Sie zögert keinen Augenblick, als sie die zerbrochene Bierflasche auf dem Gehweg entdeckt. Sie bückt sich, hebt die Scherbe auf, nimmt sie mit zum Glascontainer gegenüber der Grundschule. Klack. Weg. Ines Schreiber lächelt zufrieden. „Meinem Siegfried erklär ich immer: Umweltschutz ist Heimatschutz!“ Sie erzählt gerne von ihrer Liebe zur Natur: von den Unterschriften, die sie als Mädchen für Greenpeace gesammelt hat. Von den Tomaten, die sie im Garten züchtet. Und davon, dass ihre kleinen Söhne schon die Geschichte des Donnergottes Thor kennen. „Deshalb“, sagt Ines Schreiber, „haben die beiden keine Angst vor dem Gewitter.“

Ines Schreiber, 36 Jahre, ist auf dem Heimweg. Als Hausfrau dreht sie öfters eine Runde durch die Altstadt von Strehla, bevor ihre Kinder Siegfried, acht Jahre, und Heinrich, sechs Jahre, aus der Schule kommen. Nicht nur wegen der frischen Luft. Immer wieder bleibt sie stehen, winkt, grüßt, schwatzt ein paar Sätze. Die Leute, klagt sie, säßen zu viel alleine am Computer. „Mir fehlt das Gemeinschaftliche. Ich will rausgehen, mit den Menschen reden.“ Sie deutet auf die andere Straßenseite: „Das ist Heinrichs Klassenlehrerin.“ Dann ruft sie fröhlich: „Guten Tag!“ Die Frau nickt höflich. Die Schreibers waren gerade erst aus Bayern hier ins sächsische Strehla gezogen, als der kleine Siegfried in die 1b der Grundschule kam. Die Mutter bewarb sich gleich als Elternvertreterin seiner Klasse und wurde prompt gewählt. Später rückte sie auch in den Elternrat der Schule auf.

Als sich die Mütter und Väter der 1b zur Elternbeiratswahl trafen, dürfte kaum jemand in Strehla gewusst haben, warum die Schreibers aus Coburg hierher nach Sachsen gezogen waren. Man sieht es der netten Hausfrau ja auch nicht an. „Viele Leute denken zuerst mal: Die ist sicher eine von den Grünen!“ Sie lacht. Eine kuriose Idee! Ines Schreiber würde bei den Grünen wirklich nicht auff allen – äußerlich. Sie trägt ein langes Leinenkleid, dicke Wollstrümpfe in dunklen Halbschuhen, eine eckige schwarze Brille, das Haar hochgesteckt. An ihrer Halskette baumelt ein Anhänger mit drei Blättern in einem Ring. Ein Symbol für die Verbundenheit zur Natur, sagt sie. Man findet das Motiv auch im Internet – zum Beispiel beim Versandhaus des Deutsche-Stimme-Verlags, jenem Verlag, in dem die NPD-Parteizeitung erscheint.

Der rechtsextreme Verlag hat seinen Sitz etwa zehn Kilometer von Strehla entfernt am Stadtrand von Riesa. Und genau deshalb hat es die Schreibers nach Sachsen verschlagen. Denn Ines Schreibers Ehemann hatte seine Stelle in Coburg verloren, und er fand einen Job als Vertriebsleiter des NPD-nahen Verlagshauses. Inzwischen hat der Steuerfahnder a.D. politisch Karriere gemacht: Er arbeitet als parlamentarischer Berater der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag. Ines Schreiber zeigt gerne, wie hübsch sie es in Strehla haben: Das Städtchen liegt idyllisch auf einem Hügel über dem Elbtal, auf halber Strecke zwischen Dresden und Leipzig. Fahrradtouristen machen gerne dort Station. Als Treff punkt schlägt die Hausfrau ein Café am historischen Marktplatz vor.

Die Familie war kaum nach Strehla gezogen, da wurde der Finanzwirt Peter Schreiber in den Kreistag gewählt. Er hatte sich damals schon der NPD angeschlossen. Ines Schreiber machte zunächst nur als parteiloses Mitglied bei der NPD-Frauengruppe mit. Im Sommer 2009 kandidierten die Schreibers auch für den Stadtrat. Peter Schreiber sitzt heute als erster Politiker der NPD im Strehlaer Kommunalparlament. Für seine Frau reichten die Stimmen nicht ganz. Sie klingt nicht geknickt, wenn sie das erzählt. Vielleicht hätte der Posten ihrer politischen Arbeit sogar geschadet. Denn Ines Schreiber wirkt mit Vorliebe da, wo die Leute an alles denken, nur nicht an die NPD. Zum Beispiel im Elternrat der Schule. Oder auch vor Gericht. Im Mai 2009 wurde sie beim Amtsgericht Riesa als Schöffin vereidigt. Als „Stimme des Volkes“ wolle sie dazu beitragen, härtere Strafen durchzusetzen, natürlich nur im Rahmen des gesetzlich Möglichen. „In Deutschland gilt ja leider immer noch Täterschutz statt Opferschutz.“ Ginge es nach ihr, dann würden Gerichte auch wieder die Todesstrafe verhängen, „für Mörder – ganz klar“, sagt sie, „aber auch für Kinderschänder“. Zwei Gremien hatten Ines Schreiber zu dem Posten verholfen: der Strehlaer Stadtrat und der Schöffenwahlausschuss des Amtsgerichts. Von Journalisten darauf angesprochen, behauptete der Amtsgerichtsdirektor, er habe von der politischen Orientierung der Hausfrau nichts gewusst – und leitete ein Ausschlussverfahren gegen sie ein.

Die NPD hingegen entdeckte die Schöffin als Vorzeigefrau. Holger Apfel, seit ein paar Monaten NPD-Bundesvorsitzender, jubelte: Ines Schreibers Posten am Riesaer Amtsgericht beweise, „wie weit die Nationalen hier auf ihrem Weg in die Mitte des Volkes bereits gekommen“ sind. Das Ehrenamt als strategisches Mittel. Dass die NPD versucht, junge Frauen als Sympathieträgerinnen einzuspannen, ist nicht neu. Umfragen belegen seit Jahren: Frauen denken kaum weniger radikal als Männer – sie geben aber seltener rechtsextremen Parteien ihre Stimme. Im Herbst 2006 richtete die NPD den Ring Nationaler Frauen (RNF) als Unterorganisation ein, in der Hoffnung, dass die Damen der Partei zu einem ansehnlicheren Image verhelfen. So wie Ines Schreiber.

Eine Parteikarriere glückt jedoch nur wenigen rechtsextremen Frauen. Wenn sie sich als Mutter um ihre Kinder kümmern wolle, sagt Ines Schreiber, dann habe sie dafür gar keine Zeit. Politisch wirken könne sie aber auch so. Sie gehe zum Faschingsfest, zum Osterfeuer. Sie höre den Leuten zu. Viele Mütter, erzählt sie, hätten ja keine Arbeitsstelle und säßen frustriert zu Hause. Die lade sie ein. „Die Muttis kommen zu mir, wir basteln oder gehen spazieren. So kommt man ins Gespräch. Irgendwann sag ich dann: Komm doch mal mit, hör dir an, was wir machen.“ Sie grinst: „Von den Kameraden werde ich deshalb scherzhaft auch die Psychosozialtante von Strehla genannt.“

Ines Schreiber gestaltet ihr Leben ziemlich genau so, wie es sich die rechtsextreme Gemeinschaft Deutscher Frauen (GDF) von ihren Mitgliedern wünscht. Sie trat der kleinen, öffentlichkeitsscheuen Gruppe vor Jahren bei. Sie trägt aus Überzeugung meist Röcke, sie baut eigenes Gemüse im Garten an und feiert mit ihren Kindern, wie einst die Nationalsozialisten, statt Weihnachten das „Julfest“ zur Wintersonnenwende. Die GDF-Aktivistinnen ordnen ihr Leben einem Rollenbild unter, das auf Theorien über die Bedeutung der Frauen für das Überleben der „nordischen Rasse“ fußt. „Germanische Frau und Mutter, bekenne dich zum Erhalt und Fortbestand der eigenen Art“, hieß es bis vor Kurzem auf der GDF-Homepage. „Denn nur Gleiches zu Gleichem bringt Mehrung und Ungleiches zu Ungleichem Zerstörung!“

Ines Schreiber denkt einen Moment nach, bevor sie dazu etwas sagt. „Sicherlich ist es anzustreben, dass sich unsereins mit unsereins paart. So wie die Afrikaner sich erhalten, die Chinesen sich erhalten – so soll sich auch unsere Rasse erhalten“, erklärt sie schließlich. „Für mich ist Rasse übrigens kein schlechtes Wort.“ Dann erzählt sie eine Anekdote: Ihr Siegfried sammele Fußballbildchen. Unlängst sei ihm aufgefallen, dass in der Nationalmannschaft „nicht nur deutsche, sondern auch dunkle Menschen“ spielen. „Wieso spielen die nicht in ihrem Land, das ist doch die deutsche Mannschaft ?“, habe ihr Sohn gefragt. Sie guckt jetzt glücklich: „Das ist ein unverfälschtes, ganz natürliches, nicht strafbares Empfinden der Kinder.“

Daheim dürften Siegfried und Heinrich auch mal ein Hakenkreuz malen, erzählt Ines Schreiber. Ihre Kinder wüssten, „dass das Hakenkreuz ein über 3.000 Jahre altes Zeichen ist“, sagt sie, aber auch, „dass sie es draußen nicht anwenden dürfen“. Sie habe Siegfried erklärt, dass es „der Herr Adolf Hitler benutzt hat“ und dass der Zweite Weltkrieg „eine schlimme, schwere Zeit für alle Beteiligten“ gewesen sei.

Ihr achtjähriger Siegfried, erzählt sie, habe inzwischen natürlich auch mitbekommen, was sein Vater beruflich mache: „Er weiß, dass wir für Deutschland kämpfen – damit Deutschland nicht untergeht.“ Nur in der Schule solle er darüber nicht reden, solange er die Zusammenhänge nicht verstehe. Der Strehlaer Bürgermeister Harry Güldner versichert, die Schreibers hätten in seiner Gemeinde noch keinen neuen oder sinnvollen politischen Vorschlag gemacht. Bisher habe das Ehepaar offenbar auch nur wenige Mitstreiter. Alarmiert ist der CDU-Politiker trotzdem. Es irritiert ihn, dass es Peter Schreiber als Zugezogener auf Anhieb in den Stadtrat schaffte. Der Rechtsextreme komme stets gut vorbereitet in die Sitzungen, sagt Güldner. Man merke, dass die NPD hier inzwischen ein „durchstrukturierter Laden“ sei. Er will verhindern, dass sich die Schreibers auch noch in die Vereine der Stadt drängen. Für den Bürgermeister ist es ärgerlich genug, dass Ines Schreiber unter seinem Amtsvorgänger als Schöffin nominiert wurde. „Was soll denn da rauskommen, wenn mal ein Kerlchen mit anderer Hautfarbe vor Gericht steht?“ Güldner wiegt unglücklich den Kopf. Auch die Sache mit Ines Schreibers Elternratsposten gefalle ihm gar nicht.

Immerhin – die öffentliche Debatte muss einige Strehlaer aufgeschreckt haben: Im Herbst 2010 wurde Ines Schreiber nicht wieder in den Elternrat gewählt. Auch das Amtsgericht Riesa entschied inzwischen über das Ausschlussverfahren gegen die Mutter. Tenor des Urteils: Für einen Rauswurf fehle es an einer „konkreten gesetzlichen Vorschrift“. Daher bleibe Ines Schreiber weiter Schöffin am Amtsgericht. Sie ist gewählt bis 2013. Berufung ausgeschlossen. Allerdings wurde sie lange nicht mehr eingesetzt.

Wenn man Menschen in Strehla nach Ines Schreiber fragt, erzählen sie nicht von Hakenkreuzen oder Rassismus, sondern von einer Mutter, die „immer nett und freundlich“ sei und für alle ein paar verbindliche Worte parat habe. An der Ladentheke, im Elternbeirat oder auf der Spielplatzbank kommt Ines Schreiber den Leuten auch nicht mit der Hitlerzeit. Wenn sie über Politik redet, dann über eine gefährliche Straßenkreuzung unweit der Grundschule. Über Hundedreck in der Stadt. Oder über ihre Idee, ein „Mehrgenerationenhaus“ einzurichten. Ein Mehrgenerationenhaus in Strehla! Da lacht der Bürgermeister los, dass das bordeauxrote Hemd über seinem stattlichen Bauch zittert. „Ein Mehrgenerationenhaus“, wiederholt Harry Güldner, „klar, da hätte Frau Schreiber gleich drei Generationen unter einem Dach und könnte die alle gleichzeitig bearbeiten.“

 

Nachtrag: Seit einiger Zeit werben die Schreibers in der Kleinstadt auch mit einem kostenlosen lokalen Infoblatt für ihre Ziele. In einem Grußwort appelliert Ines Schreiber an die Strehlaer: „Lassen Sie uns gemeinsam kämpfen – für unser Land – für unser Volk – für Strehla!“

Den Text haben wir aus dem Buch „Heile Welten – Rechter Alltag in Deutschland“ von Astrid Geisler und Christoph Schultheis übernommen, das ihr bei der bpb bestellen könnt. Bestellnummer 1161, 4,50 Euro.