Bei Günther Jauch stritt man über sie. Ganze Festivals wurden ihretwegen abgesagt. 2013 strich man sie von der Nominierungsliste für den deutschen Echo-Musikpreis, bei dem es nicht um die Qualität der Musik, sondern um den Verkaufserfolg geht. Dieses Jahr haben sie ihn in der Kategorie „Rock-Alternative“ gewonnen. Der Berliner Kulturstaatssekretär Tim Renner, ein ehemaliger Musikproduzent, kommentierte auf Twitter: „Puh - Freiwild einen Echo zu geben, ist wie mit der AfD koalieren."

Um keine deutschsprachige Band hat es in den vergangenen Jahren mehr Debatten gegeben als um die Südtiroler Deutschrockband Frei.Wild.

Spätestens als ihr Album „Feinde Deiner Feinde“ vor zwei Jahren erstmals die Nummer eins der deutschen Albumcharts war, wurden Frei.Wild zum Politikum. Denn vielen gelten sie als „irgendwie rechts“. Dabei geht es um umstrittene Songtexte der Band genauso wie um die Vergangenheit von Sänger und Songschreiber Philipp Burger, der einst Mitglied einer Rechtsrockband („Kaiserjäger“) und einer rechtspopulistischen Partei („Die Freiheitlichen“) war.

Heute singt er mit Frei.Wild unter anderem vom Stolz der Band auf ihre zu Italien gehörige Heimatregion Südtirol oder über „wahre Werte“ der „Heimat“ wie „Sprache, Brauchtum und Glaube“. Oft geht es bei Frei.Wild um Freundschaft, Kameradschaft und Identität – eine Identität, die sich auf die Abstammung, die eigenen „Wurzeln“ bezieht. Auch deswegen wird der Gruppe vorgeworfen, Patriotismus, Nationalismus und Chauvinismus wieder salonfähig machen zu wollen. Doch ist das rechts oder gar rechtsextrem? Die Band und ihre Fans weisen derartige Vorwürfe zurück, manch einer fühlt sich dabei an die „Ich bin kein Nazi, aber …“-Rhetorik von vielen Pegida-Anhängern erinnert oder an vergleichbare Diskussionen um die Ausrichtung der Böhsen Onkelz in den 90er-Jahren.

Der Archivar der Jugendkulturen

Licht ins Dunkel soll nun die erste umfassende Bandbiografie von Frei.Wild bringen, die Ende April erschienen ist. Der Autor des neuen Buches ist dabei keiner, den man mit rechtskonservativen Kreisen oder übermäßigem Patriotismus in Verbindung bringt, im Gegenteil: Klaus Farin kommt aus der Punkszene und hat das Berliner Archiv der Jugendkulturen aufgebaut und zahlreiche Sachbücher über popkulturelle Phänomene geschrieben, mit meist empirischem Zugang. Wenn so einer eine Biografie mit dem Titel „Frei.Wild – Südtirols konservative Antifaschisten“ schreibt, darf man neugierig sein.

„Frei.Wild“, so schreibt Klaus Farin einleitend, seien „zum Seismografen einer im Umbruch befindlichen Gesellschaft geworden.“ Und tatsächlich zeigt Farin, dass man sämtliche Debatten zu Themen wie Migration, Politikverdrossenheit, Gender Mainstreaming und neoliberaler Globalisierung auf der Folie dieser Band erzählen kann.

Farin konnte aus allen Gesprächen mit der Band verwenden, was er wollte, man stellte ihm Foto- und Archivmaterial zur Verfügung. „Offen gestanden war ich erstaunt, dass Frei.Wild sich darauf eingelassen hat. Die Band wusste von vornherein, dass unsere Ansichten in vielen Punkten auseinandergehen“, schreibt Farin im Vorwort. Das Buch nun hat Lexikongröße und -schwere.

Man spricht Deutsch: Der Autonomiewille in Südtirol ist groß

Sein Buch besteht aus Musikerporträts (inklusive Burgers Vergangenheit bei Kaiserjäger), aus Exkursen zum Heimatbegriff in Deutschland und zur jüngeren Geschichte Südtirols. Farin zeigt auf, wie Südtirol im 20. Jahrhundert hin- und hergerissen war zwischen Mussolini-Italien und Hitler-Deutschland und nach dem Zweiten Weltkrieg erneut Italien zugesprochen wurde, zu dem es heute noch zählt, obwohl es zusammen mit der Provinz Trient die selbstverwaltete Region Trentino-Südtirol bildet. Die Muttersprache der Südtiroler Bevölkerung ist überwiegend Deutsch.

Farin lässt Musikwissenschaftler, Aussteiger aus der rechten Szene und gar einen Neonazi-Musiker von der Band „Stahlgewitter“ zu Wort kommen. Die Ergebnisse und Zitate aus einer Befragung von mehr als 4.000 Frei.Wild-Fans finden sich überall im Buch wieder, auch gibt es einen – ziemlich ausführlich geratenen – Statistikteil, der mit der Genauigkeit von Wahlanalysen alles über die Fans der Gruppe verrät. Dazu kommen unzählige Abbildungen der Band, der Fans und der Tätowierungen der Fans.

Warum Frei.Wild so umstritten sind, ist natürlich ebenfalls Thema. Klaus Farin begründet es vor allem damit, dass die Band sich heute in einem gesellschaftlichen Milieu bewegt, in dem man sich politisch nicht verstanden oder repräsentiert fühlt, einem diffusen Raum der Globalisierungsskepsis, Medienkritik und einer gesellschaftlichen Neuauslotung von Wertvorstellungen. Wie sich das konkret anhört, verdeutlicht eine Aussage von Bassist Jochen „Zegga“ Gargitter im Interview mit Farin: „Viele Südtiroler sind sich zum Beispiel einig darin, dass eine einheimische Familie mit fünf Kindern nicht am Lebensminimum leben soll, während eine Familie aus weiß Gott woher zugewandert hier ankommt und sofort eine Wohnung sowie Sozialleistungen für mindestens drei Jahre gestellt bekommt, auch in den Krankenhäusern eine kostenlose Behandlung erhält (…). Ist das eine ‚rechte‘ Haltung? Für mich nicht!“ Es ist schwer irritierend, dass Autor Farin bei diesen Äußerungen nicht nachhakt. Hätte es eine bessere Gelegenheit gegeben, das Heimatbild der Bandmitglieder anhand derartiger Behauptungen zu überprüfen?

So aber werden aus den „Interviews“ mit den Musikern Plattformen zur Selbstdarstellung. Auf diese Weise lernt man natürlich viel über die Wertehaltung von Frei.Wild, über die der Musikwissenschaftler Thorsten Hindrichs in einem der aufschlussreichsten Interviews des Buches sagt: „Die sind nicht rechtsradikal, die sind nicht Grauzone – die sind rechtspopulistisch.“ Auch weitere Kritiker kommen zu Wort; so sagt etwa Armin Mutschlechner, der Sozialarbeiter, in dessen Jugendclub die musikalische Karriere von Frei.Wild begann, über „Wahre Werte“: „Das, was durch diesen Song vermittelt wird, ist nicht das Südtirol von heute, sondern rückwärtsgewandtes Wunschdenken.“

Rückwärtsgewandtheit zeigt sich auch, wenn alle vier Musiker betonen, sie könnten sich keinesfalls eine Frau als Bandmitglied vorstellen. „Den ganzen Stress, den möchte ich nicht wirklich haben“, sagt Burger dazu. „Da Regelbeschwerden, da eine Schwangerschaft, hier die Eifersüchtigen, also unsere Partnerinnen zu Hause, und dort ein eifersüchtiger Kerl der Musikerin.“ Sachverhalte erklärt Burger gerne in Naturanalogien: So stoße man sich etwa in den Jugendjahren „die Hörner“ ab, man lerne dann aber, „Rangordnungen zu erkennen“. Dass man sich auf seine Heimat und seine Wurzeln besinnt, wird oft als eben natürliches Phänomen dargestellt.

Sicher kann man sich nach der Lektüre ein sehr gutes Bild von der Band machen. Die Geschichte um Burger und Frei.Wild und die zahlreichen Interviews lesen sich größtenteils gut, nur die Exkurse und Fanbefragungen verlieren sich ins Uferlose. Insgesamt ist Farin aber absolut keine kritische Biografie gelungen. Seine Schlussfolgerungen wirken nicht überzeugend, etwa wenn er schreibt, xenophobe Äußerungen seien in Südtirol eben Mainstream und „normaler“ als hierzulande.

Das viele Material bringt wenig Erkenntnisse

Vieles im Buch funktioniert über Personalisierungen – es gibt jede Menge Material und O-Töne von Fans und Begleitern der Band, die oft merkwürdig ergebnislos im Raum stehen und wenige Erkenntnisse bringen. Auch geht mitunter die Distanz zum Gegenstand verloren, so spricht Farin von einer „absolut überzogenen, kaum von Faktenwissen getrübten Kampagne gegen die Band“, ohne dies ausführlicher zu erläutern. Auch die Bildsprache zeigt, dass sich Farin in einem Spagat zwischen kritischer Biografie und Fan-Buch versucht, der nicht gelingen kann: Großformatige, oft hagiografische Abbildungen sind da zu sehen – die vier „Jungs“ in Rockstarpose, nachdenklich, als süße Kinder oder auf Selfies gemeinsam mit anderen Künstlern oder Fans.

Den provokanten Titel der „konservativen Antifaschisten“ wählt Farin im Übrigen, weil er in dem Buch ausführlich beschreibt, inwiefern sich Frei.Wild heute von allem Extremistischen abgrenzen. Eine fragwürdige Titelwahl, allein deshalb, weil die Band Aktionen wie „Frei.Wild gegen Rassismus und Extremismus“ ja erst als Reaktion auf die Angriffe der Öffentlichkeit initiiert hat. Und wer sich die Geschichte des Begriffs „Antifaschismus“ anschaut, der dürfte über diese Wortwahl nur den Kopf schütteln.