
Partner in Crime
In unserer Reihe „Kurz war alles gut“ sammeln wir Momente des Alltags, die für das Miteinander in der Gesellschaft stehen. Hier geht es um Beistand gegen einen übergriffigen Mann
Achtung: In diesem Text geht es um Catcalling und sexualisierte Gewalt.
Es ist ein früher Abend im Herbst, ich bin Anfang 20 und in der U-Bahn auf dem Weg nach Hause. Mir gegenüber sitzt ein (sehr viel älterer) Mann und starrt mich unentwegt an. Es ist eine dieser bedrohlichen Situationen, die jeder Frau auf der Welt bekannt vorkommen dürften – ein zeitloser Klassiker sozusagen. Ich bin nervös, lasse mir aber nichts anmerken und hoffe, der fremde Blick lässt gleich wieder von mir ab, spätestens wenn ich aussteige. So wie die vielen Male zuvor.
Als ich an meiner Station aus der Tür husche, sehe ich im Augenwinkel, wie der Mann dicht hinter mir die Bahn verlässt. Mir schlägt das Herz bis zum Hals. Ich laufe schneller, er läuft schneller. Wir verlassen den Bahnsteig, und er ruft: „Bleib doch mal stehen!“ und „Du kommst mit mir nach Hause!“ Ich bin wie versteinert, laufe starr in eine Richtung, quer über einen recht belebten Platz. Ich nehme meinen Mut zusammen und schreie „Lass mich in Ruhe!“, doch er scheint unbeeindruckt, und ich werde noch panischer.
Plötzlich bleibt ein Typ, ungefähr in meinem Alter, vor uns stehen. Er bäumt sich vor dem Mann auf und sagt: „Ey, verpiss dich! Das ist meine Freundin!“ Der Respekt vor dem vermeintlichen Eigentum eines anderen Mannes ist meinem Verfolger mehr wert als mein Nein.
Er erwartet kein Dankeschön
Er bleibt stehen, entschuldigt sich sogar noch kleinlaut bei dem Fremden, bevor er zurück in den U-Bahn-Eingang verschwindet. Kurz habe ich Angst, dass ich mit dem Fremden nun ein neues Problem an der Backe habe und er jetzt irgendetwas von mir erwartet. Doch der sagt nur „Hey, trotzdem schönen Abend dir!“ und verschwindet. Er fand es offensichtlich selbstverständlich einzuschreiten und hat kein Dankeschön erwartet.
Ich denke noch manchmal über diese Situation nach, obwohl sie schon viele Jahre her ist.
In erster Linie bin ich noch immer wütend: Darüber, wie wenig mein „Nein“ im Vergleich zum Auftritt des Fremden wert war. Aber auch darüber, dass es manchmal so einfach sein kann, anderen beizustehen, und man es viel öfter machen sollte. Der Fremde musste eigentlich nur ein paar Worte sagen – die waren aber genau richtig und haben viel geholfen. Ich weiß nicht, was passiert wäre, hätte er sie nicht gesagt.
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Illustration: Lea Dohle