In meinem Pass steht, dass ich Murat Koptas heiße. Aber mein Name ist Rober, das ist armenisch. Mein Vater fürchtete, dass ich damit Probleme beim Militär bekommen könnte, wir alle müssen hier ja Militärdienst leisten. Daher gab er mir offiziell den türkischen Namen Murat. Das ist nicht ungewöhnlich, in der Türkei haben viele Armenier zwei Namen. Sie sind ängstlich, sie versuchen unsichtbar zu sein. Ich teile diese Furcht nicht. Wenn ich jemanden kennenlerne, stelle ich mich als Rober vor, so steht es auch auf meinen Visitenkarten. Geboren und aufgewachsen bin ich in Istanbul. In der Schule habe ich Armenisch gelernt, aber mit meinen Eltern spreche ich meine Muttersprache: Türkisch. Erst mit 12 oder 13 Jahren begann ich zu realisieren, dass ich als Armenier in der Türkei „anders“ bin. Wenn ich mich zum Beispiel als Rober vorstellte, wurde ich oft gefragt, woher ich komme – dabei bin ich hier geboren! Über die Geschichte der Armenier in der Türkei haben wir in der Familie nie gesprochen. Vielleicht, weil glückliche Umstände verhinderten, dass sie Opfer des Massakers wurde. In Kastamonu, wo meine Familie mütterlicherseits lebte, verhinderte der Gouverneur den Massenmord. Die Verwandten meines Vaters entgingen der Deportation und dem Massaker in Sivas, weil sie dort als Brotbäcker von offizieller Seite geschützt wurden. Heute beschäftige ich mich in meiner Doktorarbeit mit den politischen Aktivitäten der Armenier in der Türkei zwischen 1908 und 1915. Geschichte interessiert mich. Vor allem aber bin ich der Auffassung, dass wir Armenier in Istanbul eine Art Mission haben: Türken und Armenier kennen sich zu wenig. Wir Istanbul-Armenier können die Brücke für eine friedliche Zukunft bauen.

Hier im Verlag Aras Publishing versuchen wir das, indem wir Bücher auf Armenisch und Türkisch herausgeben. Eigentlich gibt es in der Gesellschaft selbst gar nicht so starke Spannungen zwischen den Volksgruppen: Ich habe viele türkische Freunde. Für mich liegt das Problem eher bei den Offiziellen, den Politikern, manchen Journalisten. Sie äußern sich abfällig. Dahinter steckt der Versuch, in der Türkei ein starkes Nationalgefühl zu etablieren, indem man sich von Minderheiten wie Armeniern oder Kurden abgrenzt und sagt: Die sind anders.

Ein Beispiel: Vor einigen Jahren wurde in Paris ein Mahnmal zur Erinnerung an den Massenmord an den Armeniern aufgestellt, eine Statue des Geistlichen Komitas. Eine einflussreiche türkische Zeitung druckte ein Foto – und kommentierte es mit einer Illustration. Die zeigte einen Hund, der gegen das Gewand von Komitas pinkelt. So etwas ist demütigend! Mit meinen Freunden diskutiere ich die Armenien-Frage schon. In der Öffentlichkeit tun das wenige Leute. Wie gesagt: Die Menschen haben Angst. Wenn ich zum Beispiel einen Artikel zum Thema veröffentliche, ruft sofort meine Mutter an und fragt, warum ich so etwas mache. Aber wir sind eine neue Generation! In den vergangenen Jahren ist die Demokratisierung des Landes vorangeschritten. Das muss weitergehen, das ist der einzige Weg. Ich will zwar auch, dass die Türkei den Genozid an den Armeniern anerkennt, aber das ist nicht der Hauptpunkt. Wichtiger ist mir, dass wir die Armenien-Frage frei und ohne Angst überall diskutieren können. Ich wünsche mir, dass viele Armenier in die Türkei kommen, um die Orte ihrer Vorfahren zu besuchen. Und dass sie mit den Türken Freundschaften schließen. 

Rober Koptas, 29, arbeitet als Redakteur beim 1993 gegründeten Buchverlag Aras Publishing in Istanbul.Neben der Verlagsarbeit schreibt er an seiner Dissertation in Geschichtswissenschaften