Heute würde man natürlich sagen: Was für ein moderner Mensch! Endlich mal einer, der nachhaltig denkt, die Ressourcen schont, etwas gegen die Klimakatastrophe tut und den nächsten Generationen eine bessere Welt hinterlässt. Aber für mich war er irgendwann einfach nur ein Arsch. „Suche Mitbewohner für 3-Zimmer-Wohnung. Du bist eher ruhig, hast nichts gegen Raucher, siehst nicht fern und möchtest nicht, dass Silberfische durch die Küche und das Bad laufen.“ So ungefähr stand es auf dem Zettel, den ich ans Schwarze Brett in der Uni geheftet hatte und auf den sich noch am selben Tag Matthias meldete. Wahrscheinlich hätte ich stutzig werden müssen, als er bei unserem ersten Treffen im Café nichts bestellte und mich stattdessen fragte, ob er das Glas Leitungswasser haben könne, das ich zu meinem Espresso bekommen hatte. Ich glaube, er hatte auch gleich mal eine Zigarette von mir geschlaucht.

Kurz nach seinem Einzug (außer einem Futon und einer Sammlung von Heften der Stiftung Warentest hatte er eigentlich nicht viel) wurde ein Vokabelheft angeschafft, in dem wir notierten, wer von uns wann wie lange telefoniert hatte. Die Telefonrechnung einfach durch zwei zu teilen, kam für Matthias nicht in Frage. Da ich öfter vergaß, meine Telefonzeiten einzutragen, zahlte ich irgendwann drei Viertel der Rechnung – Pi mal Daumen. Gegen die Teilung des Kühlschranks setzte ich mich erfolgreich zur Wehr, allerdings bestand Matthias darauf, zu jedem Einkauf mitzukommen, weil er mir nicht zutraute, die Sonderangebote als solche zu erkennen. Er selbst las jeden Morgen die Werbeprospekte, die aus der Tageszeitung fielen, und machte sich Notizen. Im Supermarkt wog er das Obst nach, um die Schalen dann entsprechend aufzufüllen, wenn ein paar Gramm fehlten. Ich fand es nur peinlich.

Besonders gern sparte er Wasser: Geduscht hat er nur selten. Um die Socken nicht jeden Tag wechseln zu müssen, hängte er sie abends zum Lüften raus. Auch seine Hemden hingen auf dem Balkon – tatsächlich rochen sie danach recht frisch. Dann machte Matthias den Vorschlag, nur noch bei jedem dritten Mal Pinkeln abzuziehen. Denn für das bisschen Urin würden acht Liter Wasser durch die Spülung rauschen, belehrte er mich. Ich fand die gelben Klopapierklumpen, die sich in unserer Toilette ansammelten, ganz schön ekelhaft.

Ich ließ das Licht brennen, schmiss halbvolle Milchtüten weg – nur, um ihn loszuwerden

Wenn wir mal in die Kneipe gingen, bestand er immer auf eine getrennte Rechnung. Einmal waren wir zusammen am Geldautomaten und danach in der Dönerbude, als er mich fragte, ob ich mal 40 Cent hätte. Auf meinen Hinweis, dass er doch gerade selbst Geld geholt hätte, antwortete er, dass er seinen Schein „nicht anbrechen“ wolle. Nach dem Essen drehte er sich wie immer eine Zigarette von meinem Tabak. „Ich rauche nicht Van Nelle, ich rauche Van Andern“, das war so sein Humor. Wie das ausging? Natürlich war unsere Zweckgemeinschaft irgendwann so zerrüttet, dass ich ihn nur noch loswerden wollte. Dafür setzte ich auf die totale Verschwendung. Ich schmiss halbvolle Milchtüten in den Abfalleimer, nur um ihn zu ärgern. Ich ließ überall das Licht brennen, stellte die Heizung schon im Spätsommer an und hoffte, dass er mir eines schönen Tages seinen Auszug ankündigen würde. Aber er wartete natürlich, bis es einen anderen, triftigeren Grund dafür gab, schließlich kostet jeder Umzug Geld.

Er zog schließlich nach München, wo er einen Studienplatz für Volkswirtschaftslehre bekommen hatte. Viele Jahre später habe ich ihn dort mal besucht. Er wohnte mit seiner Freundin und seinem kleinen Sohn in einer charmanten Altbauwohnung. Er servierte mir eine selbstgemachte Limonade und erzählte von seinem Job bei einem Unternehmen für Solarmodule. Ein Auto hatte er natürlich nicht, dafür war er Mitglied in einem Car-Sharing-Verein. Er fliegt so gut wie nie, macht lieber Urlaub in Deutschland, und den Konsumrausch an Weihnachten lehnt er ab. Ehrlich gesagt fand ich ihn voll sympathisch und hätte es ihm beim Abschied beinahe gesagt. Das habe ich mir dann aber doch gespart.