Thema – Ukraine

Suchen Newsletter ABO Mediathek

Trotzdem leben

Acht Jahre Krieg und russische Propaganda: ein Blick in den Donbas, in Wort und Bild

Trotzdem leben

Schon 2014 besetzten prorussische Separatisten Teile des Donbas im Osten der Ukraine. Es folgten Jahre des Terrors gegen die Bevölkerung, bis heute ist der Donbas umkämpft. Stanislaw Assejew gelang es trotz der Besetzung, als Journalist regelmäßig über das Leben in der zerrütteten Region zu berichten – vor allem aus seiner Heimatstadt Donezk. Seine Reportagen brachten ihn wegen des Vorwurfs der Spionage im Jahr 2017 in ein Gefängnis der Separatisten. 2019 kam er frei. Wir zeigen Auszüge aus seinen Berichten, dazu Bilder des britischen Fotografen Christopher Nunn, der bis 2021 im Donbas war

„Natürlich denke ich nicht ständig an den Tod oder an die Gefahr, in einen Folterkeller verschleppt zu werden. Aber sobald ich auf ukrainischem Hoheitsgebiet bin, merke ich, dass diese Gedanken in Donezk latent immer da sind, wie auch der Krieg ständig über den leeren Parks schwebt. Das ist eine grundsätzlich andere psychologische Erfahrung. Natürlich gibt es auch in Kramatorsk Kriminelle, ich kann auch hier überfallen und sogar umgebracht werden. Aber in Donezk ist das an der Tagesordnung, und niemand wird bestraft, es sei denn, der Betroffene hat die nötigen Beziehungen nach oben.“

Ein Junge fischt im Fluss Krywyj Torez nach Flusskrebsen

Ein Junge fischt im Fluss Krywyj Torez nach Flusskrebsen

Ein Junge fischt im Fluss Krywyj Torez nach Flusskrebsen

Ein kaputter Spielplatz in Pokrowsk

Ein kaputter Spielplatz in Pokrowsk

Ein kaputter Spielplatz in Pokrowsk

„Die militärisch-patriotische Erziehung der Jugend ist ein zentrales Anliegen der Oberen, den Kindern werden die Ideale der ,Russischen Welt‘ und der Hass gegen alles Ukrainische eingeimpft. Diese ideologische Arbeit durchzieht alle Bildungseinrichtungen. (…) Außerdem gibt es noch die ,Akademie des Innenministeriums‘. (…) In dieser Akademie werden nicht nur die Führungskader für das gesamte Polizeisystem ausgebildet, auch Verhörmethoden und Methoden der Informationsbeschaffung sind Bestandteil der Ausbildung. Damit die heute 17- bis 20-Jährigen mit den Methoden vertraut sind und die Repressionen fortsetzen können.“

„Das Problem wird zur Gewohnheit, die Gewohnheit zur Norm,
in der das Getto dein Zuhause ist“

„Ein Junge wie du und ich, mit einem netten Lächeln. Um die 20, braun gebranntes Gesicht, Blutergüsse unter den Nägeln, keine unübliche Verletzung bei den hiesigen Arbeitern. Das ist Andrij aus Makijiwka. Vor dem Krieg sang er die Songs von BoomBox mit und arbeitete auf dem Bau. 2014 ist er auf die russische Linie eingeschwenkt, hat eine Tarnuniform angezogen und lächelt seitdem viel seltener. Sein Kumpel Serhij war auch ein einfacher Arbeiter und in Bezug auf die Politik genauso naiv wie Andrij. Im Sommer 2014 ging er an die Front und geriet in die Schlacht um Ilowajsk. Seitdem hat er Albträume. Später kam ein dritter Bekannter dazu – Anton. Vor dem Krieg war er im Knast. (…) Als Anton aus dem Knast raus war, hat er kurze Zeit gearbeitet, aber relativ schnell gecheckt, dass er mit kostenloser Verpflegung, einem ordentlichen Schluck und einer Knarre in der Hand besser wegkommt als mit dem mickrigen Gehalt als Bergmann.“

15.8-2017-ukraine-4.jpg

Ukrainische Soldaten nehmen an einem Ritual teil

Ukrainische Soldaten nehmen an einem Ritual teil

Bei einem Bauern in der Donezk-Region

Bei einem Bauern in der Donezk-Region

Bei einem Bauern in der Donezk-Region

Ein junger Bergarbeiter und seine Freunde in Pokrowsk

Ein junger Bergarbeiter und seine Freunde in Pokrowsk

Ein junger Bergarbeiter und seine Freunde in Pokrowsk

In der Nähe von Toretsk

In der Nähe von Toretsk

In der Nähe von Toretsk

„Die meisten Einheimischen sind sehr genügsam. Ihre Bedürfnisse gehen nicht über ihr alltägliches Leben hinaus. Am meisten profitieren die hiesigen Rentner. Viele beziehen sowohl eine ukrainische als auch eine russische (,republikanische‘) Rente, und bis vor Kurzem erhielten sie auch Lebensmittelpakete. Die Glotze und 50 Jahre Sowjetunion haben sie davon überzeugt, dass auf der anderen Seite Faschisten leben, die sie im Zweiten Weltkrieg nicht alle erwischt haben. (…) Hier sind russische Rubel im Umlauf, es werden Sozialleistungen aus Russland ausgezahlt, hier herrscht das russische Machtmodell: billige Wurst und Folterkeller.“

„Im Donbas herrscht das russische Machtmodell:
billige Wurst und Folterkeller“

„Die Propaganda verfolgt zweierlei Ziele. Zum einen wird die sowjetische Vergangenheit kultiviert, insbesondere der Sieg im Zweiten Weltkrieg. (…) Man zieht eine Parallele zwischen den heutigen Kämpfern und den Soldaten, die in den 1940er-Jahren für die Befreiung des Donbas gekämpft haben. Auf riesigen Plakaten, die sich oft über die ganze Wandfläche eines Hochhauses erstrecken, sieht man Fotos von sowjetischen Soldaten, die ihre Frauen umarmen. Und auf derselben Wand, etwas weiter unten, das gleiche Bild mit Kämpfern von heute. Und die Überschrift: ,Wir haben damals gesiegt und werden auch jetzt siegen.‘“

20.2-2018-ukraine-141.jpg

Geburtstagsfeier in der Donezk-Region

Geburtstagsfeier in der Donezk-Region

Oleksandr Wassyljowytsch

Oleksandr Wassyljowytsch

Oleksandr Wassyljowytsch hat früher in einem Kraftwerk gearbeitet. Er lebt in Schtschastja

„Dass man tiefer im Sumpf versinkt, je mehr man strampelt, weiß jeder. Die ,VRD‘ (Volksrepublik Donezk) wird oft mit einem Sumpf verglichen, doch kaum jemand merkt, dass es die ukrainische Macht ist, die dem Versinken kräftig Vorschub leistet. Alle Hindernisse, die die Ukraine für die besetzten Gebiete errichtet, führen am Ende nur dazu, dass sich die Menschen mehr mit dem neuen System identifizieren. (…) Die Sperrstunde wird Normalität, wenn ein Fahrstuhl explodiert, denkt man: Das geht ja nun schon drei Jahre so. Das Problem wird zur Gewohnheit, die Gewohnheit zur Norm, in der das Getto dein Zuhause ist.“

Aus dem Ukrainischen übersetzt von Claudia Dathe und Sofiya Onufriv.

Die Zitate stammen aus Stanislaw Assejews Buch „In Isolation“ mit Texten aus dem Donbas, erschienen im Verlag edition.fotoTAPETA Berlin.

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.