Was und wie wird in den Niederlanden gewählt?

Am 15. März wird in den Niederlanden das Parlament gewählt, das offiziell „Zweite Kammer“ heißt. Gemeinsam mit der „Ersten Kammer“ – durch die Provinzparlamente gewählt – entscheidet es über die Gesetze. Weil die Niederlande eine konstitutionelle Monarchie sind, muss am Ende auch der König die Gesetze unterschreiben. Er darf auch die Minister ernennen, hält sich aber an die, die ihm das Parlament vorschlägt. Insgesamt 150 Sitze gibt es im niederländischen Parlament, zum Regieren braucht es damit mindestens 76 Sitze. Anders als in Deutschland gibt es keine künstlich erhöhte Sperrklausel, die – wie etwa bei uns – alle Parteien mit weniger als fünf Prozent der Stimmen aus dem Parlament heraushalten würde. Für einen Sitz reichen 0,67 Prozent der Wählerstimmen. Die Niederländer sind es also gewöhnt, dass viele Parteien in ihrem Parlament sitzen und immer wieder auch neue dazukommen. Derzeit sind es elf. Zur Wahl treten 28 Parteien an.

Welche Parteien haben Chancen auf die meisten Stimmen?

Laut Umfragen hat die PVV des Rechtspopulisten Geert Wilders – neben der VVD – gute Chancen, stärkste Fraktion zu werden. Die beiden derzeit regierenden Parteien, die rechtsliberale VVD und die sozialdemokratische PvdA, sind in den Umfragen seit der vergangenen Wahl stark abgestürzt – vor allem die Sozialdemokraten. Sie liegen in den Umfragen derzeit auf Platz 7. Zurzeit sieht es daher nicht so aus, als könnte die rechtsliberal-sozialdemokratische Koalition ihre Arbeit fortsetzen. „Die Niederländer zappen generell gerne von Partei zu Partei“, sagt Friso Wielenga, Leiter des Zentrums für Niederlande-Studien an der Uni Münster und selbst Niederländer. „Sie strafen nun vor allem die Sozialdemokraten ab, weil sie nach Ansicht der Wähler in dieser Koalition zu viele Kompromisse gemacht haben.“

Wer ist Geert Wilders, und was sind seine politischen Ziele?

Geert Wilders und seine PVV vertreten teils rechtspopulistische, teils rechtsextreme Positionen. Sie haben vor allem drei große Themen: Anti-Islam, Anti-Europa und eine Sozialpolitik, mit der sie viele traditionell linke Themen besetzen. Wilders ist zum Beispiel gegen die Rente mit 67 und Sparen im sozialen Bereich – aber nur, wenn Niederländer davon betroffen sind. Falls er wirklich an die Regierung kommen sollte, dann will er ein Referendum über den „Nexit“ organisieren – den Austritt der Niederlande aus der EU. In einem Interview bezeichnete Wilders den Islam als „womöglich gefährlicher als der Nationalsozialismus“. Er will den Koran verbieten und Moscheen schließen lassen. Genau wie US-Präsident Donald Trump, dessen Wahlsieg er sehr begrüßt hat, will er außerdem einen Einreisebann für Menschen aus überwiegend muslimischen Ländern durchsetzen.

Von vielen wird Wilders als „Kontrollfreak“ beschrieben, seine Partei besteht auch nur aus einem einzigen registrierten Mitglied – ihm selbst. Für die Wahl stellt er eine Liste mit Kandidaten auf, die offiziell aber parteiunabhängig sind. Wilders lebt seit Jahren mit Polizeischutz, er erhält nach eigenen Angaben Morddrohungen wegen seiner Haltung zum Islam. Ähnlich wie Trump hat auch Wilders ein schwieriges Verhältnis zu den Medien. Er boykottiert zum Beispiel derzeit die großen Wahlkampfdebatten und kommentiert lieber das, was die anderen dort sagen, via Twitter. Ob ihm das Fernbleiben eher nützt oder schadet, darüber sind niederländische Wahlkampfbeobachter unterschiedlicher Meinung.

Warum sind Wilders und die PVV so stark?

Mit seiner Europa-Kritik trifft Wilders bei vielen Wählern einen Nerv. Seine Anhänger fühlen sich von Brüssel bevormundet. „Als die EU noch aus weniger Staaten bestand, hatten die Niederländer im Verbund mit den anderen Beneluxstaaten Belgien und Luxemburg das Gefühl, eine starke Stimme zu sein“, sagt Historikprofessor Wielenga. „Inzwischen sind es 28 Staaten, und die Niederlande empfinden sich als das, was sie sind: ein kleines Land.“ Im Wahlkampf werde behauptet, dass Europa viel Geld koste und außerdem den Niederlanden eine bestimmte Flüchtlingspolitik aufzwingen wolle. Ob die Fakten stimmen, sei den Menschen dann fast egal. „Sie haben ein Gefühl der Ohnmacht, und das macht sie empfänglich für antieuropäische Stimmungsmache.“ In den Debatten ginge es deshalb auch immer wieder um die „niederländische Identität“ – häufig in Abgrenzung von anderen, von Europa oder dem Islam.

Außerdem herrscht in den Niederlanden zurzeit, wie in vielen anderen Ländern auch, eine „Anti-Eliten“-Stimmung, die sich unter anderem gegen Parteien und Medien richtet. „Viele Menschen glauben, dass Politiker in den großen Parteien nur an ihre eigene Karriere denken“, sagt Dick van den Bos, der als Journalist beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen in den Niederlanden arbeitet. Seiner Meinung nach sind die angekratzte Glaubwürdigkeit der Politik und das Misstrauen vieler Menschen gegenüber den Medien wichtige Gründe für das gute Abschneiden von Geert Wilders.

Heißt das, die Niederlande könnten bald einen Ministerpräsidenten haben, der das Land aus der EU führen will?

Das ist nach Einschätzung der meisten Experten unwahrscheinlich. „Selbst wenn Geert Wilders’ PVV die stärkste Partei wird, müsste er mindestens zwei andere große oder viele kleine Parteien finden, die mit ihm zusammen die Regierung bilden“, sagt Wielenga. Das aber hätten die anderen Parteien ausgeschlossen. „Das heißt, es ist zu 99 Prozent sicher, dass Wilders nicht regieren oder mitregieren wird.“ Allerdings war die PVV bereits einmal zumindest indirekt an einer Regierung beteiligt, sie unterstützte 2010 eine Minderheitsregierung im Parlament, indem sie grundsätzlich mit deren Abgeordneten stimmte.

Welche Versprechen machen die anderen Parteien im Wahlkampf?

Die Partei, die mit Geert Wilders um den Wahlsieg streitet und momentan knapp vorn liegt, ist die rechtsliberale VVD. Wirtschaftlich gesehen plädiert sie für klassisch liberale Positionen – weniger Sozialstaat, stärkere Verantwortung des Einzelnen –, die Einwanderung will sie stark beschränken. Sie konkurriert mit diesem Programm bewusst auch mit Wilders um Wähler von rechts. Auf den folgenden Plätzen in den Umfragen liegen momentan drei Parteien mit jeweils elf bis zwölf Prozent fast gleichauf: die CDA (Christen Democratisch Appèl), die vor allem versucht, sich als konservative Alternative zur liberalen VVD zu positionieren. Die linksliberale D66 ist stark proeuropäisch und will besonders in Bildung investieren. GroenLinks tritt – wie der Name schon vermuten lässt – mit einem grün-linken Programm an und plädiert in bewusster Abgrenzung von den Rechtspopulisten für eine offene Gesellschaft, die Flüchtlinge integriert und bereitwillig aufnimmt. Ihre anderen Schwerpunkte sind unter anderem eine stärkere Besteuerung von Kapitalerträgen (eine Art „Reichensteuer“) und Investitionen in erneuerbare Energie. Die Sozialdemokraten, derzeit Partner in der Regierungskoalition mit der VVD, sind in den Umfragen inzwischen auf Platz 7 abgerutscht. Ihnen werden besonders die Sparmaßnahmen der Regierung in den vergangenen Jahren angelastet, auch wenn sie in ihrem Wahlprogramm mit einem sozialeren Kurs wie zum Beispiel einer Erhöhung von Löhnen werben. Alle diese Parteien sind Kandidaten für eine Regierungskoalition ohne die Rechtspopulisten.

Was ist also von diesen Wahlen zu erwarten?

Das Schwierigste nach dieser Wahl könnte die Regierungsbildung werden. Wenn keine der eigentlich großen Parteien mehr wirklich viele Stimmen erhält, dann könnte es bis zu fünf Parteien für die Regierung brauchen. Das wiederum könnte das Gefühl „Wen man wählt, ist doch auch schon egal“ weiter verstärken. „Die Gefahr ist, dass dies den Extremisten an den Rändern weiter hilft“, sagt Niederlande-Forscher Wielenga. Dass die Parteien aber deshalb umschwenken und versuchen könnten, Wilders mit einer Regierungsbeteiligung „zu zähmen“, glaubt er trotzdem nicht. Das Trump-Beispiel in den USA zeige ja gerade, dass das Amt alleine nicht zu einer Mäßigung führen müsse.

Und der König?

Hält sich raus. Allerdings betont er in öffentlichen Ansprachen immer wieder, dass Menschen friedlich und ohne Rassismus zusammenleben sollten – was zumindest als subtile Kritik an Wilders verstanden werden kann.

Titelbild: Huurdeman/Hollandse Hoogte/laif