OZ aus Hamburg ist so einer. Ein Typ, der vom Alter her locker Frührentner sein könnte, eine Sprüherlegende. Anfang des Jahres wurde er mal wieder zu einer Geldstrafe verurteilt, dieses Mal sollte er 1.500 Euro zahlen. Die Staatsanwaltschaft Hamburg hätte es noch lieber gesehen, wenn der Richter ihn ins Gefängnis gesteckt hätte. OZ, der mit richtigem Namen Walter Fischer heißt, ist 61, acht Jahre seines Lebens hat er im Gefängnis gesessen. Immer ging es um Sachbeschädigung durch Graffiti, Kringel, Smileys und seinen omnipräsenten "OZ"-Schriftzug. 120.000-mal soll er ihn schon gemalt haben, auf Stromkästen, Brückenpfeiler, Wände und Dächer, also eigentlich auf fast alles.Manchmal dauert es nur ein paar Stunden, bis eine frisch gestrichene Hauswand das erste Graffiti trägt. Einfarbige Flächen ziehen Sprüher an. Es gibt Stadtviertel, in denen muss man lange nach einer Fassade ohne Graffiti oder Streetart, ohne ein einziges kleines Tag suchen. Dass das so ist, liegt an Menschen, für die die Freiheit der Kunst wichtiger ist als der Respekt vor dem Eigentum. Sie verwirklichen sich, indem sie öffentliche oder private Bauwerke bemalen. Einfach so.
Kunstfreiheit ist kein Freibrief
OZ kann sich bei seinem Richter Cornelius Neree bedanken, dass er nicht wieder ins Gefängnis muss. Der Richter vom Landgericht Hamburg vertritt die Rechtsauffassung, dass man Graffiti nicht grundsätzlich der Kunstfreiheit entziehen dürfe, wie das früher vor Gericht oft entschieden wurde. Dennoch sei sein Urteil nicht als Freibrief zu verstehen, im Namen der Kunstfreiheit überall seine Tags hinzumalen. Wer Kunst machen wolle, sagt Richter Neree, müsse sich überlegen, wie er das anstelle, ohne dabei Eigentum zu beschädigen.Trotz mehrerer Verurteilungen hat OZ jedes Mal wieder zur Sprühdose gegriffen. Warum, das kann er nicht genau sagen. Was er sagen kann, ist, dass er den Beruf, den er vor langer Zeit lernen sollte, nicht mochte: Friseur. Dauerwellen und Haare färben waren nicht sein Ding, der Umgang mit Frauen auch nicht so richtig. Wenn er auf den Sprühknopf drückte, war das anders: "Da habe ich gewusst, wo ich dran bin", sagt er.
Null-Toleranz-Politik in Leipzig erhöht die Anzahl illegaler Graffitis
In Leipzig kostete die Beseitigung illegaler Graffiti zuletzt zwei Millionen Euro im Jahr. Die Zahl kommt vom Ordnungsamt, und es ist noch nicht lange her, da war diese Zahl wesentlich kleiner. Das war vor knapp zehn Jahren. Damals, 2003, beschloss die Stadt Leipzig, die weit und breit größte Fläche für legale Graffiti am Karl-Heine-Kanal zu sperren. Von einem Tag auf den anderen gingen mehr als 1.000 Quadratmeter für die Sprüher verloren, die ohne Angst vor der Polizei Kunst machen wollten.
Die Entscheidung gegen die legale Fläche fiel in eine Zeit, in der die Null-Toleranz-Politik gegenüber Graffiti in Mode kam. Ende der 1990er gab es in so gut wie jedem Dorf einen besprühten Stromkasten oder eine getaggte Bushaltestelle. Das Phänomen Graffiti habe sich über ganz Deutschland ausgebreitet, sagt Sascha Kittel, Vorstandsmitglied des Graffitivereins Leipzig. Graffiti habe einen schlechten Ruf gehabt und viele Politiker hätten darauf gesetzt, diese Kunstform so weit wie möglich einzuschränken – egal ob legal oder illegal.
Ein Grund für die restriktive Politik in Deutschland war der Erfolg der Broken-Windows-Theorie, die zwei US-amerikanische Kriminologen im Jahr 1982 aufgestellt hatten. Nach ihrer Theorie reicht ein eingeschlagenes Fenster – das namensgebende "Broken Window" – aus, um weitere Zerstörung anzuziehen. Genauso verhalte es sich mit einem Graffito, das nicht entfernt werde. Jedes Tag sei ein Zeichen dafür, dass sich niemand in der Nachbarschaft um das Viertel kümmere. So kommt ein Tag zum nächsten, mehr Fenster werden zerbrochen, mehr Müllbeutel auf die Straße gestellt. Irgendwann entdeckten dann Drogendealer und Autoknacker das Viertel für sich. Kurz: Es geht den Bach runter. Natürlich gab und gibt es Experten, die an der Theorie zweifeln.
"In Leipzig hat die Null-Toleranz-Politik genau das Gegenteil dessen bewirkt, was sich die Politiker gewünscht haben", sagt Sascha Kittel. 2004, ein Jahr nach der Sperrung der Freifläche, habe die Zahl illegaler Graffiti in der Stadt um 30 Prozent zugenommen, im Jahr darauf noch einmal um 15 Prozent. Geändert habe sich trotzdem nichts, bis heute gebe es kaum Flächen, die legal besprüht werden dürfen. Dafür ist die sächsische Großstadt in Sachen Graffiti zur Nummer zwei in Ostdeutschland geworden, mehr illegale Bilder werden nur in Berlin registriert.
Trotzdem merkt Sascha Kittel, dass die Leute toleranter gegenüber Graffiti geworden sind. 1998 fing er beim Graffitiverein an, seither, sagt er, habe sich der Blick auf die Wandbilder geschärft. Für die Leute seien Graffiti nicht mehr nur Schmierereien. Das gelte übrigens auch für die Politiker.
Freiburg setzt auf das Modell Aufklären und Putzen
In Freiburg im Breisgau hat sich 2007 eine Lobby gegen Graffiti formiert. Bürgervereine, Polizei und Malerinnung sind Teil des sogenannten Anti-Graffiti-Solidarmodels, das der Verein Sicheres Freiburg entwickelt hat. Das Modell setzt einerseits auf die Aufklärung von Jugendlichen, andererseits auf Beseitigung illegaler Graffiti in der Stadt.
Beate Hauser ist Geschäftsführerin des Vereins Sicheres Freiburg. Sie sagt: "Wir wollen ein Signal setzen, den Leuten klarmachen: illegale Graffiti sind Straftaten." Dazu gehen Unterstützer der Aktion in Schulen und Jugendzentren und erklären, dass illegale Schmierereien teuer werden können und strafrechtlich verfolgt werden. In Einzelfällen sprechen sie auch mit Eltern von Sprühern, die nicht weiterwissen. "Aufklärung ist eine kontinuierliche Arbeit, die man immer wieder leisten muss", sagt Beate Hauser.
Dass die Arbeit ihres Vereins etwas bewirkt, kann sie nicht mit Zahlen belegen. Bei Graffiti sei die Dunkelziffer sehr hoch, weil viele gar nicht angezeigt würden, sagt Beate Hauser. Trotzdem ist sie sicher, dass ihr Einsatz etwas bringt. Wichtig sei allein schon, die Bewohner aufzufordern: Kümmert euch um eure Stadt.
Dialog mit den Sprayern?
Immer im Frühling gibt es in Freiburg Aktionswochen, in denen illegale Graffiti entfernt werden. Jedes Mal steht ein anderer Stadtteil auf der Putzliste. Bevor die Maler kommen und die passende Fassadenfarbe anmischen, muss geklärt werden, wer die Eigentümer der besprühten Gebäude sind. Von ihnen brauche man eine schriftliche Genehmigung, um die Graffiti zu übermalen, sagt Beate Hauser. Sonst sei das Sachbeschädigung.
Wo man auch hinsieht: Es gibt überall verschiedene Ansätze mit dem Phänomen Graffiti umzugehen. Inzwischen ist es Konsens Graffiti im Allgemeinen als Kunstform anzuerkennen und den Dialog mit den Sprühern zu suchen. Aber auch hier gibt es Extreme. Es gibt die Sprayer, die gar nicht über legale Flächen verhandeln wollen. Sie wollen malen, wann und wo sie Lust haben. Alles andere ist kein Graffiti. Anderen wiederum geht es um Kunstfreiheit. Und der letzten Gruppe um ihre ganz persönliche Freiheit?
Alexander Krex ist freier Journalist und Autor. Nach dem Geschichtsstudium war er Werbetexter, dann absolvierte er die Deutsche Journalistenschule in München. Er kommt aus Berlin.