„Tigermilch“ ist ein Getränk, das eigentlich gar keine Rolle spielt in diesem Film, dem es den Titel gab. Nur ganz am Anfang hat es einen kurzen Auftritt. Da sitzen zwei Mädchen in der Berliner U-Bahn (dekorativ blinkt im Hintergrund die Spree) und mixen sich ihr Spezialgetränk aus Milch, Maracujasaft und ordentlich Weinbrand: „Tigermilch“ eben. Das soll natürlich signalisieren, dass es sich hier um zwei Teenager handelt, die gern mal über Grenzen gehen.
Okay, verstanden. Das andere, das man versteht, ist, dass die Berliner Verkehrsbetriebe („Is mir egal!“) sich vermutlich mit einem gehörigen Batzen Geld an der Produktion dieses Films beteiligt haben. So viel, wie in zwei Filmstunden U-Bahn gefahren wird, ist dramaturgisch eigentlich kaum vertretbar. Komischerweise steigen die Protagonistinnen auch immer an der sehr fotogenen U-Bahn-Station Wittenbergplatz aus, obwohl sie doch am ganz anderen Ende der Stadt in einer hässlichen Hochhaussiedlung wohnen.
Alles sieht supergut aus und ist meistens ganz doll bunt
Gleich in der Eingangssequenz, in der die BFFs Nini und Jameelah Hand in Hand strahlend über die Tauentzienstraße hüpfen (im Hintergrund das adrette U-Bahnhof-Häuschen), fühlt man sich eher wie im neuesten BVG-Werbespot als in einer „lebhaften und gut beobachteten Milieustudie“. Mit diesen Worten wurde nämlich der Roman „Tigermilch“ von Stefanie Velasco, der dem Film zugrunde liegt, von einer Kritikerin in der Tageszeitung Die Welt bei seinem Erscheinen vor vier Jahren gelobt. Andere waren hingerissen vom „schnellen und toughen“ Tonfall; ein Kritiker bekannte, er habe sich in die Erzählstimme verliebt.
Nun erzählt allerdings ein Film nicht mit Worten, sondern mit Bildern. Und eines ist „Tigermilch“ auf jeden Fall: in schönen Bildern gefilmt. An schönen Locations, mit schönen Menschen, alles sieht supergut aus und ist meistens ganz doll bunt. Nur nicht in der Wohnung von Ninis Proll-Mutter, die hat nämlich noch die Eichenschrankwand der Urgroßeltern im Wohnzimmer stehen und trägt einen sackartigen braunen Kittel, in dem sie aussieht wie eine Hexe aus Grimms Märchen.
Wie groß muss die Angst vor dem jungen Publikum sein, dass man so sehr darum bemüht ist, es bloß nicht zu langweilen?
Milieustudie? Deine Mutter! Die visuellen Klischees, die in diesem Film angehäuft werden, sind teilweise haarsträubend. Die Story wiederum hat den Nachteil, dass sie sich kaum nacherzählen lässt – und zwar deshalb, weil einfach monströs viel darin vorkommt: große Mädchenfreundschaft, Angst vor Abschiebung, ethnische Spannungen, unglückliche Liebe, Kinderprostitution, Teenagerkriminalität, Alkoholismus, erster Sex, emotionale Vernachlässigung, Ehrenmord.
Da muss man einfach fragen: Hallo, geht’s noch? Wie groß muss die Angst vor dem jungen Publikum sein, dass man so sehr darum bemüht ist, es bloß nicht zu langweilen? Bei all den Themen bleibt gar keine Zeit, irgendetwas zu Ende zu erzählen. Möglichst schrill, möglichst krass soll alles sein. Und weil das Bemühen darum so sehr zu spüren ist, beginnt man sich bald krass zu langweilen.
Allein das Ensemble sorgt dafür, dass man trotz allem sogar ein gewisses Interesse für manche Charaktere entwickelt. Flora Li Thiemann als Nini zum Beispiel ist eine sehr authentisch orientierungslose Fünfzehnjährige, der man ihre Filmrolle gern abnimmt. Auch etliche der Nebendarsteller, etwa Emil Belton als Ninis Freund Nico oder Narges Rashidi als Jameelahs Mutter Noura, füllen ihre Parts mit Leben. Warum die patente Noura allerdings den doch so wichtigen Brief von der Ausländerbehörde einfach hat vergessen können, das vergisst das Drehbuch irgendwie plausibel zu machen. Es gibt ja auch einfach zu viel anderes zu bedenken.
Und so sieht man dieser „Tigermilch“ trotz aller Milieu-Ambitionen allzu deutlich an, wo sie zusammengerührt wurde: im großen, biederen Mustopf deutschen Filmschaffens.
„Tigermilch“, Regie und Buch: Ute Wieland, mit: Flora Li Thiemann, Emily Kusche, David Ali Rashed, D 2017, 106 Min.
Foto: Constantin Film