Kilpinen (Erik Enge) macht einen kalten Entzug durch und wird dabei von Forss (Maxwell Cunningham), Babic (Toni Prince) und Strand (Edvin Ryding, v.l.) unterstützt

Eine aussichtslose Mission

Die Serie „Ein halbes Jahr wie ein ganzes Leben“ erzählt aus der Sicht junger UN-Soldaten von den Schrecken des Bosnienkrieges – in schwer auszuhaltenden Bildern, aber ohne voyeuristisch zu sein

Von Susanne Mohr
Thema: Kultur
12. Juni 2025

Worum geht’s?

Um die vier jungen Schweden Kilpinen, Forss, Babic und Strand (Foto oben, von links), die sich 1993 freiwillig als Soldaten für den Friedenseinsatz der Vereinten Nationen in Bosnien-Herzegowina (UNPROFOR) melden. Ihre Mission: die Zivilbevölkerung in der Region um Vareš schützen und den Transport humanitärer Hilfslieferungen sichern. Doch schon bald nach ihrer Ankunft im UN-Camp Valhalla müssen die größtenteils kriegsunerfahrenen jungen Soldaten feststellen, dass Friedenssicherung in dem Mehrparteienkrieg ziemlich aussichtslos ist. Der Frieden, den sie ohne eigene Waffengewalt sichern sollen, existiert nicht, und die verschiedenen Kriegsparteien haben wenig Interesse, ihn mit ihrer Hilfe wiederherzustellen.

Das Bataillon um Oberst Andreasson kann nicht verhindern, dass der kroatische Verteidigungsrat (HVO) die Bosniak:innen, also die bosnischen Muslim:innen, des Dorfes Stupni Do massakriert. Und auch den Mudschahedin, die aufseiten der bosnischen Armee (ARBiH) kämpfen und sich für das Massaker von Stupni Do grausam an der bosnisch-kroatischen Bevölkerung rächen, können die Blauhelmsoldaten im Rahmen ihres Mandats nicht viel entgegensetzen. Je aussichtsloser die Situation für die Zivilbevölkerung wird, desto frustrierter und desillusionierter werden die jungen Männer. Bis sie schließlich selbst in die Fänge serbischer Truppen geraten und um ihr Leben bangen.

Die UN-Soldaten haben sich Zugang zur Schule verschafft und retten die muslimischen Männer aus dem Gebäude

Das hier ist noch relativ harmlos. „Ein halbes Jahr wie ein ganzes Leben“ zeigt brutale Bilder, etwa niedergebrannte Häuser und Leichenhaufen

Wie wird es erzählt?

„Ein halbes Jahr wie ein ganzes Leben“ erzählt ungeschönt vom Bosnienkrieg, der äußerst grausam geführt wurde. In schwer auszuhaltenden Bildern zeigt die Serie das Ausmaß der Gewalt der HVO gegen die muslimische Zivilbevölkerung: Leichenhaufen, niedergebrannte Häuser, traumatisierte Frauen und Kinder. Auch die Rolle sexualisierter Gewalt als Waffe betont die Serie immer wieder, setzt sie aber weniger explizit in Szene. Überhaupt verhindert die sensible Inszenierung, dass die Bilder ins Voyeuristische kippen. 

Die Brutalität dieses Krieges zeigt sich auch in der Überforderung der jungen Soldaten: Forss, der den Einsatz anfangs noch naiv als Auslandserfahrung für seine angestrebte Diplomatenkarriere betrachtet, ist in der Konfrontation mit der HVO seiner Rolle als Truppenführer nicht gewachsen; Kilpinen, der Sanitäter der Truppe, bedient sich bald heimlich am Medizinschrank, um schlafen zu können. Die Inszenierung setzt zwar von Anfang an auf Spannung, trotzdem werden die gezeigte Gewalt und die Hilflosigkeit der UN-Soldaten nicht unnötig dramatisiert.

Die Angst und das Leid der bosnisch-muslimischen wie bosnisch-kroatischen Zivilbevölkerung zeigt sich in individuellen Geschichten: Der junge Vater Eldin sucht nach dem Massaker in seinem Dorf Stupni Do verzweifelt nach seiner Tochter Lana, die kroatische Dolmetscherin Nevena plant aus Angst vor der Rache der Mudschahedin an ihrer eigenen Bevölkerungsgruppe die Flucht. Eine sich anbahnende Liebesgeschichte zwischen Strand und Alma, der Tochter des Chefs der Camp-Küche, sorgt zwischendurch für Momente der Leichtigkeit. Doch auch Alma und ihre Eltern sind als muslimische Bosnier:innen nicht vor den Gräueltaten der HVO sicher.

Emina (Ivana Roscic, re.) Alma (Teodora Dragicevic, li.) und Muharem (Alban Ukaj, Mi.)

Auch das Leid der bosnischen Zivilbevölkerung spielt eine Rolle

Wer erzählt hier?

Die schwedisch-französische Koproduktion basiert auf dem gleichnamigen Roman von Magnus Ernström, der darin seine Erlebnisse als Blauhelmsoldat im Bosnienkrieg verarbeitet hat. Regisseur Ahmed Abdullahi nutzt die Perspektive der unparteilichen UN-Friedenstruppe geschickt. So entsteht ein ausgewogenes Bild, das das Leid aller Zivilist:innen in den Vordergrund stellt – aber auch zeigt, wie schnell eben noch friedlich nebeneinander lebende Nachbar:innen sich gegenseitig verraten können, wenn sie um ihr eigenes Leben fürchten.

Ganz schön kompliziert

Der Versuch, allen Seiten gerecht zu werden, ist zwar größtenteils gelungen. Dabei wird aber auch sehr viel Wissen vorausgesetzt – zumal hier ein ganz spezifischer Ausschnitt des Bosnienkrieges gezeigt wird, dessen Hintergründe nicht weiter erklärt werden. Wer sich also nicht genauestens mit diesem Krieg, den beteiligten Parteien, ihren Bezeichnungen und Abkürzungen auskennt, wird der Handlung nicht immer folgen können.

Was du zum Bosnienkrieg wissen musst

Jugoslawien bricht auseinander

Ab dem Beginn der 1990er-Jahre zerfiel der Vielvölkerstaat Jugoslawien: Von den sechs Teilrepubliken der „Sozialistischen Föderativen Republik“ erklärten sich Slowenien, Kroatien, Mazedonien sowie Bosnien und Herzegowina für unabhängig, übrig blieben Montenegro und Serbien.

In der Folge entbrannte ein Krieg, in dem die jugoslawische Volksarmee gegen die Unabhängigkeitsbewegungen kämpfte und sich die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen in den einzelnen Republiken gegenseitig bekriegten.

Krieg in Bosnien und Herzegowina

Im multiethnischen Bosnien und Herzegowina waren laut der Volkszählung 1981 die drei größten Bevölkerungsgruppen bosnische Muslim:innen (39,5 Prozent), bosnische Serb:innen (32 Prozent) und bosnische Kroat:innen (18,4 Prozent). Zwischen ihnen kam es zu immer größeren Spannungen. Während die meisten bosnischen Muslim:innen einen unabhängigen Staat befürworteten, forderten bosnisch-serbische Nationalist:innen einen Anschluss an Serbien. Viele der kroatischen Bosnier:innen wollten wiederum eine Vereinigung mit Kroatien. Die Situation eskalierte, als im Frühjahr 1992 die muslimische und kroatische Bevölkerung in einem Referendum für die Abspaltung vom serbisch dominierten Rumpf-Jugoslawien stimmte. In kurzer Zeit wuchsen die Unruhen zu einem Krieg heran. Serbische Nationalist:innen kontrollierten bald mehr als zwei Drittel Bosnien und Herzegowinas, wo sie Angehörige anderer Bevölkerungsgruppen vertrieben. Ab dem Frühjahr 1993 bekämpften sich die kroatischen und die muslimischen Bosnier:innen, die zuvor gegen die Serb:innen verbündet waren, auch gegenseitig. 

Die Vereinten Nationen entsenden Friedenstruppen

Anfang 1992 beschloss der UNO-Sicherheitsrat die Mission „United Nations Protection Force“ (UNPROFOR) und entsandte Friedenstruppen in den Balkan. Als die Situation in Bosnien wenig später eskalierte, änderte sich die Mission der Truppe: Hatte sie ursprünglich nur einen Beobachterstatus, wurde ihr nun ein Friedenssicherungsmandat erteilt. Die UN-Soldat:innen sollten humanitäre Hilfslieferungen sichern und Schutzzonen („safe areas“) für die Zivilbevölkerung einrichten. Doch die Truppen waren personell unterbesetzt und ihre Handlungsoptionen im Rahmen ihres Mandats stark eingeschränkt. Sie waren nicht dazu in der Lage, Massaker an Zivilist:innen bis hin zum Genozid zu verhindern.

Stärkster Satz

„Drüben sterben Menschen, während wir uns einen runterholen!“, sagt Babic zu seinen Kameraden, nachdem sie auf dem Weg nach Stupni Do von Straßensperren der HVO aufgehalten wurden. Jetzt bleibt ihnen nichts anderes übrig, als im Camp auszuharren und die Ereignisse geschehen zu lassen. 

Was hat das mit heute zu tun?

Der Bosnienkrieg wurde zwar 1995 offiziell beendet, nachhaltigen Frieden in der Region gibt es aber bis heute nicht. Der Friedenseinsatz der Vereinten Nationen wurde seither durchgängig durch Nachfolgemissionen abgelöst, um zu verhindern, dass die Spannungen zwischen den verschiedenen Gruppen wieder eskalieren. Als Teil der EU-Schutztruppe EUFOR Althea sind in Bosnien-Herzegowina aktuell auch Bundeswehrsoldaten im Einsatz.

 

„Ein halbes Jahr wie ein ganzes Leben“ (sechs Folgen à 45 Minuten) läuft ab dem 12. Juni auf arte.tv und ab dem 19. Juni im linearen Fernsehen.

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Fotos: Johan Hannu / Yellow Bird / ARTE