21, ging von Bochum nach Berlin und fand dort das Projekt „Boxen statt Gewalt“.



...durch ein Video im Internet inspiriert

„Ich habe Parkour Anfang 2005 über das Internet kennengelernt. Damals hatte ich kaum Kontakt zu anderen Menschen, weil ich den ganzen Tag lang Computer gespielt habe. Parkour hat mich von einem auf den anderen Tag da weggeholt. Ich habe einfach den Rechner ausgemacht und bin rausgegangen. Parkour, das ist die Kunst der effizienten Fortbewegung ganz ohne Hilfsmittel. Der Sportler heißt Traceur. Er versucht, so schnell wie möglich vor ihm liegende Hindernisse zu überwinden, zum Beispiel Mauern und Zäune. Ein Freund und ich waren die Ersten, die das in Berlin trainiert haben. Später sind wir auf zwei weitere Traceurs gestoßen und haben unser Team gegründet. Trotzdem verstehe ich Parkour nicht als Gruppensport. Wenn ich vor einem Sprung stehe, der mir Angst macht, dann kann mir niemand dabei helfen. Heute versuche ich, vier- bis fünfmal in der Woche rauszugehen. Dann trainiere ich meistens direkt vor meiner Haustür im Wald, gehe laufen und mache Krafttraining, übe Sprünge an Bäumen und verbessere meine Technik. Zweimal pro Woche treffe ich mich mit den Jungs, zum Beispiel beim Velodrom in Berlin. Wir suchen uns oft öffentliche Plätze für die Übungen. Es kam aber auch schon vor, dass wir auf Privatgrundstücken trainiert haben, ohne es zu wissen, zum Beispiel an Bäumen vor einer Reihenhaussiedlung. Wenn die Bewohner sich gestört fühlen, dann respektieren wir das und ziehen weiter. Beim Training laufen wir bis zu sechs Stunden lang durch unsere Gebiete und inspirieren uns gegen-seitig zu neuen Sprungtechniken. Die Belastungen für den Körper sind enorm. Deshalb ist es wichtig, viele Muskeln aufzubauen, um die Gelenke zu unterstützen. Prellungen und Schürfungen kommen schon mal vor. Wenn man das Training ernst nimmt, ist Parkour aber weniger gefährlich als Fußball. Der Körper steht im Mittelpunkt. Daher rauche und trinke ich nicht und ernähre mich vernünftig. Parkour ist für mich auch eine Art Lebensphilosophie. Der Sport hilft mir, im Alltag rational an Probleme ranzugehen und ruhig zu bleiben. Ich versuche Gefahren genauso abzuschätzen wie vor einem Sprung. Auch wenn wir heute in Shows und Werbefilmen auftreten: Das ist nur ein netter Nebenerwerb. Parkour ist viel mehr – ein way of life.“
 

Betonsport: Ben Scheffler, 21 (Mitte), gründete mit Freunden das Berliner „Team ADD“.

...durch Trainer im Schulsport entdeckt

„Ich habe zurzeit ein ganz großes Ziel vor Augen: die Olympischen Spiele in China. Als eine von fünf Springerinnen habe ich die Chance, mich noch für die deutsche Mannschaft zu qualifizieren und im August in Peking dabei zu sein. Stabhochsprung mache ich schon seit der Schulzeit. Kurz nach meiner Einschulung im pfälzischen Zweibrücken haben uns zwei Trainer vom örtlichen Verein im Sportunterricht besucht, um nach Talenten Ausschau zu halten. Mit zwölf Jahren wurde ich zum Training eingeladen, und Stabhochsprung hat mir direkt Spaß gemacht, auch wenn ich bis heute nicht ganz schwindelfrei bin. Die Mischung aus den Disziplinen Laufen und Springen hat mich gereizt. Außerdem war die Sportart damals für Frauen noch ziemlich neu. Mit 14 habe ich an den ersten Wettkämpfen teilgenommen, mit 17 bin ich aber in ein sportliches Tief gerutscht. Damals stand ich kurz vor dem Abitur, und mir waren Verabredungen mit Freunden wichtiger als Wettkämpfe. Da fehlte mir die nötige Motivation. Vor vier Jahren habe ich aber einen neuen Trainer bekommen. Dann bin ich 4,10 Meter gesprungen, zwanzig Zentimeter höher als mein alter Rekord, und das trotz der zweijährigen Pause. Seitdem bin ich wieder vorn dabei und trainiere sechs- bis achtmal in der Woche, jeweils zwei bis drei Stunden. Durch meine Leistungen bekommen mein Verein und ich Fördergelder vom Deutschen Leichtathletik-Verband. Der Sport ist zu meinem Nebenjob geworden, mit dem ich mir mein Lehramtsstudium in Kaiserslautern finanziere. Beides zu kombinieren ist kein großes Problem, die Dozenten nehmen Rücksicht, wenn ich wegen Wettkämpfen häufiger als erlaubt in der Uni fehle. Allerdings wird mein Studium dadurch länger dauern als normal. Ich bin fast jedes Wochenende mit dem Stabhochsprung unterwegs. Mein neuer Sprungrekord sind 4,50 Meter. Mit dieser Höhe habe ich eine Bedingung erfüllt, um bei den Olympischen Spielen antreten zu dürfen. Ob mein Traum in Erfüllung geht, entscheidet sich aber erst bei den Deutschen Meisterschaften Anfang Juli. Da müsste ich mindestens Dritte werden. Der Druck, dort nicht zu versagen, ist hoch. Was danach passiert, darüber möchte ich mir heute noch keine Gedanken machen. Ich sehe mich in der ferneren Zukunft allerdings eher als Lehrerin, weniger als Profisportlerin. Die körperliche Belastung beim Stabhochsprung wäre mir auf die Dauer doch zu groß.“
 

Die 24-jährige Kristina Gadschiew vom LAZ Zweibrücken hofft, bald nach Peking zu fahren.




...durch den Anruf eines Journalisten

„Angefangen hat alles mit den Paralympics 2004. Damals wurde Blindenfußball im Fernsehen gezeigt. Dann riefen beim Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband, wo ich Referent bin, Journalisten an und wollten wissen, was Blindenfußball genau ist – das wussten wir damals selbst nicht. Zwei Jahre später haben wir einen Workshop organisiert. Am dritten Tag gab es das erste Spiel. Sportlich gesehen, war das der schönste Moment in meinem Leben – dazustehen und zu wissen: Das ist das erste Blindenfußballspiel in Deutschland, und du bist dabei. Viele Menschen können sich gar nicht vorstellen, wie das gehen soll, ohne dass man den Ball oder das Tor sehen kann. Wir spielen mit einem rasselnden Ball, die Verteidiger müssen voy rufen, also spanisch für ,ich gehe‘, bevor sie den ballführenden Spieler angreifen. Koordination und Verständigung auf dem Feld sind eine Herausforderung, aber gerade deshalb stärkt das Spiel mein Selbstbewusstsein: Es gibt sonst keine Situation, wo man als Blinder einfach mal drauflosläuft, ganz ohne Hilfsmittel. Diese Bewegungsfreiheit gibt mir ein anderes Lebensgefühl. Auch wenn uns Blindenfußballer einiges verbindet und jeder jeden kennt, geht es auf dem Feld zur Sache. Blindenfußball ist körperbetont, und es gibt genauso viele Fouls wie bei den Sehenden. International ist Deutschland aber noch Blindenfußballentwicklungsland. Bei der EM sind wir Siebter geworden – von sieben. Ich selbst bin kein Nationalspieler, ich wäre es gern. Aber dafür müsste ich viel mehr trainieren und auf Lehrgänge fahren. Ich bin verheiratet und habe drei Kinder. Der Preis wäre wohl, dass ich irgendwann mit einer Medaille in der Hand nach Hause komme – und der Schlüssel passt nicht mehr ins Schloss.“
 

Und dann raus aufs Feld: Reiner Delgado, 38, spielt seit vier Jahren Blindenfußball.



...durch Mama, die ihre Tochter jeden Tag zum Training fuhr

„Wenn man in Garmisch-Partenkirchen geboren ist, liegt es nahe, dass einen die Eltern auf Ski stellen, da wird man auch gar nicht groß gefragt. Ich war mit zwei Jahren das erste Mal auf Skiern. Irgendwo stand mal, dass ich das Bewegungstalent von meinem Papa geerbt hätte. Ganz falsch ist das nicht, das skifahrerische Können habe ich aber eher von meiner Mama, weil das kann der Papa nicht so gut. Was mich von Anfang an fasziniert hat, war, dass man den Sport in der Natur ausübt. Ich bin sowieso der totale Bergfan. Wenn wir um sechs Uhr früh auf dem Gletscher sind – im Sommer müssen wir so früh trainieren, weil durch die Temperatur der Schnee schnell weich wird –, das ist für mich das Größte. Die Sonne geht auf, die halbe Welt schläft noch – ein Traum. Beim Skifahren selbst ist es natürlich auch die Geschwindigkeit, die Spaß macht. Bei Abfahrtsläufen und beim Super-G muss man ja auch einen Hang zur Geschwindigkeit haben. Mit Leistungssport hat man aber von Kind auf eine Doppelbelastung. Meine Schwester und ich sind früher von der Mama an der Schule abgeholt worden, haben dann im Auto während der Fahrt die Skiklamotten angezogen, schnell was gegessen – und rauf auf den Berg. Zwischendurch hatte ich schon mal den Gedanken, dass ich aufhöre – nicht mit dem Skifahren, mit der Schule natürlich, das war in der elften Klasse. Aber meine Eltern und mein Trainer haben mich umgestimmt, zum Glück, und dann hab ich das Abitur doch noch durchgezogen. Gefördert wurde ich in jungen Jahren vom Skiclub Partenkirchen, dann war ich drei Jahre in einer Gaumannschaft, danach, so ab 14, wurde ich in den Nationalnachwuchskader aufgenommen. Jetzt bin ich im Zoll Ski Team, wegen der beruflichen Absicherung und wegen der Versicherung. Ich hatte auch schon innerhalb eines Jahres zwei Kreuzbandrisse, theoretisch kann es jeden Tag vorbei sein. Doch auch wenn ich wegen meines Sports auf vieles verzichten musste, kann ich sagen: Genau das ist das perfekte Leben für mich.“ 
 

Maria Riesch ist fünffache Junioren-Weltmeisterin. In der Skisaison 2007/2008 wurde die 23-Jährige Dritte im Gesamtweltcup.