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Oscars so dead

Der berühmteste Filmpreis der Welt steht seit Jahren in der Kritik. Wir haben die gängigsten Vorwürfe gegen die Oscars gesammelt – und geschaut, was dran ist

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Oscars

Die Oscar-Academy ist eine fragwürdige Institution.

Wenn ein Filmstar einen Oscar gewinnt und überwältigt hinter das Redner*innenpult tritt, dann bedankt er oder sie sich meist bei „der Academy“. Aber wer steckt eigentlich dahinter? Die „Academy of Motion Picture Arts and Sciences“ wurde 1927 gegründet, die Idee kam von Louis B. Mayer, dem damaligen Studioboss von Metro-Goldwyn-Mayer. Es war der Versuch, dem von Skandalen – Morde, Drogen, Scheidungen – geplagten Hollywood ein bisschen Glamour zu verleihen und die Arbeitenden in der Industrie davon abzuhalten, Gewerkschaften zu bilden: Wer den Preis gewinnen wollte, musste Mitglied der Academy sein und durfte keiner Gewerkschaft angehören. Zu Beginn hatte die Academy 36 Mitglieder aus verschiedenen Filmgewerken. Zur ersten Oscarverleihung 1929 kamen 270 Gäste, der Eintritt kostete fünf Dollar.

Seitdem hat sich einiges getan.

Die Academy hat heute knapp 9.500 Mitglieder. Nebenbei bemerkt: Ob die sich wirklich alle Filme anschauen, bevor sie ihre Kreuze für die Preisvergabe machen, wird nicht überprüft – und von einigen angezweifelt. Wer mit auswählen darf, ist streng reguliert. Und wie so oft in Hollywood dreht sich auch hier alles um Kontakte. Wer dabei sein will, muss mindestens zwei „Sponsors“ innerhalb der Academy haben – oder man wird für einen Oscar nominiert und dadurch für eine Mitgliedschaft in Betracht gezogen. Die Academy mag also nicht gerade aus selbstlosen Motiven entstanden sein, ihre Zusammensetzung aber ist durchaus transparent. Allerdings auch sehr homogen. (Was uns zum nächsten Vorwurf bringt.)

Die Oscars sind nicht divers genug.

Bis vor knapp zehn Jahren sah die Academy laut einer Studie der „Los Angeles Times“ so aus: 94 Prozent weiß, 77 Prozent männlich und durchschnittlich 62 Jahre alt. Diese Zusammensetzung war wohl ein entscheidender Grund dafür, dass 90 Jahre vergehen mussten, bis zum ersten Mal eine Frau in der Kategorie „beste Kamera“ nominiert wurde. Oder dass in den vergangenen zehn Jahren zusammengerechnet so viele People of Color für Oscars nominiert wurden wie weiße Personen teils in einem einzelnen Jahr (um die 70).

Erst seit die Autorin April Reign 2015 die Bewegung #OscarsSoWhite über Twitter gestartet hat, tut sich etwas. Tausende neue Personen wurden seitdem in die Academy eingeladen, um sie vielfältiger zu machen. 2020 war sie bereits zu rund 33 Prozent weiblich und bestand zu 19 Prozent aus nichtweißen Personen. Diese Zahlen spiegeln immer noch nicht annähernd die Zusammensetzung der US-amerikanischen Bevölkerung wider, haben aber die Dynamik innerhalb des verstaubten Academy-Vereins verändert – und auch eine Veränderung bei den Preisträger*innen bewirkt.

Zwischen 2011 und 2020 wurden häufiger Lateinamerikaner*innen und Schwarze Personen für Oscars nominiert als je zuvor. 2020 gingen erstmals mehr Oscars an nichtweiße Personen als an weiße.

Die größte aller Veränderungen steht den Oscars aber noch bevor: Ab 2024 müssen Bewerbungen für den besten Film mindestens zwei „Vielfaltsstandards“ erfüllen. Dabei geht es zum Beispiel um die Besetzung, die Inhalte, von denen der Film erzählt, oder die Zusammensetzung des Produktionsteams. Die Oscars verändern sich also. Ob sie dabei mit gesellschaftlichen Veränderungen Schritt halten, ist aber umstritten. Und das nicht nur beim Thema Diversität.

Who cares about Hollywood?

Hollywood konnte sich lange auf seinem weltweiten Kinomonopol ausruhen. Aber die Zeiten sind nicht mehr das, was sie mal waren: Streamingplattformen gewinnen seit Jahren an Einfluss, und immer häufiger sind auch Filme international erfolgreich, die nicht aus den USA kommen. Deshalb schien es vielen zunehmend absurd, Filme von Netflix oder Amazon aus dem Oscar-Rennen auszuschließen und alles, was nicht in den USA produziert worden ist, in die Kategorie „International Film“ zu quetschen – als handele es sich dabei um ein einzelnes Genre.

In den vergangenen Jahren gab es einige wackelige Versuche der Academy, mit der Entwicklung mitzuhalten. So werden Filme, die nur bei Streaminganbietern laufen, heute nicht mehr ausgeschlossen. Das war ursprünglich eine temporäre coronabedingte Sonderregelung. Nun ist Netflix zum dritten Jahr in Folge das Unternehmen mit den meisten Oscarnominierungen. In letzter Zeit wurden außerdem immer mehr internationale Produktionen nominiert, 2020 gewann mit dem südkoreanischen Film „Parasite“ sogar eine davon den bedeutendsten Oscar für den besten Film. Ein wichtiger, aber intransparenter Schritt. Schließlich ist unklar, welche Anforderungen ein Film erfüllen muss, um es aus der Rubrik „Internationaler Film“ herauszuschaffen – und die Kategorie selbst wirkt für viele zunehmend überholt. Übrigens auch, weil der Auswahlprozess dafür fragwürdig ist. Die Länder entscheiden selbst, welchen Film sie ins Rennen schicken. So können autokratische Regime wie Russland oder China an ihrer Selbstinszenierung feilen und kritische Produktionen ausschließen.

Das will doch keiner mehr sehen!

All die Kritik schlägt sich auch in Form sinkender Einschaltquoten nieder: Die Verleihung 2021 sahen so wenige Menschen wie nie zuvor. Für die diesjährigen Oscars wurden deshalb drei große Änderungen beschlossen: Nach drei Jahren ohne offiziellen Host werden am 27. März gleich drei weibliche Comedians – Regina Hall, Wanda Sykes und Amy Schumer – die Show moderieren. Es wurde außerdem ein Publikumspreis eingeführt, bei dem über Twitter oder die Oscars-Website abgestimmt werden kann. Und die Show wurde zeitlich gestrafft, indem die Verleihung von acht weniger populären Preisen wie „Schnitt“ oder „animierter Kurzfilm“ vor der Liveübertragung  stattfinden wird – zum großen Ärger von Menschen, die in den entsprechenden Sparten und Genres arbeiten.

Die Oscars sind eine reine PR-Veranstaltung.

Lohnt sich angesichts all der Kontroversen ein Oscargewinn überhaupt noch? Die Unsummen, die Firmen für sogenannte „Oscar Campaigns“ ausgeben, sprechen jedenfalls dafür. Sie liegen zum Teil im zweistelligen Millionenbereich. Es ist eine Form von Wahlkampf: Viel PR soll dafür sorgen, dass Academy und Presse bestimmten Filmen besonders viel Aufmerksamkeit und Wohlwollen schenken.

Für Filmschaffende selbst lohnt sich eine Nominierung allein schon wegen der Goodie Bags einer Product-Placement-Marketingfirma. Die haben 2020 Geschenke im Wert von rund 225.000 Dollar enthalten, darunter eine Kreuzfahrt und ein goldener Vape-Pen. Für den Oscargewinn selbst gibt es kein Geld, spiegelt sich aber häufig in besserer Bezahlung wider, dem sogenannten „Oscar Bump“.

Auch hier gibt es allerdings einen Gender Pay Gap, wie 2010 eine Studie zeigte: Männliche Darsteller verdienten nach einem Oscargewinn im Schnitt 3,9 Millionen US-Dollar mehr, Schauspielerinnen nur 500.000 US-Dollar. Ein Oscar gilt auch nach wie vor als Boost für Kinobesuche – und seit Neuestem auch Streams. Die Oscars sind trotz viel Kritik und sinkendem Interesse also weit entfernt von der Irrelevanz. Ob Totgesagte wirklich länger leben, müssen sie aber jetzt beweisen.

Illustration: Renke Brandt

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.