Autofahren in der Stadt nervt. Stoßstange an Stoßstange quält man sich durch den morgendlichen Berufsverkehr, verzweifelt suchend nach dem letzten Parkplatz – nur um nach acht Stunden Arbeit abermals im Stau zu stehen. Eine Studie des Verkehrsdatenanbieters „Inrix“ hat ergeben, dass jeder deutsche Autofahrer im Jahr 2014 etwa 39 Stunden im Stau verbracht hat. Besonders leidgeprüft sind die Menschen in Köln, der Hauptstadt des stockenden Verkehrs. 65 Stunden verbringt der Kölner im Auto, darauf wartend, dass es endlich weitergeht. Im europäischen Vergleich müssen nur die Menschen in London mit 96 Stunden und Brüssel mit 74 Stunden mehr Stillstand aushalten.

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cms-image-000047074.jpg (Illustration: Arndt Benedikt)
(Illustration: Arndt Benedikt)

Ein Grund für das Verkehrschaos: In den Ballungsraum Köln münden vier stauanfällige Autobahnabschnitte. Für Speditionen und Reisende sind der Ruhrpott und das nahe gelegene Köln ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt. Pendler aus dem Umland und der normale Stadtverkehr verstopfen die Straßen zusätzlich. Diese können eben nur eine begrenzte Zahl an Fahrzeugen aufnehmen. Wird diese Kapazität durch eine Baustelle oder einen Unfall noch reduziert, kommt es zum Stau. Manchmal entsteht der auch wie aus heiterem Himmel. Bei dichtem Verkehr genügt schon eine unbedachte Bremsung. Jedes nachfolgende Auto muss etwas stärker abbremsen. Eine selbstverstärkende Kettenreaktion, die dann erst mal zum kompletten Stillstand führt.

Verkehrsnachrichten verderben Autofahrern leicht mal die Laune, diese hier ganz besonders: Eine Entspannung der Lage auf deutschen Stadtstraßen ist auch mittel- bis langfristig nicht zu erwarten. Im Gegenteil, der motorisierte Verkehr nimmt seit Jahren zu, vor allem durch mehr Transporter und Lastwagen auf den Straßen. Die Bevölkerungszunahme in den Städten macht es nicht besser: 2050 werden laut einer Schätzung der Vereinten Nationen 9,7 Milliarden Menschen auf der Erde leben. Zwei Drittel davon in Städten. Auch in Deutschland zieht es immer mehr Menschen in die Städte.

Theoretisch könnte man die Straßen der Stadt größer und breiter machen. Doch mit neuen, dreispurigen Straßen, so das Forschungsergebnis vieler Verkehrsökonomen, wächst auch die Zahl der diese nutzenden Fahrzeuge. Schnell gibt es wieder Stau. Und wer will an einer solchen Straße noch flanieren, geschweige denn wohnen? Die bessere Option: weniger Autos. Das jedoch ist leichter gesagt als politisch umgesetzt. Es hat seine Gründe, dass der Pkw im Stadtverkehr vielerorts immer noch das beliebteste Verkehrsmittel ist – noch vor Bus, Bahn oder Fahrrad. Wie im Wohnzimmer auf vier Rädern kommen wir mit dem Auto sicher und trocken durch die Stadt.

Paradebeispiel Kopenhagen: 400 Kilometer Radwege

Fußgänger und Radfahrer sind dagegen eher vielerorts noch Randfiguren im Stadtverkehr, immer latent gefährdet, belastet und abgedrängt. Sie werden häufig übersehen, und ohne Knautschzone gehen Unfälle oftmals tödlich für sie aus. Parkende Autos auf den Radwegen, schlechte Ampelschaltungen und Baustellen machen ihnen das (Über-)Leben im Straßenverkehr schwer. Von Lärm und Luftverschmutzung ganz zu schweigen.

Ein Zukunftsmodell kann das Ausrichten der ganzen Verkehrsplanung an den Interessen der Autofahrer also nicht sein, darin sind sich Stadtplaner und Verkehrsexperten einig. Ein wichtiger Ansatz, um die Straßen zu entlasten, ist deshalb die Stärkung von Verkehrsalternativen. Kopenhagen gilt dafür als Paradebeispiel. Fast 400 Kilometer Fahrradwege durchziehen die Stadt, mehrspurig oder mit idyllischem Blick auf den Hafen. Mittlerweile fährt mehr als jeder dritte Kopenhagener mit dem Rad zur Arbeit. In Zukunft soll der Anteil auf 50 Prozent steigen. Die Stadt wirbt damit, dass jeder neue Radweg den Autoverkehr um zehn Prozent reduziere. Der Vorteil: Fahrräder sind leise, platzsparend und stoßen keine schädlichen Abgase aus.

Dazu kommt, dass der Bau eines Kilometer Straße in Deutschland zwischen 1,2 und 147 Millionen Euro kosten kann, einen Kilometer Radweg in Pflasterbauweise hingegen bekommt man laut Allgemeinem Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) schon für 134.000 Euro. Auch die wachsende Zahl von Carsharing-Angeboten könnte den Stadtverkehr weiter senken. Laut dem Bundesverband CarSharing ersetzt jedes geteilte Auto vier bis acht Pkw. Besonders beliebt sind diese Angebote bei jungen Städtern. Sie haben zwar nach wie vor hohe Ansprüche an die Mobilität, ein eigenes Auto besitzen müssen sie jedoch nicht.

Die Pläne der Stadt Augsburg schmecken der Autofahrer-Lobby nicht

Zahlen, die man offensichtlich auch in der Augsburger Stadtverwaltung zur Kenntnis genommen hat. Die bayerische Stadt ist nicht gerade ein Verkehrsknotenpunkt und landete zuletzt auf einem erfreulichen letzten Platz des Inrix-Stau-Rankings der deutschen Ballungsräume. Nur 20 Stunden pro Jahr verbringt man als durchschnittlicher Autofahrer hier im Stau. Und dennoch soll es sogar noch weniger werden mit den Autos und den Stau-Stunden. Nach dem Willen der Stadtoberen soll Augsburg bis 2020 eine Fahrradstadt werden. Im Fahrradklima-Test 2014 des ADFC landete man 2014 in der Stadtgrößengruppe > 200.000 Einwohner zwar nur auf dem 22. Platz, weit hinter der deutschen Fahrradhauptstadt Münster. Aber Augsburg lag in der Kategorie „Aufholer“ auf Platz 2, gleich hinter Wuppertal.

Das erklärte Ziel: bis zum Jahr 2020 den Anteil des Radverkehrs von 15 Prozent (2011) auf mindestens 25 Prozent steigen zu lassen – durch ein besseres Radwegenetz, wodurch das Radfahren in Augsburg zukünftig komfortabler und sicherer sein soll. Die Radstrecken hin zu den Naherholungsgebieten auf der westlichen Wertachseite werden derzeit ausgebaut. Am Bahnhof sollen weitere Fahrradstationen für Pendler entstehen. Die Stadt versprach außerdem eine bessere Räumung der Fahrradwege im Herbst und Winter. Bei der Lobby der Autofahrer sorgen solche Pläne übrigens regelmäßig für Kritik: Wenn man die Radfahrer bevorzuge, würden Fahrspuren wegfallen und Autos kämen zum Stehen. Es gäbe wieder Stau.

Birk Grüling wuchs im niedersächsischen Niemandsland auf, studierte Mathe und Kulturjournalismus in Hannover und verlor dann sein Herz an Hamburg. Als freier Journalist schreibt er aus der Hansestadt für große Tageszeitungen und Magazine über Wissenschaft und Gesellschaft.