Das nagende Gefühl, im falschen Körper zu leben, haben Transgender oft schon früh. Kye war Leistungssportler und spielte in einer Damenbasketball-Mannschaft. 2011 sagte er öffentlich, dass er fortan als Mann leben möchte, was für viel Aufmerksamkeit gesorgt hat. Heute ist Kye 23 und diskutiert mit seiner religiösen Mutter, die ihren Sohn liebt, sich aber immer noch weigert, „er“ und nicht „sie“ zu sagen.

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Wie viele Männer seht ihr hier? Und welche Rolle spielt das? Gruppenfoto mit Avery (3. v. links), Daniella (3. v. rechts), Kye (2. v. rechts), der Schauspielerin Laverne Cox (4. v. links) und weiteren Protagonist*innen aus „The T Word“ (Foto: Derek Storm/Splash News/Corbis)

Wie viele Männer seht ihr hier? Und welche Rolle spielt das? Gruppenfoto mit Avery (3. v. links), Daniella (3. v. rechts), Kye (2. v. rechts), der Schauspielerin Laverne Cox (4. v. links) und weiteren Protagonist*innen aus „The T Word“

(Foto: Derek Storm/Splash News/Corbis)

Die 20-jährige Avery kämpft mit den besonderen Tücken des Onlinedatings. Für sie stellt sich die Frage, wann sie wem sagt, dass sie eine Transfrau ist. Die Reaktionen können negativ bis bedrohlich sein, sind manchmal aber auch überraschend positiv. Die New Yorkerin Daniella ist mit 16 bei ihrer Pflegefamilie ausgezogen und hat das als Befreiung erlebt. Allerdings hat sie danach eine harte Zeit ohne eigene Wohnung durchlebt. Heute reist sie durch die USA, um anderen vom Trans-Sein zu erzählen. Viele haben noch nie vorher davon gehört.

Kye, Avery und Daniella gehören zu den sieben Protagonist*innen der MTV-Dokumentation „The T Word“. 42 Minuten lang geht es hier um die Hochs und Tiefs im Leben der Jugendlichen. Die Bilder sind schnell geschnitten, die Szenen emotional zugespitzt und von Elektro und Pop untermalt. Mit bunter, lauter Musikclip-Ästhetik gelingt MTV etwas Großes. „The T Word“, das sich mit deutschen Untertiteln auf mtv.de streamen lässt, holt einen ab, die Minuten vergehen wie im Flug. Die Protagonisten erscheinen nicht nur sympathisch, am Ende findet man sie ziemlich cool.

Als Daniella die fertige Doku das erste Mal gesehen hat, war sie allerdings nicht begeistert – sondern verletzt. In der Dramaturgie wurde ihr vor allem die Rolle des ehemals obdachlosen Gewaltopfers zugewiesen, Tränen in Großaufnahme natürlich inklusive. Viele andere wichtige Aspekte ihres Lebens seien nicht vorgekommen, beklagt sie sich: „Mich macht so viel mehr aus, nicht nur die Gewalterfahrung.“ Die Sequenz beispielsweise, in der sie vor einem großen Publikum eine Rede über die generelle Situation von Transgender gehalten hat, fehlte.

Am Ende sind alle „Survivors“

Die Doku findet Daniella mittlerweile trotzdem gut: „‚The T Word‘ ist eine tolle Plattform, Trans-Jugendliche sichtbar zu machen.“ Allerdings handele es sich natürlich um eine „typisch amerikanische Narration“: Am Ende sind alle „Survivors“. Sie haben es trotz widriger Umstände geschafft und kämpfen jetzt glücklich und stolz für ihre Rechte.

In Deutschland gibt es noch kein vergleichbares Fernsehprojekt. Was die Sichtbarkeit von Trans-Personen angeht, herrsche hierzulande noch klar Nachholbedarf, sagt Kai Gerstenberger, Trans-Referent des Jugendnetzwerks Lambda in Bayern. Nach wie vor hätten viele Jugendliche mit negativen Reaktionen zu kämpfen, von der Familie, von Freunden, von Mitschülern und Lehrern.

Gerstenberger ist 29 und hat mit 21 seine Angleichung zum Mann gemacht. Die Situation habe sich in den letzten Jahren deutlich verbessert, sagt er: „Gut ist, dass immer mehr Leute das Thema Transgender kennen oder zumindest davon gehört haben. Und wenn man etwas kennt, steigt in der Regel auch die Akzeptanz.“ Zudem sei es leichter, an Informationen zu kommen. Und so wagen auch in Deutschland Trans-Menschen die Angleichung immer früher. Je eher man anfängt, desto leichter ist es, meint Gerstenberger. Und umso besser gelingt die äußerliche Anpassung.

Die Angleichung vollzieht sich auf verschiedenen Ebenen, für die teilweise spezifische Bedingungen erfüllt werden müssen. Durch Kleidung, Styling und Make-up kann man sich äußerlich dem Wunschgeschlecht annähern. Mit Tricks oder Hilfsmitteln lässt sich etwa eine Beule in der Hose kaschieren oder produzieren und Busen vortäuschen oder optisch davon ablenken.

Die Kosten für die verschiedenen medizinischen Maßnahmen tragen größtenteils die Krankenkassen, denn Transsexualität als schwerste Form einer Geschlechtsidentitätsstörung ist als Erkrankung definiert. Transmänner nehmen Testosteron zu sich, Transfrauen Östrogene und Antiandrogene. Schon dadurch ändert sich viel im Körper: Bartwuchs und mehr Muskeln auf der einen, Busen und glattere Haut auf der anderen Seite. Kinder und Jugendliche bekommen oft noch keine Hormone verschrieben, sondern erst einmal sogenannte Pubertätshemmer. Dadurch wird Bedenkzeit gewonnen – der Schritt ist vollkommen reversibel –, und man erspart ihnen das Durchleben einer Pubertät „in die falsche Richtung“ mit den damit einhergehenden bleibenden körperlichen Veränderungen.

Und dann gibt es verschiedene Operationen. Meistens geht es dabei um die äußerlich sichtbaren Körpermerkmale. Transmänner lassen sich die Brüste abnehmen, Transfrauen Körperbehaarung entfernen oder Nase und Kinn geschlechtskonform korrigieren. Die Veränderung der Genitalien ist der aufwendigste Schritt und wird längst nicht von allen vorgenommen.

Die gesetzlichen Krankenkassen wollen psychiatrisch-psychotherapeutische Gutachten und verlangen, dass man eine umfängliche Psychotherapie absolviert. Die soll „ermitteln“, ob der Wunsch des „Patienten“ wirklich ernsthaft und dauerhaft ist, und sie auf den Wechsel der Geschlechterrolle vorbereiten. Private Kassen zahlen auch. Sie haben aber zum Teil eigene Regeln. Kai Gerstenberger kennt beispielsweise einen Fall, bei dem ein Transgender für einen Tag zur umfassenden Begutachtung in eine psychiatrische Klinik musste.

Für eine Stimmtherapie fehlt den deutschen Krankenkassen oft das Geld

Nicht alle Maßnahmen, die sinnvoll wären, werden tatsächlich auch erstattet. Bei Stimmtherapeuten oder Epilation für Transfrauen stößt die Kostenübernahme beispielsweise an ihre Grenzen. Ingesamt ist Gerstenberger aber zufrieden: „Wir haben in Deutschland die gute Situation, dass die OPs und die Hormonbehandlung von den Krankenkassen bezahlt werden. Und wenn man sich an die Spielregeln hält, klappt das eigentlich auch sehr gut.“

Die Änderung des Namens und des Geschlechts im Personalausweis regelt das Transsexuellengesetz, das in korrekter Langform „Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen“ heißt. Vorgeschrieben sind zwei Gutachten, die die Anpassung unterstützen. Je nach Bundesland könne man sich aus einer Liste selbst Gutachter auswählen oder bekomme sie vom Gesetz zugeordnet, erläutert Gerstenberger und kritisiert zugleich, dass nicht alle Gutachter gleichermaßen gut mit dem Thema Transgender vertraut seien.

Viele ursprüngliche Regelungen des Transsexuellengesetzes sind dabei gar nicht mehr gültig, da sie das Bundesverfassungsgericht in Einzelurteilen für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt hat. Das betrifft beispielsweise die Altersuntergrenze von 25. Gerstenberger hofft, dass das Gesetz endlich überarbeitet wird.

Ansonsten wünscht er sich mehr Normalität und dass es irgendwann überhaupt keine Rolle mehr spielt, ob jemand nun trans ist oder nicht. Trans-Jugendlichen empfiehlt er, sich mit anderen auszutauschen: „Sucht euch andere junge Leute, denen es genauso geht, und redet mit ihnen. Das geht heute sehr gut übers Internet. Sucht euch eine Jugendgruppe und Menschen, die euch unterstützen.“

Stefan Mey, freier Journalist, stammt aus Halle in Sachsen-Anhalt, lebt seit einigen Jahren in Berlin und will da auch nicht weg. MTV hat er in den letzten Jahren komplett aus den Augen verloren und war um so mehr darüber erstaunt, was sie mit „The T Word“ hinbekommen haben