Lange ging es mir wie den meisten Menschen, die mit den immer neuen Meldungen über abschmelzende Polkappen und häufiger werdende Extremwetter konfrontiert sind: Mich hat das einfach nur bedrückt. Und das tut es immer noch. Doch inzwischen, so ehrlich will ich sein, kann ich mich immer auch ein bisschen freuen, wenn es um die Klimaerwärmung geht. Weil ich jetzt auch etwas Schönes habe, woran ich denken kann: Ich sehe mich an einem warmen Herbsttag im Jahre 2040 auf der Terrasse meines Hauses sitzen, ein kühles Glas Weißwein vor mir. Zufrieden blicke ich auf den Weingarten, der sich vor mir ausbreitet. Jeder Tag ist auch ein bisschen wie Urlaub. Auf klimaschädliche Fernreisen kann ich längst verzichten.
Wein aus Brandenburg? Der Klimawandel macht es möglich. Als ich vor zwei Jahren einen verfallenen Bauernhof nördlich von Berlin kaufte und dafür meinen Wohnsitz in Süddeutschland aufgab, mischte sich in die Freude auch ein Schuss Wehmut. Neben ein paar Freunden würde mir nach dem Umzug vor allem mein Weinberg fehlen, den ich am Oberlauf des Neckars lange gehegt und gepflegt hatte. In Brandenburg wachsen Kartoffeln und Spargel, aber keine Reben. Dachte ich.
Reben im regnerischen England?
Deutschland ist zweigeteilt in Regionen, in denen Weinbau möglich ist, und Regionen, wo das nicht geht. Reben brauchen viel Sonne, sie gedeihen in Deutschland nur an den wärmsten Standorten, an geschützten Südhängen, wo die Sonnenstrahlung auch mal zu mediterraner Stärke aufläuft. Als grobe Grenze galt bisher der 50. Breitengrad, der verläuft ungefähr auf der Linie von Wiesbaden bis Frankfurt am Main und dann nördlich von Würzburg weiter in Richtung Tschechien.
Bei einer Wanderung in Südengland stand ich vor einigen Jahren am Rande eines großen Weinbergs. Ich staunte: Reben auf der regnerischen Insel? Aus Neugier kaufte ich eine Flasche Weißwein, und, ja, er war trinkbar. Weißweine eignen sich eher für klimatische Grenzregionen als Rotweine, weil bei ihnen Leichtigkeit und Säure durchaus erwünscht sind. Deshalb schmeckt deutscher Riesling auch um Welten besser als ein alkoholreicher, flacher Weißwein aus Sizilien. Es kommt eben nicht nur auf die Sonne an. Ein Wechsel zwischen kühlen Nächten und heißen Tagen verleiht den Trauben mehr Rasse, mehr Komplexität.
Auch in Norwegen gibt es Winzerpioniere
Der nördlichste Weinberg Europas liegt in Norwegen. Früher wurden dort in Kåsingrenda bei Gvarv – am Ende des Norsjø-Fjords, unweit des 60. Breitengrads – Äpfel angebaut. Doch seit 2008 werden auch Reben gepflanzt. Heute sind es schon mehr als 1.000 Rebstöcke. Und wenn stimmt, was Wissenschaftler für die kommenden Jahrzehnte leider prophezeien, dann haben die Winzerpioniere aus Norwegen alles richtig gemacht.
Der Temperaturanstieg in vielen Weinbauregionen der Welt betrug in den letzten 30 Jahren zwischen 1 und 1,4 Grad Celsius. Eine weitere Erwärmung um mindestens 1,5 Grad wird bis zum Ende dieses Jahrhunderts erwartet. Auf einer Landkarte im Auftrag des „Journal of Wine Research“, die den Weinbau im Jahr 2100 prognostiziert, haben zwei Wissenschaftler die neue nördliche Grenze der europäischen Weinanbaugebiete in Südschweden eingezeichnet. Auch Teile Finnlands liegen noch innerhalb dieses Gebiets. Sizilien und Süditalien dagegen nicht mehr. Zu heiß, zu trocken, zu ungeeignet für guten Wein.
Im Mittelalter wurde in Brandenburg schonmal gekeltert
Trifft diese Prognose zu, wird Brandenburg in 80 Jahren im Kerngebiet des deutschen Weinbaus liegen. Noch ist davon nichts zu sehen. Gerade einmal 30 Winzer gibt es in diesem Bundesland, kleine Betriebe und Leute, die das meist nur als Hobby betreiben. Im Vergleich: In Rheinland-Pfalz sind es 8.500. In Brandenburg bin ich nun also Winzer Nummer 31. Meinen „Antrag auf Genehmigung von Neuanpflanzungen für Weinreben“ habe ich bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung eingereicht, und er wurde, zu meiner Überraschung, genehmigt. Man darf nicht einfach anbauen, was man möchte, alles ist bis ins Detail geregelt. Die EU schreibt vor, dass Reben nur auf „weinwürdigen“ Grundstücken angepflanzt werden dürfen. Und welche Sorten erlaubt sind, regelt jedes Bundesland anders. Fünf Ar, das sind 500 Quadratmeter, also etwa die Fläche eines normalen Bolzplatzes für Jugendliche, stehen mir nun offiziell für die Anpflanzung zur Verfügung. Darauf finden etwa 200 Reben Platz. Teuer ist so eine Neuanlage nicht: Eine Jungrebe kostet nur etwas mehr als einen Euro.
Der Teil meines Gartens, der demnächst Weingarten sein wird, ist platt wie eine Flunder. Mit einem Weinberg hat das nichts zu tun. Der Boden ist sandig, Wein wuchs hier wohl noch nie. Obwohl … Im 12. Jahrhundert erschienen die ersten Mönche des Zisterzienserordens in dem Gebiet nordöstlich der Elbe. Sie waren bekannt dafür, überall, wo sie Kloster gründeten, auch Wein anzubauen. Als Messwein für die Dorfkirchen oder, wie in einer alten Klosterkladde noch zu lesen ist, um „sehr fröhlich“ zu sein. Immerhin war der Wein aus Brandenburg offenbar nicht ganz schlecht. So berichtet ein Reisender aus dem 16. Jahrhundert, er sei sogar „dem Rheinischen gleich“. Irgendwann war es damit jedoch vorbei, die Winter wurden wohl zu kalt. Erst der Klimawandel machte ein neues Kapitel für Wein in Brandenburg auf.
Der Klimaerwärmung bei allem Schrecken auch etwas Gutes abgewinnen
Bei der Auswahl der Sorten ließ ich mich von einem Experten für neue Züchtungen beraten. Jede Rebsorte hat andere Ansprüche an die Beschaffenheit des Bodens und die Sonnenenergie, es gibt eine neue Vielfalt von Möglichkeiten. Ich werde die Sorten Souvignier gris und Muscaris pflanzen, zwei Züchtungen, die früh reifen und nur wenige Behandlungen mit Pflanzenschutzmitteln benötigen.
Was waren meine Vorfahren am Neckar doch für arme Säcke! Abgerackert haben sie sich an steilen Hängen, um einen möglichst günstigen Neigungswinkel zur Sonne für ihre Reben zu erhalten; sie haben Natursteinmauern aufgeschichtet, um die Wärme zu speichern; und bei jedem strengen Frost schauten sie ängstlich aufs Thermometer. Da werde ich besser dran sein. Ich habe mich dazu entschieden, der Klimaerwärmung bei allem Schrecken über die drohende globale Katastrophe auch etwas Gutes abzugewinnen. Den ersten guten Tropfen kann ich dann in drei Jahren ernten.
Manchen Ländern wird beim Klimawandel ganz warm ums Herz. Eine Studie der University of California bestimmte 2018 die „Social Costs of Carbon“: Welchen wirtschaftlichen Schaden verursacht eine emittierte Tonne CO2? Während Indien (86 US-Dollar Schaden pro Tonne) am schlechtesten abschneidet, machen viele – oft ohnehin schon wohlhabende – Länder der Nordhalbkugel sogar ein leichtes Plus, etwa dank sinkender Heizkosten. Am besten sind die Aussichten für Russland, wo riesige ehemals gefrorene Flächen landwirtschaftlich nutzbar werden könnten.
Illustration: Bene Rohlmann/Sepia