In jedem Moment sprechen auf der Erde Millionen Menschen miteinander, es wird immer gelesen und geschrieben. Die Allgegenwart von Sprache ist ebenso faszinierend wie ihre Vielfalt. Das Universum der Sprachen ist immer in Bewegung, auch heute und in unserer westlichen Gesellschaft. Wenn wir den Blick auf ihre pragmatischen Dimensionen der gegenseitigen Verständigung, des Aushandelns öffentlicher Angelegenheiten lenken, werden die Spannungen und offenen Fragen sichtbarer. In die jeweiligen Sprachen sind kulturelle Vorstellungen eingeprägt, ihre Beherrschung entscheidet über die Teilhabe am öffentlichen Leben. Das Leitbild der einheitlichen und verbindlichen Nationalsprache ist auch heute noch sehr stark. Es ist immer einfacher, eine funktionierende Staatlichkeit entlang einer vorherrschenden Sprache zu realisieren. Aber Sprachraum und Nationalstaat sind selten deckungsgleich. Die fixe Vorstellung der Reinheit und Einheit von Sprache, Staat und Volk kann so mächtig werden, dass sich an ihr entlang immer wieder Konflikte anheizen lassen. Der deutsche Sprachraum deckte sich aber zum Beispiel nie mit den nationalstaatlichen Grenzen Deutschlands. Das gilt für viele Sprachen, vielleicht für die meisten. 

Die Geschichte des Hochdeutschen ist einer der wenigen historischen Prozesse, der in Deutschland nicht von oben oder außen geregelt und initiiert wurde. Die Bewegung ging von Luther bis in die Aufklärung und Klassik immer wieder von Intellektuellen aus, wurde von der bürgerlichen Gesellschaft aufgenommen und verstärkt. Das Ringen um die Sprache gab zumal in Deutschland eine starke Motivation für kulturellen Fortschritt, der in politischen und wirtschaftlichen mündete. Das Engagement für die Sprache kann deshalb ein Reservoir des Kulturbürgertums und des freiheitlichen Geistes bilden. Frankreich ist einen anderen Weg gegangen und hat seine republikanische Tradition fest mit einer aktiven Sprachpolitik des Staates verbunden.

Aber Sprache und Politik können auch ganz andere Bündnisse eingehen. Im sogenannten Dritten Reich war Sprache ein Propagandamittel, das Massen mobilisierte und den mörderischen Antisemitismus tief im gesellschaftlichen Bewusstsein der Deutschen verankern half. Auch im Europa von heute ist die Unterdrückung von Sprachen noch ein probates Mittel, um diktatorische Machtansprüche durchzusetzen – wie etwa in Weißrussland. In den heutigen Einwanderungsländern und inmitten einer fast schon verordneten Jugendlichkeit ist das kulturelle Dissidententum von Jugendsprachen oder Ethnolekten ein Zeichen der Lebendigkeit unserer Sprachkultur. Die allgegenwärtige Formelhaftigkeit politischen Sprechens bildet dagegen eher ein Symptom für die Krise der Repräsentation. Und wird Europa ohne eine Leitsprache mit seiner Vielfalt an Sprachen und Kulturen politisch zusammenwachsen können? Ist das überhaupt eine produktive Idee? Der Streit darüber wird zumindest in Brüssel und Straßburg in alle beteiligten Sprachen übersetzt.