fluter.de: Frau Frank, darf Werbung uns etwas vormachen?

Heike Frank: In der Werbung geht es darum, bestimmte Tatsachen einer Marke als Grundlage für eine Inszenierung zu nehmen. Es ist vergleichbar mit einem Theaterregisseur, der einen Klassiker in der Hand hält und neu interpretieren muss, so dass es Spaß macht und Emotionen weckt. Natürlich gibt es einen Kern der Marke, den man transportieren möchte. Den hat man immer im Kopf.


Wenn Sie ein neues Produkt auf den Tisch bekommen, das der Auftraggeber in einem möglichst guten Licht darstellen will – wie gehen Sie an die Aufgabe ran?

Der erste Schritt bei meiner Arbeit ist, mich über das Produkt objektiv zu informieren.

Das tun Sie wirklich?

Ja, klar. Das Unternehmen kommt zu mir mit einem Briefing, wo meinetwegen steht: „Das Produkt kann Heu in Gold verwandeln.“ Das höre ich mir alles an, gehe nach Hause, packe das Briefing zur Seite und verschaffe mir einen Überblick. Ich recherchiere im Internet, spreche mit Freunden, um die Sicht des Konsumenten einnehmen zu können.

Würden Sie Werbebotschaften verbreiten, die nicht wahr sind?

Das bringt nichts. Denn das bedeutet: Ich lüge. So etwas geht immer nach hinten los. Sobald man eine Grenze der Unglaubwürdigkeit überschreitet, weiß man, dass der Konsument das einem nicht abnehmen wird. Der ist ja nicht blöd. Werbung ist als solche erkennbar und wird nicht wörtlich genommen.

Aber die Übergänge zwischen Ironie, sympathischer Verklärung und der dreisten Lüge sind in der Werbung ja oft fließend. Da ist der Energydrink, der Flügel verleihen soll, oder das Bier, das ohne Alkohol genauso schmecken soll  wie eines mit Alkohol. Wie kommen solche Behauptungen zustande?

Ganz praktisch gesehen besteht meine Arbeit niemals darin, mir irgendwelche Unwahrheiten auszudenken. Es ist genau andersherum, und nehmen wir mal das Beispiel mit dem alkoholfreien Bier. Mein Bier hat x Eigenschaften: Farbe, Geschmack und so weiter. Ich suche aber nach genau der Eigenschaft, die es einzigartig macht, das Alleinstellungsmerkmal, zum Beispiel: „Das einzige alkoholfreie Bier, das in Tests bei den Verbrauchern nicht als alkoholfreies Bier erkannt wurde, weil es so echt schmeckt.“ Bingo. Das ist ein toller Vorteil. Nun fange ich an, mir zu überlegen, wie ich das den Konsumenten auf verführerische Art sagen und zeigen kann. So entsteht dann ein Satz wie „Alles, was ein Bier braucht“. Dieser Satz ist in der Folge Ausgangsbasis für die Entwicklung einer ganzen Werbekampagne: Kernige, echte Typen, von denen man eigentlich nicht gedacht hätte, dass sie alkoholfreies Bier trinken, genießen in kumpelhafter Runde das Bier, denn es hat alles, was ein Bier braucht.

Gibt es Tricks, mit denen man kleine oder große Unwahrheiten in legitime Behauptungen verwandeln kann?

Das wäre ein falsches Verständnis des Berufs. Sicherlich werden beispielsweise negative Aspekte weggelassen. Aber jeder weiß, dass man auf der Autobahn sterben kann. Trotzdem fahren die Menschen mit dem Auto.

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Ein Amsterdamer Billighotel gibt offen zu, dass es laut und dreckig ist – und wirbt damit. Oder ist das auch wieder nur ein lustiges Spiel mit der Wahrheit? (Foto: KesselsKramer)

Ein Amsterdamer Billighotel gibt offen zu, dass es laut und dreckig ist – und wirbt damit. Oder ist das auch wieder nur ein lustiges Spiel mit der Wahrheit?

(Foto: KesselsKramer)

Trotzdem scheinen die Verbraucher der Werbung einige Hirngespinste nur zu gerne abzukaufen. Man denke nur an die angebliche „Piemont-Kirsche“, die ein Schokoladenhersteller sich ausgedacht hat. Ist das Publikum manchmal nicht doch zu leichtgläubig?

Ich finde das Werbepublikum enorm kritisch und aufgeklärt. Gerade in Deutschland schauen die Leute genau hin, um festzustellen, was da im jeweiligen Fall die Aussage ist und ob es korrekt ist, das zu zeigen und zu formulieren. Und ich als Werberin würde mir wünschen, dass es etwas lockerer wäre. Vielfach wird bemängelt, dass Werbung langweilig ist, ersetzbar und blutleer. Auf der anderen Seite kritisiert die Öffentlichkeit alles, was ein wenig über die Stränge schlägt. Klar ist Werbung auch eine Informationsquelle, aber ich würde mir wünschen, dass man sie stärker als Unterhaltung begreift.

Die Organisation Foodwatch verleiht jedes Jahr den „Goldenen Windbeutel“ an Lebensmittelhersteller. Zuletzt gab es den Negativpreis für Babynahrung, die als gesund beworben wird, aber aus Sicht der Organisation genau das Gegenteil ist. Und wie im Journalismus gibt es mit dem Deutschen Werberat eine Stelle, bei der man sich über nicht korrekte Werbung beschweren kann.

Ja, da gibt es auch Abmahnungen, allerdings nur in den gröbsten Fällen. Größtenteils regulieren sich die Agenturen selbst anhand des gesunden Menschenverstands. Unternehmen sind außerdem auch vorsichtiger geworden und konservativer. Sie versuchen immer mehr, die Werbung zu kontrollieren – ob sie funktioniert und welche Reaktion sie hervorruft.

Was ist aus Ihrer Sicht gelungene Werbung?

Im Idealfall erzählt Werbung eine Story, die mich mit auf eine Reise nimmt. Wie bei der Reklame für die Baumarkt-Kette Hornbach: Der Hobby-Heimwerker wird zum Helden, und jeder, der einigermaßen einen Hammer in der Hand halten kann, kann mit den Figuren auf dem Schirm mitfiebern.

Warum glauben wir so gerne an solche Heldenstorys?

Es gibt in unserer Gesellschaft nicht mehr so viel, woran man festhalten kann. Es gibt keine Religion mehr, die uns Regeln vorgibt, und niemanden, der uns sagt, was erstrebenswert ist und was nicht. Diese Rolle hat die Marktwirtschaft übernommen. Werbung ist das Sprachrohr und verkauft uns diesen neuen Glauben. Produkte sind Mittel, sich zu differenzieren. Werbung ist der Vollstrecker dieses Systems.

Mir würden noch andere Möglichkeiten einfallen, mich von anderen Menschen zu unterscheiden.

Das sehen Sie und ich so. Aber gerade Teenager identifizieren sich sehr stark darüber. Du bist, was du anhast, wie die Fotos von dir aussehen, wie deine Facebook-Seite aussieht. Das ist deine Leinwand. Wir leben in einem Mythos von grenzenloser Individualität. Das ist, was ich im Alltag beobachte, und es ist etwas, das ganz klar auf die Werbung abfärbt: Hier ist dein individueller Telefontarif, dort kannst du dir deinen Turnschuh ganz individuell zusammenstellen, um dich ganz einzigartig zu fühlen.

Ist das nicht moralisch etwas fragwürdig, diese Schwächen und Eitelkeiten der Menschen auszunutzen?

Was heißt Schwäche? Es ist der Zeitgeist. Da muss die Werbung drauf reagieren, sonst würde sie mit den Menschen nicht kommunizieren können. Zwischen der Werbung und den Menschen findet eine Interaktion statt, beide Seiten befruchten sich gegenseitig.

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cms-image-000044005.jpg (Foto: privat)
(Foto: privat)

Heike Frank ist selbständige Werbetexterin in Düsseldorf und arbeitet seit mehr als zehn Jahren in der Branche. Die 38-Jährige ist außerdem Dozentin für Text und Konzeption an der Fachhochschule Düsseldorf und Mitglied im Art Directors Club für Deutschland. www.heikefrank.com

Fotos: Heinrich Holtgreve, KesselsKramer, privatAndreas Pankratz ist freier Journalist und arbeitet in Köln. Bevor er vor einigen Jahren seine journalistische Laufbahn begonnen hat, versuchte er sich in einem Praktikum bei einer großen Werbeagentur als Texter. Recht schnell wurde ihm damals klar: Das Wahre ist das für ihn sicher nicht.