Junge Menschen trifft die Krise besonders hart. In den zwölf Monaten nach der Lehman-Pleite ist die Jugendarbeitslosigkeit doppelt so stark gewachsen wie die im Durchschnitt aller Altersgruppen. Jeder zehnte Deutsche unter 25 sucht vergeblich nach einem Job – und doch gibt es Branchen, die aggressiv um Nachwuchs buhlen. Die Maschinenbauer tun es, die Schulen tun es und das Handwerk tut es. Sie schauen zehn Jahre in die Zukunft und wissen schon heute: Uns werden die Leute fehlen.»Die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter wird abnehmen«, sagt Steffen Kröhnert, der für das Berlin-Institut die Studie »Deutschland 2020« mitverfasst hat: »Die Chancen der heranwachsenden Fachkräfte und Akademiker verbessern sich.« Für Geringqualifizierte bringe die Bevölkerungsentwicklung hingegen kaum Entlastung. Welche Branchen langfristig besonders zukunftsfähig sind, hat die Wirtschaftsforschung Prognos herausgefunden: Neben dem Maschinen- und Fahrzeugbau finden sich Bereiche wie Logistik, Mess- und Steuertechnik, IT, Forschungsdienstleistungen und die Gesundheitswirtschaft auf der Liste. Sozialwissenschaftler Kröhnert rechnet auch Lehrer und hoch spezialisierte Handwerker dazu. Stellvertretend für ihre Branchen zeigt »fluter« sechs Berufe, in denen 2020 Bewerbermangel herrschen könnte.


Landarzt

Im Ostfernsehen war es Schwester Agnes, im Westen Dr. Mattiesen: »Der Landarzt« ist eine Ikone – ein Gott in Weiß, der durch Feld, Wald und Wiesen tuckert. Doch das Heldenleben ist hart: 50-Stunden-Wochen, Wochenend-, Not- und Nachtdienste sind ein Fall für Überzeugungstäter. Deshalb dürfte es in Zukunft ein Leichtes sein, eine Praxis in der Provinz zu eröffnen. Denn obwohl es in Deutschland immer mehr Medizinstudenten gibt, sind sie nicht unbedingt dort, wo man sie braucht. Zu viele gehen in die Großstadt, in Kliniken, ins Ausland oder wechseln den Beruf. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) warnt, dass allein in den kommenden fünf Jahren knapp 28.000 Mediziner in Rente gehen. Sie werden besonders dort fehlen, wo die Bevölkerung stärker altert: auf dem Land. So scheiden bis 2020 zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern 40 Prozent der niedergelassenen Ärzte aus. In Nordrhein-Westfalen wird daher überlegt, die Zulassung zum Medizinstudium für Bewerber zu erleichtern, die Hausarzt werden wollen. Sachsen hat einzelne Jungmediziner mit 60.000 Euro bezuschusst, damit sie eine Praxis übernehmen. »Die sogenannten Altenversorger werden stärker benötigt werden, das sind vor allem Augenärzte oder Urologen«, sagt KBV-Experte Thomas Kopetsch. Auch Hausärzte seien sehr gefragt.

Berufsschullehrer

Tritt eine Lehrerin vor die Klasse und sagt: »Guten Tag, ich bin die Lehrerschwemme. Seid ihr die geburtenschwachen Jahrgänge?« Der Witz bringt es auf den Punkt: Nur weil die Schülerzahlen sinken, gibt es noch lange nicht zu viele Pädagogen. Bis 2020 gehen laut Berechnungen des Bildungsforschers Klaus Klemm 467.000 deutsche Lehrer in Pension, es kommen aber nur knapp 300.000 nach. Schon heute ist fast die Hälfte des Kollegiums über 50. Wer Mathematik oder Informatik auf Lehramt studiert, wird sich seine Schule demnach aussuchen können – wenn er einen Master-Abschluss macht. Noch besser sind die Beförderungsmöglichkeiten an den Berufsschulen: »Viele Abiturienten wissen gar nicht, dass sich dort die gleiche Laufbahn eröffnet wie an Gymnasien«, erklärt der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, in der »Welt«. Zudem können Berufsschullehrer auch an Fachoberschulen oder Wirtschaftsgymnasien unterrichten. Der Unterricht ist deutlich praxisorientierter als am Gymnasium. Praktiker ohne Lehramtsstudium sind als Quereinsteiger willkommen. Die besten Chancen bieten die technischen und naturwissenschaftlichen Fächer, vor allem Metall- und Elektrotechnik. Nachfrage besteht aber auch in den »weichen« Fächern. Ein junger Essener Berufsschullehrer berichtet, dass an seinem Kolleg 2009 über 6.000 Stunden ausgefallen sind, »davon über 1.000 jeweils in den Fächern Sport, Politik und Religion«. 

 

Vertriebsingenieur

Nichts ist so teuer wie ein fehlender Ingenieur. Pro Jahr erwirtschaftet er das 1,7-fache eines durchschnittlichen Arbeitnehmers, hat das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) errechnet. Doch während bis 2020 fast eine halbe Million Ingenieure in den Ruhestand gehen wird, bilden die Hochschulen zu wenig Nachwuchs aus. Das kostet Deutschlandjedes Jahr mehrere Milliarden Euro. Das Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) prophezeit bis 2020 eine Lücke von etwa 380.000 Ingenieuren. Ganz besonders gesucht werden aller Voraussicht nach Bauingenieure, Verfahrenstechniker und Maschinenbauer. Noch gefragter sind Alleskönner wie der Vertriebsingenieur. »Es gibt einen sehr hohen Bedarf an Wirtschaftsingenieuren, die die Schnittstelle zwischen Entwicklung, Verkauf und Beratung besetzen können«, sagt Carola Feller vom Maschinenbau-Verband VDMA. Die Kenntnis maßgeschneiderter Spezialmaschinen in Kombination mit sozialer Kompetenz ergäben einen »extrem anspruchsvollen Beruf«, für den zunehmend Bewerber fehlen. Denn solange eine Sonderanfertigung in einer Werkhalle steht, muss sie gewartet werden – und sichert den Vertriebsprofis den Job.

»Nurse« – der Pflege-Alleskönner

Wie war das noch im Englischunterricht? »Nurse« = »Krankenschwester«. Dabei stimmt das nicht mal zur Hälfte. Denn die Berufsbezeichnung »nurse« umfasst alle Pflegeberufe – und beide Geschlechter. Mangels eines besseren Ausdrucks könnte es in Deutschland bald sehr viele Nurses geben. Die bisherigen Berufsbilder Krankenpfleger, Kinderkrankenpfleger und Altenpfleger sind überholt. Laut Koalitionsvertrag sollen sie bald in einer modernisierten Ausbildung zusammengeführt werden. »Gebraucht werden Generalisten«, sagt Johanna Knüppel vom Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK). Der Zukunftsforscher Matthias Horx nennt den neuen Job »Krankenschwester 2.0«. Er glaubt, dass immer mehr Krankenschwestern die Aufgaben von Hausärzten übernehmen werden: »Es entsteht eine Mischform aus Arzt, Pfleger und Medizintechniker.« Gebraucht werden sie dringend. Die Zahl der Pflegebedürftigen wird in den Jahren ab 2020 von heute rund 2,4 Millionen auf über drei Millionen ansteigen. Der DBfK ist daher überzeugt: »Allein500.000 Pflegefachkräfte müssen in den kommenden 20 Jahren zusätzlich qualifiziert werden. Der Verband warnt aber auch: »Pflege ist ein harter Beruf«, Schichtarbeit und körperliche Anstrengung gehören dazu. Zum Trost gehöre die »Krankenschwester« aber noch immer zu den Berufen mit dem höchsten Ansehen.

Produktionstechnologe

Neue Berufe entstehen genau dann, wenn sie gebraucht werden. Der 2008 ins Leben gerufene »Produktionstechnologe« wurde offenbar dringend gebraucht. Deutschlands Maschinenbau ist schließlich Weltspitze. Es fehlen nicht nur Ingenieure, sondern auch Facharbeiter. Als »Mechatroniker für Fortgeschrittene« vereint das neue Berufsbild nicht nur Mechanik und Elektronik miteinander, sondern schließt die Weiterbildung zum Prozessexperten gleich mit ein. Das heißt, dass der Mechatroniker Produkte von der Entwicklung über die Fertigung bis hin zur Lieferung begleitet. Sein Alltag besteht nicht nur aus Fräsen, Montieren oder Programmieren. Vielmehr arbeitet er eng mit den Entwicklern, Konstrukteuren und Kunden zusammen, kann sogar kreativ in die Arbeitsabläufe in der Fabrik eingreifen. Carola Feller vom VDMA ist überzeugt: »Das kann kein anderer Beruf bieten.«

Anlagenmechaniker

»Es muss nicht immer Hip-Hop sein, mach doch mal Metal!« Mit betont jugendlichen Slogans wirbt das Handwerk um Nachwuchs. Der Berliner Zukunftsforscher Steffen Kröhnert kennt den Grund: »Handwerk kann nicht globalisiert werden, es wird vor Ort gebraucht.« Das Bundeswirtschaftsministerium rechnet bis 2020 mit einem zusätzlichen Bedarf von 1,8 Millionen Fachkräften. »Besonders stark betroffen« sei das Handwerk. Fehlen werden allerdings nicht die guten alten Rohrklempner, betont der Handwerksverband ZDH, sondern Hightechfachkräfte. Wachstum versprechen Angebote, die auf eine alternde Bevölkerung zugeschnitten sind, zum Beispiel Treppenlifte oder seniorenfreundliche Bäder. Auch umwelttechnische und energiebezogene Berufe böten »sehr gute Berufsaussichten«, sagt Klaus Hahne vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB). Von diesem Milliardenmarkt profitieren laut Handwerkssprecher Alexander Legowski auch »Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik«: Sie können Häuser nicht nur klimafreundlicher gestalten, sondern auch seniorengerechter machen – wenn sie sich für den richtigen Ausbildungsbetrieb entschieden haben.