Am 12. Dezember 2015 war es so weit: Saudische Frauen durften zum ersten Mal wählen und selbst gewählt werden. Dieser Schritt in Richtung Gleichberechtigung wurde durch ein Dekret des verstorbenen Königs Abdullah möglich. Bei genauerem Hinsehen ist er nicht mehr ganz so fortschrittlich. Denn selbst wenn sie gewählt werden: Um arbeiten zu dürfen, brauchen Frauen in Saudi-Arabien die  Genehmigung eines männlichen Vormunds, egal ob Ehemann, Vater oder Bruder. Ohne dessen schriftliches Einverständnis darf eine saudische Frau weder ihren Pass erneuern noch ins Ausland reisen, weder zum Arzt gehen noch ihr Kind behandeln lassen. Sie darf nicht studieren, kein Konto eröffnen und keinen Miet- oder Handyvertrag unterschreiben. 

Nach dem Global Gender Gap Index des Weltwirtschaftsforums gehört Saudi-Arabien zu den Ländern, die Frauen die wenigsten Rechte einräumen: Das Land liegt 2015 auf Rang 134 von 145. Internationale Organisa-tionen verurteilen Saudi-Arabien aber nicht nur wegen der Diskriminierung von Frauen, sondern auch wegen der Unterdrückung der schiitischen Minderheit, des Verbots von Kritik an den Machthabern und der gängigen Praxis von Folter, -Prügel- und Todesstrafe. Laut Amnesty International – der Organisation ist der Zugang zum Land verweigert – und der Nachrichtenagentur AP wurde in diesem Jahr durchschnittlich alle zwei Tage ein Mensch hingerichtet. 

Weil in Saudi-Arabien kein Strafgesetzbuch existiert, liegt es vor allem im Ermessen der Richter zu entscheiden, wie bestraft wird und was überhaupt als Verbrechen gilt. So wird die „Aufforderung zu atheistischem Denken“ oder eine „Kontaktaufnahme zu Personen, die gegen das Königreich sind“ auch schon mal als Terrorismus eingestuft. 

Trotz der drakonischen Strafen schrecken viele Frauen- und Menschenrechtler nicht davor zurück, für ihre Rechte zu kämpfen – und protestieren, bloggen und twittern. Mit Initiativen wie der Women2Drive-Bewegung kämpfen zum Beispiel Frauen für das Recht, Auto fahren zu dürfen. Dafür filmen sich Aktivistinnen wie die 36-jährige Manal al-Sharif dabei, wie sie hinter dem Steuer sitzend durch Städte fahren. Anschließend teilen sie die Bilder im Internet, wo sie ein riesiges Publikum erreichen: Die absolutistische Monarchie hat prozentual zur Anzahl der Internet-User die meisten aktiven Twitter-Nutzer sowie die höchste Anzahl von YouTube-Views pro Internetnutzer der Welt, 70 von 100 Saudis sind jünger als 30 Jahre. 

Doch je öffentlicher ein Protest, umso wahrscheinlicher, dass man von der Sittenpolizei erwischt wird. Diese kontrolliert etwa, ob Frauen das schwarze Ganzkörpergewand tragen oder eben Auto fahren. Der Rechtsberater Scheich Saleh bin Saad al-Lohaidan warnte Frauen in einem Interview vor dem Autofahren, da es eine schädliche Wirkung auf die Eierstöcke habe, das Becken verforme und dies zu Missbildungen bei Babys führen würde. Obwohl es schwerfällt, sich auf eine derart absurde Argumentation einzulassen, verweisen Frauenrechtler in Saudi-Arabien darauf, dass schon die Frauen und Töchter des Propheten ambitioniert auf Pferden und Kamelen ritten, ohne Schaden zu nehmen.

Die islamische Rechtsordnung Scharia, auf welche sich die Regierung stützt, wird in Saudi-Arabien von männlichen Gelehrten interpretiert, die sich wiederum an den Wahhabiten orientieren. Diese vertreten eine puristisch-traditionalistische Richtung des sunnitischen Islam und verurteilen eine zeitgenössische und plurale Auslegung. Indem es radikale und sogar terroristische Islamistengruppen förderte, hat das Land seine intolerante und frauenfeindliche Ideologie in die islamische Welt exportiert und damit den Fundamentalismus gefördert. Die Anschläge vom 11. September 2001 auf das World Trade Center wurden zum Großteil von saudischen Staatsbürgern verübt, auch die Terrororganisation „Islamischer Staat“ bekam in den vergangenen Jahren viel Geld aus dem Land. 

Mittlerweile hat man in Saudi-Arabien gemerkt, dass das Land selbst Opfer des Terrorismus werden könnte und ist Teil der Koalition gegen den IS geworden. Neuerdings versucht sich das Regime auch liberaler zu geben – unter anderem durch die Reform des Wahlrechts, auch wenn die eher Kosmetik als wahrer Fortschritt ist. Denn im Grunde benötigt eine Frau immer noch zwei Männer, um zu wählen: Einen, der ihr einen Personalausweis ausstellt und einen, der sie zum Wahllokal fährt.