Im Frühjahr 2002, Deutschland diskutierte noch über die Ergebnisse der letzten PISA-Studie, arbeitete Heike Schettler an der Zukunft. Die Zukunft hatte viel zu tun mit den Fragen ihres damals vier Jahre alten Sohnes Christoph. Der interessierte sich sehr für die Natur, seine Neugier blieb im Kindergarten aber oft ungestillt. Was ist Luft? Warum ist der Himmel blau? Gemeinsam mit einer anderen Mutter und späteren Geschäftspartnerin, deren drei- und vierjährige Söhne ebenfalls häufig mit unbeantworteten Fragen aus dem Kindergarten nach Hause kamen, dachte sie sich ein privates Kurssystem aus. Das Ziel: Kindern im Alter von vier bis zehn Jahren Chemie, Physik und Biologie in der Freizeit spielerisch nahezubringen. „Wir wollten die Kinder ermutigen, ihre Umwelt in Frage zu stellen und selbst Lösungen zu finden“, erklärt die 40-jährige Diplom-Chemikerin aus Starnberg bei München. Wie entsteht ein Regenbogen, warum kann eine Rakete zum Mond fliegen? Zusammen mit Kindern begann Heike Schettler, in altersgerechten Experimenten nach Antworten auf diese
Fragen zu suchen und das Interesse an Technik und der Natur zu fördern. Schnell stellte sie fest, wie viele andere Eltern auch Interesse an einer solchen Förderung für ihreKinderhatten. Innerhalb weniger Wochen entwickelte sich die Initiative zweier Mütter zu einem ernsthaften Geschäftsvor haben. Heike Schettler entschloss sich, ihre Technologie-Beratungsfirma aufzugeben, und gründete 2002 gemeinsam mit ihrer Geschäftspartnerin das Unternehmen Science-Lab. Dass bis heute rund 10 000 Kinder in ganz Deutschland von Science-Lab profitieren konnten, ist auch Ashoka zu verdanken.

Die 1980 vom US-Amerikaner Bill Drayton, einem ehemaligen McKinsey-Berater, gegründete gemeinnützige Organisation fördert „weltweit Menschen, die neue Konzepte für gesellschaftliche Pro- bleme finden“, erklärt Konstanze Frischen, Geschäftsführerin von Ashoka Deutschland. Der Name Ashoka geht zurück auf einen indischen Herrscher des 3. Jh. v. Chr., der für seine Sozialreformen bekannt ist. Gesucht werden nicht einfach Idealisten, erst recht keine Sozialromantiker. In das Stipendiaten-Programm wird nur aufgenommen, wer bereit ist, seine Ideen für die Lösung gesellschaftlicher Probleme dem Prinzip der Marktanalyse zu unterwerfen: Welche Anbieter existieren bereits?Welche Bedürfnisse decken sie ab? Woran besteht weiterhin Bedarf? Wie lässt dieser sich so decken, dass möglichst viele Menschen davon profitieren können?

Schettler konnte sich nicht bei Ashoka bewerben. Die Organisation sucht selbst nach Menschen mit Ideen und fordert diese dann zu einer Bewerbung auf. Nur ein Prozent der Anwärter wird als Social Entrepreneur, als Sozialunternehmer, aufgenommen. Wer das Aus- wahlverfahren übersteht, erhält neben Beratung und dem Zugang zu einem weltweiten Netzwerk vor allem finanzielle Unterstützung.

Ashoka übernimmt die Kosten für den Lebensunterhalt, so kann sich der Fellow in den folgenden drei Jahren ganz auf sein Projekt konzentrieren. Die Mittel stammen von privaten Stiftungen und Privatpersonen. Rund 2000 Social Entrepeneurs in über siebzig Ländern sind bislang in den Genuss der Ashoka-Unterstützung gekommen, davon außer Schettler nur sechs in Deutschland. Der bekannteste unter ihnen ist Muhammad Yunus, der 2006 mit dem Friedensnobelpreis geehrt wurde. Ohne Hilfe von Ashoka hätte die von ihm 1983 gegründete Grameen Bank, die Mi- krokredite an Bedürftige vergibt, vielleicht nie die Entwicklungshilfe revolutionieren können. Nachhaltigkeit in dieser Form strebt Ashoka bei jedem Projekt an. Daher werden keine Stipendien für den Bau von Krankenhäusern vergeben, sondern für Projekte wie Science-Lab, die eine grundlegende Neuerung versprechen.

Heike Schettler und ihre Partnerin wollen ihr Engagement in den nächsten Jahren auf Kindergärten und Grundschulen ausweiten. Schon heute beschäftigen sie zwölf Teilzeitkräfte. „Wenn wir im staatlichen Bildungssystem Unterstützung finden,werden daraus vielleicht Vollzeitstellen“, hofft Schettler. Die Erfolgsbilanz von Ashoka legt nahe, dass es klappen könnte: Neun von zehn Ideen von Ashoka-Stipen- diaten werden von anderen Organisationen oder staatlichen Institutionen aufgegriffen und weiterentwickelt. Heike Schettler führt diesen Erfolg darauf zurück, dass Ashoka nach professionellen Unter- nehmern sucht, die am Markt bestehen können. „Der einzige Unterschied zwischen kommerziellen Anbietern und uns ist, dass wir nicht nach maximalem finanziellem Profit streben, sondern nach dem größtmöglichen Nutzen für die Gesellschaft.“