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I’ll be there for you

Es gibt zig Gründe, warum es Freunde in alle Welt zerstreut. Und noch mehr Gründe, trotzdem befreundet zu bleiben. Vier Freundespaare erzählen

Freundschaft

Freunde sind wie eine Familie, nur darf man sie sich, Gott sei Dank, aussuchen. Kein Wunder also, dass Freundschaften zu unseren stabilsten sozialen Beziehungen gehören. Selbst wenn die Liebe, Arbeit oder verschiedene Lebensentwürfe Freund:innen räumlich trennen. Wir haben vier Freundespaare gefragt, wie sie Hunderte oder gar Tausende Kilometer voneinander entfernt befreundet bleiben.

Simona (23) und Maria (24), Glasgow und Sofia

Simona: Maria und ich sind befreundet, seit wir 14 waren. Wir waren in Bulgarien auf derselben Schule. Danach zogen wir gemeinsam nach London und haben dort auch zusammengewohnt.

Maria: 2020 bin ich wegen der Pandemie zurück nach Sofia. Seitdem sehen wir uns ein- oder zweimal im Jahr. Bisher konnte ich Simona noch nicht in Glasgow besuchen. Das hole ich so schnell wie möglich nach.

Simona: Der Übergang vom gemeinsamen Leben zur Freundschaft übers Smartphone kam für uns ganz natürlich. Was sicher damit zu tun hat, dass unsere räumliche Trennung mit dem Beginn der Pandemie zusammengefallen ist. Meine Mutter und Maria sind die einzigen Menschen, mit denen ich jeden Tag kommuniziere. Ich habe andere Fernfreundschaften, vor allem mit Freunden aus London. Aber da ist der Kontakt nicht so intensiv.

Maria: Bei mir ist das ähnlich. Mit einigen meiner Freunde telefoniere ich einmal im Monat, aber mit Simona würde mir das nicht reichen. Ich habe das Bedürfnis, meinen Tag mit ihr zu teilen.

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Simona: Normalerweise schicken wir uns gegenseitig Sprachnachrichten. Manchmal sind sie ganz kurz, aber wenn etwas Besonderes passiert ist, wird daraus schon mal ein kleiner Podcast. Ich finde es schön, Marias Stimme zu hören und nicht nur einen Text zu lesen. Ich kann mich nicht daran erinnern, seit 2020 länger als ein paar Tage nichts von ihr gehört zu haben.

Maria: Für mich war der Kontakt zu Simona besonders wichtig, als ich nach Bulgarien zurückgezogen bin. Ich war eigentlich nur zu Besuch dort und konnte wegen der Pandemie nicht zurück nach England. Ich war sehr allein und habe mich gefühlt, als würde die Welt zu Ende gehen. Ein Leben ohne Simona kann ich mir nicht vorstellen.

Simona: In meiner Anfangszeit in Glasgow habe ich Maria am meisten vermisst. Ich lebe hier mit meinem Freund zusammen, sonst kannte ich kaum Leute in der Stadt. Ich würde nicht ausschließen, dass wir irgendwann noch mal am selben Ort wohnen. Kann sein, dass ich irgendwann auch nach Bulgarien zurückgehe.

Ulrike (77) und Gunda (79), Rheinland-Pfalz und England

Ulrike: Gunda und ich kennen uns seit unserer frühen Kindheit. Wir haben in derselben Straße gewohnt und sind 1951 gemeinsam in die Schule gekommen. Wir haben uns aus den Augen verloren, als Gunda nach der Grundschule in Bayern auf ein Internat ging. Als ich 14 oder 15 war, kam sie zurück. Wir freundeten uns wieder an.

1994, wir waren um die 50, habe ich für ein Klassentreffen nach Schulkameradinnen gesucht. Ich fand heraus, dass Gunda jetzt in London lebt. Wir haben uns so gefreut, uns auf der Feier zu sehen. Wir waren lange nicht in Kontakt, aber gern hatten wir uns unser Leben lang.

Gunda: Selbstverständlich habe ich immer wieder an meine Kindheit in Deutschland gedacht, aber nicht speziell an Ulrike. Als wir uns wiedersahen, freundeten wir uns ganz natürlich wieder an. Seitdem telefonieren wir regelmäßig alle paar Wochen.

Ulrike: Sie freut sich, jemanden zu haben, mit dem sie Deutsch sprechen kann.

Gunda: Meine Jugendfreunde und meine beiden Kinder, die zurückgezogen sind, sind meine letzten Verbindungen nach Deutschland. Die genieße ich sehr.

Ulrike: Wir unterhalten uns über alles Mögliche: unseren Alltag, meinen Mann, was wir in letzter Zeit gelesen haben. Wir mögen beide Katzen, das ist ein Thema. Über Politik sprechen wir auch, zuletzt viel über den Brexit. Wenn sie hier ist, sehen wir uns, etwa zweimal im Jahr.

Gunda: Auf den ersten Blick haben Ulrike und ich nicht viel gemeinsam. Sie ist zum Beispiel noch verheiratet, ich bin geschieden. Ich habe auch andere Freunde, die ganz anders sind als ich. Aber mit Menschen, die ich später in meinem Leben kennengelernt habe, funktionieren Freundschaften nie so gut wie mit Kindheitsfreunden. Wir sprechen nicht wirklich aus, dass wir uns gernhaben, aber wir spüren es.

Astrid und Andres (beide 35), Karlsruhe und Medellín

Andres: Ihr müsst wissen, wir sind nicht die typischen aufgedrehten, extrovertierten Kolumbianer. Wir sind beide eher still und ein bisschen distanziert, aber wir mögen uns sehr.

Astrid: Wir sind beide aus Kolumbien. Andres hat seinen Bachelor in Cali gemacht und ich in Medellín. Getroffen haben wir uns erst bei einem zweimonatigen Sprachkurs in Frankfurt, das war 2008. Danach studierten wir zwei Semester in der Nähe voneinander, er in Erlangen, ich in Nürnberg. Wir haben in Kolumbien unsere Abschlüsse gemacht, aber ich bin später zurück nach Deutschland und geblieben.

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Andres: Astrid war die Klügere von uns! (lacht) Ich lebe mit meiner Freundin, die auch eine von Astrids besten Freundinnen ist, in Medellín. Hier in der Umgebung wohnen auch Astrids Eltern.

Astrid: Wir bleiben über WhatsApp in Kontakt. So etwa einmal die Woche bis einmal im Monat hören wir voneinander.

Andres: Videochats oder so etwas machen wir eigentlich nie. Ich kommuniziere nicht gerne online.

Astrid: Wenn wir uns treffen, können wir uns auf jeden Fall besser unterhalten. Wir sehen uns eigentlich immer, wenn ich in Kolumbien bin. Ich versuche, einmal im Jahr hinzureisen, aber wegen der Pandemie war das zuletzt schwierig. Ich war Ende 2022 dort, davor fast drei Jahre lang nicht.

Andres: Ich würde gerne nach Deutschland, aber meine Freundin und ich haben gute Jobs hier. Und wir Kolumbianer haben enge Beziehungen zu unseren Familien. Ich habe hier ein gutes, komfortables Leben.

Astrid: Mein Freund und ich machen ab Dezember ein Sabbatical in Kolumbien. Wir sind auch in der Nähe von Medellín. Vielleicht reisen Andres und ich zusammen.

Lara und Niklas (beide 25), Hamburg und Wiesbaden

Lara: Niklas und ich waren in derselben Grundschulklasse, damals aber eher nur Mitschüler. Zuerst waren wir auf verschiedenen weiterführenden Schulen, in der achten Klasse bin ich aber wieder in seine Klasse gewechselt. Seitdem sind wir befreundet. 2017, nach unserem Abitur, ging er ins Ausland und dann nach Hessen zum Studium, und ich bin von Düsseldorf nach Hamburg gezogen. Wenn es gut läuft, sehen wir uns jetzt einmal im Jahr.

Niklas: Heute telefonieren wir nicht mehr so regelmäßig wie am Anfang. Aber wenn wir uns sehen, sprechen wir sehr offen. Es geht sofort los, als hätten wir uns erst vergangene Woche gesehen. Natürlich müssen wir uns dann erst mal updaten: Wir sprechen so selten, dass wir eher nicht klären, was wir tags zuvor gegessen haben. Es geht um wichtige Themen.

Lara: Wir haben nicht viel und nicht stetig Kontakt. Das ist aber keine Barriere, Quantität spielt in dieser Freundschaft keine Rolle. Wir müssen nicht erst wieder warm werden, wenn wir uns sehen, weil wir uns seit 20 Jahren kennen. Ich finde es schön, wenn er mich in Hamburg besucht und wir mit meinen Freunden hier etwas unternehmen. Aber weil wir uns selten sehen, ist mir Zweisamkeit wichtig. Wenn er zwei Tage hier ist, verbringen wir einen Tag zu zweit und einen mit meinen Freunden.

Niklas: Ich habe Lara ein paar Mal in Hamburg besucht. Meist sehen wir uns aber in der Heimat. Das Problem sind weniger die Distanzen, sondern eher, dass wir wegen der Anreise genaue Termine planen müssen.

Lara: Das stimmt. Heute planen wir mehr im Voraus. Jedes Mal wenn ich Niklas sehe, versuche ich ihn zu überreden, dass er nach seinem Studium in den Norden zieht.

Niklas: In Hessen möchte ich nicht bleiben, aber dann zieht es mich eher wieder zurück in die Heimat nach Düsseldorf.

Lara: Das wiederum kann ich mir nicht vorstellen. Also bleibt es wohl eine Long-Distance-Freundschaft.

Illustration: Frank Höhne

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.