Ich wollte nur sagen: Es tut mir Leid. Deshalb bin ich eine Woche nach dem Eingriff auf einen Friedhof gegangen. Ich bin nicht religiös. Trotzdem wollte ich mich innerlich von dem Kind verabschieden, dessen Leben ich verhindert habe und von dem ich mir seitdem immer wieder vorgestellt habe, wie es ausgesehen hätte. Die Entscheidung für eine Abtreibung damals war richtig. Mir war immer klar, dass ich kein Kind ohne den dazu gehörenden Vater großziehen möchte. Und als ich mit dem positiven Schwangerschaftstest vor meinem damaligen Freund stand, hat der mir sehr deutlich gesagt, dass er zu diesem Zeitpunkt kein Kind will. 

Er hat studiert, ich war mitten in meiner Ausbildung zur Werbekauffrau. Wir hatten beide kein Geld und einen Alltag, der hauptsächlich durch die Partys strukturiert wurde, die wir auf jeden Fall mitnehmen wollten. Ich wusste, dass ich das mit dem Kind ohne meinen Freund nicht gepackt hätte und keine gute Mutter gewesen wäre. Man muss da an das Kind denken und darf nichts verkorksen. Meine Kindheit hat mich sehr geprägt: Ich bin ohne Vater aufgewachsen, mit einer überforderten, schlecht gelaunten Mutter. Das wollte ich meinem Kind nicht antun.

Außerdem war ich noch viel zu sehr mit mir beschäftigt, ich musste meine Essstörung in den Griff kriegen und wollte unbedingt noch das Abitur nachmachen. Trotzdem fiel mir die Entscheidung nicht leicht. Mein Körper hat sich schon in den ersten Schwangerschaftswochen sehr verändert, da konnte ich nicht einfach ignorieren, dass in mir etwas wuchs. Einen Schwangerschaftsabbruch mit Mord gleichzusetzen halte ich für Quatsch, aber ein Fötus ist auch mehr als nur ein Haufen Zellen. Der Beratungstermin bei Pro Familia hat keine zehn Minuten gedauert. Ich bin da hingegangen, als mein Entschluss feststand, und dort versuchten sie gar nicht erst mich umzustimmen. 

Meinem Freund habe ich erst mal nicht gesagt, dass ich mich gegen das Kind entschieden habe. Seine Reaktion hatte mich zu sehr verletzt und ich habe mir nur gedacht: Scheißmänner, ihr macht es euch auch ein bisschen einfach! Ich bin allein zum Arzt gegangen. Der Eingriff war ambulant, mit lokaler Betäubung. Der Fötus wird mit einer Maschine abgesaugt. Das Geräusch ist mir heute noch manchmal in den Ohren. Der Arzt war Raucher, es stank in der Praxis und die Schmerzen hinterher waren so stark, dass ich dann doch meinen Freund angerufen habe. 

Er kam, um mich abzuholen, und war ziemlich aufgelöst. Zwei Dinge haben mir geholfen, die Abtreibung zu verarbeiten. Zum einen waren da die stillen zehn Minuten auf dem Friedhof. Und ich habe mir Leslie gekauft. Einen zehn Monate alten Jagdhund. Da war ein kleines Wesen, um das ich mich kümmern konnte und mit dem ich Spaß hatte. Das hat mir gut getan. Vier Jahre später wurde ich zum zweiten Mal schwanger. Aber diesmal vom richtigen Partner. Es war keine Frage, dass wir das Kind bekommen. Sophie ist inzwischen 17 Monate alt – klein, blond, laut, manchmal anstrengend, aber immer wundervoll. Im Verlauf der zweiten Schwangerschaft habe ich wohl erst richtig begriffen, was eine Abtreibung bedeutet – bei jedem Blick auf ein neues Ultraschallbild. Ich würde es nie wieder tun. Trotzdem war es die richtige Entscheidung – damals.