Wie viele gute Dinge macht sich die Demokratie im Gelingen oft unsichtbar. Das Leben in demokratischen Verhältnissen geht dann einfach seinen Gang. Doch ein Übermaß an blinder Routine bringt demokratische Kultur zum Erliegen. Denn Demokratie ist eine Ordnung, die vom Streit lebt und im Schweigen stirbt. Als System des gesellschaftlichen Lebens ist sie nur so viel wert, wie die Menschen Arbeit in sie investieren. Dann wird das Gewöhnliche immer wieder erstaunlich.

In gelungenen Demokratien ist Macht beschränkt. Kontrolle, Einspruch und Gegenmacht sind für fast alle immer wieder möglich. Die Unterlegenen oder die Minderheiten von heute haben Rechte und können die Gewinner und Mehrheiten von morgen werden. Es ist ein zirkuläres System, in demokratischen Prozessen sieht man sich immer mindestens zweimal.

Die Verständigung über gemeinsame Angelegenheiten ist gleichsam die Grundlage demokratischer Kulturen und ein Garant freiheitlicher Gesellschaften. Die Arbeit am Konkreten ist dabei nicht zu unterschätzen: Demokratie lässt sich im Alltag von Familien erfahren, in Schulen oder Kommunen. Selbst Unternehmen können Orte gelungener Demokratie sein. Das Selbstverständliche wird dann eine Erfahrung des gemeinsamen und öffentlich debattierten Verständnisses darüber, wie wir miteinander leben und umgehen wollen.

Demokratien sind immer auch riskant – fehlende oder schwächer werdende Repräsentation führt zur Abkoppelung mächtiger Eliten und in den Populismus. Die medial verstärkte Bequemlichkeit und zuweilen verächtliche Ignoranz gegenüber politischen Prozessen machen das Ganze fragiler, als wir uns das in Deutschland gegenwärtig vorstellen wollen. Wie wird Demokratie künftig aussehen? Werden Parteien die zentralen Akteure bleiben können, wie werden sie sich ändern müssen? Werden wir mehr oder weniger Beteiligung, direkte Demokratie haben? Wie kann demokratische Kontrolle in globalen Zusammenhängen funktionieren?

Entscheidungen brauchen Haltungen. Die erste Frage über den Zustand der öffentlichen Angelegenheiten geht deshalb immer auch an sich selbst: Wo sind deine roten Linien, wo mischst du dich ein, wofür stehst du?

Thorsten Schilling