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Das Weben der anderen

Für ihre neuen Kollektionen kopieren Modefirmen Stoffmuster von indigenen Gruppen. Die Schöpfer gehen meist leer aus. In Guatemala wehrt sich eine Gruppe Frauen gegen den Designdiebstahl

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Mit 18 hätte Angelina Aspuac ihre Kleidung am liebsten weggeschmissen und sich in der Masse versteckt. Seit einigen Monaten lebte sie damals in Guatemala-Stadt, um dort eine Ausbildung zur Sekretärin zu machen. Mit ihren Lehrbüchern unterm Arm lief sie die Straße entlang, wie jeden Tag trug sie eine bunt gemusterte Bluse, als ihr ein Mann aus einem Busfenster hinterherrief: „Hey Maria, was willst du denn mit den Büchern? Du solltest auf dem Markt sein und Gemüse verkaufen.“ Angefeuert vom Gelächter der anderen Passagiere hörte der Mann nicht auf zu spotten. 

Der Name „Maria“ wird in Guatemala als abwertender Begriff für indigene Frauen verwendet, die oft sogenannte Huipiles tragen, von Hand gewebte bunte Blusen, und deren Muttersprache nicht Spanisch ist, sondern eine der rund 20 Mayasprachen. „Maria“ – das steht in Guatemala bis heute für „arm“, „ungebildet“ und „rückständig“. Es ist Ausdruck eines tief sitzenden Rassismus gegen die indigene Bevölkerung des Landes. Gegen Menschen wie Angelina, die zur indigenen Gruppe der Maya-Kaqchikel gehört.

Wem gehören die Stoffmuster? Und wer darf sie tragen?

Heute ist Angelina 43 Jahre alt und in Guatemala eine Berühmtheit. Zeitungen aus der ganzen Welt haben über sie berichtet, mehrere Tausend Menschen folgen ihr auf Facebook und Instagram, auf YouTube findet man Filme über sie. Der Grund für diese Bekanntheit ist ein Video, das im Juni 2016 online ging. Darin sieht man Angelina, eine kleine Frau mit glatten schwarzen Haaren, im Saal von Guatemalas Oberstem Gericht. Sie trägt ein gewebtes Oberteil voller Muster und Farben, hinter ihr warten Hunderte indigene Frauen darauf, dass sie anfängt zu sprechen. „Wir indigenen Frauen arbeiten jeden Tag hart – aber was bekommen wir dafür? Nichts. Wir sind deshalb hierhergekommen, um den Schutz unseres kulturellen Eigentums zu fordern“, sagt Angelina. Als kulturelles Eigentum sehen die Frauen ihre Webarbeiten an, die eng mit der Mayakultur verbunden sind.

Denn obwohl sie von der Gesellschaft stark diskriminiert werden – die bunt gewebten Stoffe indigener Weberinnen sind nicht nur in Guatemala beliebt. Globale Modeunternehmen wie H & M verkaufen Kleidung, Schuhe und Handtaschen mit Ethno-Mustern, Zalando vertreibt Ethno-Kleider, und selbst das Dessous-Label Victoria’s Secret verwendete die bunten Muster, für die Angelina Aspuac einst ausgelacht wurde – und um die seit einigen Jahren ein Kampf tobt, der sich um viele Fragen dreht: Wem gehören diese Muster, und wer darf sie tragen? Und wer verhindert, dass sie einfach nachgemacht werden?

„Sie stehlen unsere Muster und verdienen Millionen damit“

Der Ursprung des Streits lässt sich zurückdatieren auf das Jahr 2009, als einige Weberinnen in Guatemala Besuch von zwei Designerinnen – eine davon aus Italien – bekamen, die sich sehr für Stoffe und Muster interessierten. Wenige Wochen nach diesem Besuch erhielten die Weberinnen einen Brief: Die Frauen hatten ein Patent auf die Muster angemeldet, die sie in Guatemala kopiert hatten. Die indigenen Frauen sollten sie nicht mehr verwenden. „Das war wie ein Alarm. Plötzlich wurde uns klar: Sie stehlen unsere Tradition“, erinnert sich Angelina. Verzweifelt wandten sich die Frauen damals an den Staat, doch es dauerte lange, bis der sich mit dem Schutz der Indigenen beschäftigte.

Erst Mitte 2016 reichte Angelina im Namen der Organisation AFEDES, die sich für die Rechte der Indigenen einsetzt, Beschwerde beim Verfassungsgericht in Guatemala-Stadt ein. Der Staat müsse die Webkunst der Indigenen gesetzlich schützen, so lautete die Forderung.

Auf der einen Seite des Konflikts steht die internationale Modeindustrie, deren Vertreter darauf verweisen, dass sie sich von Modeideen aus der ganzen Welt inspirieren lassen und die Verwendung sogar ein Zeichen der Wertschätzung sei. Auf der anderen Seite stehen Frauen wie Angelina Aspuac, die die Konzerne anklagen: „Sie stehlen unsere Muster und verdienen Millionen damit, aber wir haben kaum genug, um zu überleben.“

Viele Frauen hörten im Bürgerkrieg auf zu weben

Die Tradition der Huipiles existiert seit vielen Jahrhunderten in Mittelamerika. Manche erinnern an Blusen, andere reichen wie eine Tunika bis zu den Knien. Es gibt Huipiles, die sich innerhalb einer Woche weben lassen, an anderen arbeiten die Weberinnen bis zu einem Jahr, abhängig von der Komplexität der Muster. Sie sind es, die die Huipiles zu etwas Besonderem machen. Manche dieser Muster werden seit Jahrhunderten überliefert, andere neu entwickelt. Sie dienen nicht nur der Ästhetik, sie sollen auch ein Spiegel der Umwelt sein, eingebettet in die Vorstellungen der Mayakultur. „Die Konzerne interessieren sich nicht für die Bedeutung der Muster. Es geht ihnen nur ums Geld“, sagt Angelina.

Dabei wäre die Tradition des Musterwebens beinahe verschwunden. Bis Mitte der 1990er-Jahre wütete in Guatemala ein Bürgerkrieg. Damals wurden vor allem indigene Gruppen aus ihren Dörfern vertrieben, und immer wieder kam es zu Massakern. Viele Frauen hörten deshalb auf zu weben und die Huipiles zu tragen, um nicht als Indigene aufzufallen. Es war nicht nur das Sterben eines uralten Handwerks, es war auch das Verschwinden einer Identität.

Als sie 20 war, spürte Angelina Aspuac zum ersten Mal die Besonderheit der Muster. Zu der Zeit lebte sie in Guatemala-Stadt, gerade erst hatte sie ihre Ausbildung beendet, als sie von einer freien Sekretärinnenstelle bei der Organisation AFEDES hörte. Seit Ende der 1980er-Jahre kämpft der Verein für die kulturelle Identität der Mayagruppen. Im ganzen Land veranstalten die Aktivistinnen Treffen mit Frauen, um ihnen das Weben beizubringen. Nachdem Angelina den Job bekam, begann auch sie, Stoffe zu weben. Für sie war das der Moment, in dem sie sich als indigene Frau nicht mehr minderwertig fühlte, sondern stolz. In der Folge reiste sie durch das Land und traf sich mit anderen indigenen Frauen. Sie hörte Geschichten von Ausbeutung und Diskriminierung. „Ich habe gelernt, dass wir Frauen uns selbst verteidigen müssen.“

Weltweit kämpfen Aktivisten für den Schutz ihrer Designs

Im Juni 2016 versammelten sich schließlich Hunderte Menschen vor dem Gerichtsgebäude in Guatemala-Stadt. Drinnen bereitete sich Angelina auf ihre Rede vor, sechs Minuten hatte sie, um das Anliegen der Frauen vorzutragen. Sechs Minuten, in denen sie schließlich bestimmt und deutlich die Forderungen der Frauen vortrug. Und tatsächlich: Wenige Monate da­rauf beschloss das Gericht: Die Frauen bekommen recht, die Regierung muss ein Gesetz zum Schutz der indigenen Kultur beschließen. Weltweit kämpfen auch andere Aktivisten für den Schutz ihrer Designs: Im Juni 2015 beschuldigte eine indigene Gruppe aus Mexiko die bekannte französische Modeschöpferin Isabel Marant, ihre Muster gestohlen zu haben. Auch Massai-Gruppen in Tansania und Kenia gründeten vor einigen Jahren eine Organisation, um ihre traditionellen Designs zu schützen. Und im Januar 2020 erklärte die Regierung in Guatemala endlich, man werde sich mit einem Gesetzentwurf beschäftigen. 

„Mich stört es nicht, wenn Ausländerinnen unsere Kleider tragen“, sagt Angelina, „uns geht es um die großen Unternehmen: Sie verdienen Geld mit unserer Kultur. Wir wollen die Rechte daran zurück.“

Seit einigen Jahren studiert sie nun Jura an der Universität in Antigua und steht kurz vor ihrem Abschluss. Anschließend möchte sie die Rechte indigener Frauen als Anwältin vor Gericht vertreten. Der Kampf um die Mode – für Angelina hat er gerade erst begonnen.

Titelbild: Bruno Morandi/laif - Julia Zabrodzka

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