Die demilitarisierte Zone zwischen Süd- und Nordkorea ist für Botaniker eines der spannendsten Gebiete der Erde. Seit der Koreakrieg 1953 faktisch beendet wurde, seit mehr als 60 Jahren, ist aus diesem vier Kilometer breiten Streifen fast wieder ein Urwald geworden. Doch diese Ruhe wird immer dann gestört, wenn es zwischen beiden verfeindeten Staaten politisch schwierig wird.

Dann schallt eine helle Frauenstimme über die grüne Hölle, so laut, dass sie nachts viele Kilometer weit in Nordkoreas Landesinnerem zu hören ist. Die Stimme kommt aus neun Meter hohen Lautsprechern, die aussehen wie Flutlichtmasten im Fußballstadion, mit vielen urwaldgrünen Megafonen statt Scheinwerfern. Es klingt etwas blechern, aber die Stimme ist eindringlich, wenn sie zum Beispiel sagt: „Liebe Nordkoreaner, es ist normal, persönliche Gedanken und sogar Geheimnisse zu haben, aber eine Diktatur wie die, in der ihr lebt, wird versuchen, eure persönlichsten Gedanken zu kontrollieren.“

„Soldaten! Verschwendet nicht eure wundervolle Jugend und rebelliert!“

Diese ungewöhnliche Form der psychologischen Kriegsführung hält sich hartnäckig bis heute. Weil südkoreanisches Fernsehen im Norden nicht gesehen werden kann, versucht der Süden auf verschiedene Arten, Nachrichten aus der freien Welt in das abgeschottete Land zu tragen: DVDs, USB-Sticks und seit Neuestem kleine Speicherchips mit TV-Serien werden unter Lebensgefahr über China ins Land geschmuggelt. Parallel wirft der Süden auch immer diese grünen Lautsprecher an, die an 21 Stellen an der Grenze aufgestellt sind.

Die Lautsprecher laufen nicht permanent, sondern zwei bis sechs Stunden täglich, aber zu unterschiedlichen Tages- und Nachtzeiten. Ausgestrahlt werden Diskussionen über Demokratie, Nachrichten aus dem Norden und Süden – und der Wetterbericht. Zwischendurch plärrt der Sänger Psy den weltweit berühmten YouTube-Hit „Gangnam Style“ in die Landschaft („Hey, sexy lady!“). Oder die K-Pop-Band Big Bang singt ihren berühmtesten Song „Bang Bang Bang“. Im Text gibt es ausgerechnet die Zeilen: „Keiner bewegt sich! Ich setze alles in Brand! Ich nehm dich mit. Bang bang bang!“

 

Der Erfolg dieser Maßnahmen ist umstritten. Von den mindestens 27.000 Flüchtlingen, die es vom Norden in den Süden geschafft haben, gibt es aber einige, die sagen, sie hätten über die Lautsprecher erfahren, wie das Leben außerhalb Nordkoreas aussieht. Zumindest inspiriert worden seien sie von den Meldungen. Cheong Seong-chang, südkoreanischer Wissenschaftler, sagt, dass die Lautsprecher dem Norden ein Dorn im Auge sind, aber nicht wegen der Dörfer in Grenznähe. „Es geht vor allem um die Moral der Soldaten, die an der Front eingesetzt sind.“ Deshalb spricht die Frauenstimme diese auch mal direkt an: „Soldaten! Verschwendet nicht eure wundervolle Jugend und rebelliert!“

Als der Süden die Lautsprecher erneut zum Einsatz brachte, abtwortete der Norden, indem er sie beschoss

Ursprünglich wurden die Lautsprecher im Jahr 1962 installiert, so argumentiert zumindest der Süden, um ganz ähnliche Lautsprecher aus dem Norden zu übertönen. In den Jahren darauf gab es immer wieder Abkommen, die zeitweise zur jahrelangen Abschaltung führten. Zuletzt wurde eines dieser Abkommen für nichtig erklärt, als 2015 Landminen an der Grenze zwei Soldaten aus dem Süden schwer verletzten. Einer verlor beide Beine. Die Lautsprecher wurden geputzt, wieder angeschlossen und begannen erneut, Nachrichten in den Norden zu senden. Der antwortete dieses Mal ebenfalls aggressiv und beschoss einige der Lautsprecher. Der Süden ließ darauf zehn neue zu den ohnehin schon vorhandenen elf aufstellen.

Die sind jedes Mal dann im Einsatz, wenn Kim Jong-un wieder einen Raketentest oder eine andere Provokation gestartet hat. Darüber berichten dann Journalisten, was dem Verteidigungsministerium nicht immer gefällt, weil sie von „Propaganda- Lautsprechern“ schreiben. So ging deshalb vor einiger Zeit ein Schreiben bei sämtlichen Auslandskorrespondenten in Seoul ein mit der Bitte, sie sollten doch bitte die Lautsprecher anders nennen, nämlich: „Stimme der Hoffnung“. Schließlich würden durch diese meterhohen Anlagen Menschen mit den Nachrichten der freien Welt versorgt.

Doch der Diktator wird eben darin auch gern einmal „kindisch“ oder „zurückgeblieben“ genannt. Schließlich bezeichnete der Norden die letzte Präsidentin Südkoreas in seiner Presse regelmäßig als „Hure der USA“. Aber am 38. Breitengrad in Korea sind neutrale Sätze Mangelware. Auch dieser Satz hallte neulich über die Urwaldgrenze: „Kim Jong-uns inkompetentes Regime versucht die Welt mit absurden Lügen zu hintergehen.“

Unter den größten Wirbeltieren, die ungestraft zwischen beiden Grenzen hin- und herwechseln, sind übrigens Otter. Sie gelten als sehr scheu, raubsüchtig – und haben ein sehr gutes Gehör.

Titelbild: picture alliance/dpa