Megaphone, Transparente mit Doppelhalter, Gesänge, Fanartikelverkauf: Würden sie nicht in einem Fußballstadion stehen, man könnte Ultras für eine Ökogruppe halten, die in den achtziger Jahren hängen geblieben ist. Auf Transparenten protestieren sie gegen die Kommerzialisierung des Fußballs oder die Politik der Vereine, möglichst nur noch angepasste Fans ins Stadion zu lassen. "Gegen den modernen Fußball" oder "Was ihr nicht kaufen könnt, verbietet ihr" gehören zu ihren Slogans. Ultras unterstützen Aktionen wie "15.30", weil sie nicht wollen, dass Fernsehsender ein Mitspracherecht bei den Anstoßzeiten der Bundesliga haben. Ultras planen aufwändige Aktionen, mit denen sie die Fankurve oder das ganze Stadion in die Farben ihres Vereins tauchen. Ihre Ziele: Spaß haben, den Fußball feiern und ihren Verein unterstützen, immer und überall.

Die Organisation von Ultra-Gruppierungen begann in Deutschland vor rund zehn Jahren, sie fiel zusammen mit dem Niedergang der britischen Fankultur, die bis dahin jahrzehntelang das Bild der deutschen Fankurven geprägt hatte: grölende Gesänge auf bekannte Melodien, mehrere Schals in den Farben der eigenen Mannschaft, alles in penetranten Biergeruch getaucht. Der so genannte "Kuttenträger" war eine speziell deutsche Form dieses Proll-Fans: das Vereinsemblem auf die Rückenseite der Jeansjacke genäht, drum herum dutzende Aufnäher.

Anfang der Neunziger gewann die italienische Fankultur an Einfluss. Das lag vor allem daran, dass sich das Publikum im Fußballstadion änderte. "Ultras kommen aus dem Bildungsbürgertum, sehr oft sind sie Studenten", sagt Gunter A. Pilz, Soziologe aus Bremen, der seit mehr als zwanzig Jahren die Gewalt im Stadion erforscht. Ein Mitglied der Ultras Hannover, selbst Geschichtsstudent, bestätigt das: "Viele Ultras haben sich aus der Kuttenszene rekrutiert. Damals dachte man irgendwann: Das sind doch alles Assis." Heute werden viele Erst- und Zweitligavereine von Ultra-Gruppierungen unterstützt, denen einige hundert Mitglieder angehören.

Die Ultra-Kultur entstand in den sechziger Jahren in Italien, als sich Jugendliche organisierten, um ihren Verein zu unterstützen. Nachdem Fans des AC Turin einmal einen Schiedsrichter, mit dessen Entscheidungen sie nicht einverstanden waren, bis zum Flughafen verfolgten, nannte eine Zeitung dies "ultra" – die Bewegung hatte ihren Namen. In den achtziger Jahren gab es Ultra-Gruppierungen mit mehr als 10000 Mitgliedern, zum Beispiel die Fedayn (SSC Neapel) oder Fossa dei Leoni (AC Mailand). Einzelne Gruppen sind konkreten politischen Richtungen zuzuordnen: Die Irriducibili Lazio (Lazio Rom) sind rechtsextrem, die Brigate Autonome Livornesi (AS Livorno) linksextrem. Und sie haben Einfluss. Die nazistischen Fans von Hellas Verona beispielsweise verhinderten mehrmals den Einkauf von schwarzen Spielern. Einmal demonstrierten sie im Stadion mit Ku-Klux-Klan-Kapuzen erfolgreich gegen eine bevorstehende Verpflichtung.

In Deutschland sehen Vereine, Medien, DFB und Sicherheitsbehörden die Ultra-Bewegung auch wegen dieser in Italien entstandenen Tendenzen bisweilen skeptisch und versuchen, etwaige Parallelen mit aller Macht zu verhindern. Die Ultra-Bewegung macht sich, kaum zehn Jahre alt, daher schon Sorgen um ihren Nachwuchs. "Die Jüngeren bekommen ein verzerrtes Bild vom Rechtsstaat und der Polizei, sie werden ständig drangsaliert." Das erzählt der Hannoveraner Ultra, der darum bittet, seinen Namen nicht zu nennen. Er sagt, Ultras ließen sich nicht gern von anderen reinreden. Andererseits seien die Reaktionen der Polizei auch nicht immer angemessen: "Wenn jemand gewalttätig ist und dann bestraft wird, sagt niemand etwas. Aber man wird ja schon bestraft, wenn eigentlich gar nichts passiert ist." Es sind Fälle belegt, für die Letzteres zutrifft. In Mönchengladbach wurde ein Ultra des FC Bayern dabei erwischt, wie er auf einer Toilette einen Aufkleber hinterließ – er bekam mehrjähriges, bundesweites Stadionverbot. Und in Freiburg wurden einem Fan von einem Polizisten mehrere Zähne ausgeschlagen. Doch zu einem Streit gehören immer zwei und die Ultras sind gute Provokateure. "Es gehört zu ihrem Selbstverständnis, die Polizei als Feindbild zu haben", sagt Pilz: Weil Ultras gern ihre eigenen Regeln aufstellten, gerieten sie automatisch mit Offiziellen aneinander, mit dem Verein oder den Ordnern. Zum Beispiel beim Thema Pyrotechnik: Bengalische Feuer gehören eigentlich zu den normalen Utensilien eines Ultras, in Deutschland wird aber sehr genau darauf geachtet, dass nichts dergleichen ins Stadion geschmuggelt wird. Am schlechten Image sei auch das Fernsehen schuld, sagt der Anhänger von Hannover 96: "Wenn in der Zweiten Liga ein bengalisches Feuer brennt, sind das Verbrecher. Aber wenn am Sonntagabend auf DSF internationaler Fußball gezeigt wird, ist es auf einmal südländische Begeisterung." Nicht zufällig sind die Medien das zweite große Feindbild der Ultras. "Sie fühlen sich von den Medien entmündigt, sie wollen ihr eigenes Event aufziehen", sagt Pilz.

Politische Ambitionen kann Pilz bei den deutschen Ultras nicht erkennen, seiner Ansicht nach kokettieren sie lediglich mit einem Begriff, der in Deutschland sofort die Assoziation zum Extremismus weckt. "Der Begriff Ultra ist eine bewusste Provokation ohne politische Inhalte." Die Schickeria München oder die Mehrheit der St.-Pauli-Fans sind dem neutralen oder eher linken Spektrum zuzuordnen – was nicht die Unterstützung einer bestimmten Partei bedeutet.

Auch wenn sicher nicht alle Ultras so gewaltfrei leben, wie sie häufig selbst behaupten, meint Gewaltforscher Pilz doch, dass die Verbände anders mit ihnen umgehen sollten. Die Medien- und Konsumkritik der Ultras, ihre regionale Verankerung sollten ernst genommen werden, sagt Pilz. "Sie sind der Seismograf für die gesamte Gesellschaft und deren Wünsche und Bedürfnisse. Das sind keine Spinner."

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