Das größte Rätsel ist das Hundebild: ein weißer Labrador am Strand, von seinem Frauchen am 13. März 2017 um 20.40 Uhr bei Facebook gepostet. Warum will ausgerechnet dieses Bild ein „Gefällt mir“ von mir?

Ich bin neuerdings ein professioneller Liker, ein Fan auf Bestellung. Für ein paar Cent gefallen mir: eine Après-Ski- Kneipe, diverse Zahnärzte, ein Burger-Restaurant, Preisvergleichsportale, Anwaltskanzleien, Online-Kasinos, Schauspieler, ein christlicher Radiosender; nur bei dem Großbordell mit „Geld-zurück-Garantie“ zögere ich mit dem Bekenntnis.

Ich habe mein Facebook-Profil bei einem Like-Vermittler registriert und bin nun einer von angeblich 1,6 Millionen Claqueuren, deren Beifall der Dienstleister an Unternehmen weiterverkauft. Angeblich ist das legal, heißt es auf der Internetseite. Umstritten ist es dennoch: Der Deutsche Rat für Public Relations spricht von einer „Verletzung der ethischen Regeln öffentlicher Kommunikation“, der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft von einer „unseriösen Irreführung“.

Im Netz sind Fans und ihre Gefallensbekundungen eine entscheidende Währung. Eine weltweite Umfrage der Marktforschungsfirma Nielsen hat 2015 herausgefunden, dass 66 Prozent der Verbraucher Online-Bewertungen vertrauen, nur das Wort von Freunden und Familie (83 Prozent) und Unternehmenswebseiten (70 Prozent) hat noch mehr Gewicht. Klassische Werbung ist dagegen weit abgeschlagen. „Wir lassen uns von Online-Bewertungen beeinflussen, selbst wenn wir wissen, wie unzuverlässig sie oft sind“, sagt der Internetsoziologe Stephan Humer.

Oft leuchtet mir ein, was man sich von meinen Likes verspricht: Man setzt sich lieber zu einem Arzt ins Wartezimmer, der viele gehobene Daumen bekommen hat. Eine Kneipe wirkt einladender, wenn sie im Netz nicht Leere und Langeweile ausstrahlt. Und ein Bordell erscheint wie ein ganz normales Service-Unternehmen, wenn sich vermeintliche Kunden bei Facebook mit Klarnamen outen.

Nur auf dieses Hundefoto kann ich mir keinen Reim machen. Das Profil der Halterin: unauffällig. Die Bilder vom Besuch mit der Familie im Affenwald: 25 Likes. Ein anderes Hundebild: 13 Likes. Der Labrador am Strand: 957. Ich klicke auf „Gefällt mir“, bin Nummer 958.

Ich frage bei einigen an, warum sie sich Likes kaufen. Zum Beispiel die Franchise-Kette aus dem Chiemgau, die aus dem Foodtruck heraus deutschlandweit Currywürste verkauft. Deren Geschäftsführer erklärt, warum es so schwierig ist, für Würste Publicity zu schaffen – und verweist ansonsten auf seine Werbeagentur. Die meldet sich jedoch nicht mehr. Der christliche Radiosender aus Berlin: Funkstille. Die Kandidatin aus dem „Promi Big Brother“: schweigt. Ein rechtsextremes Blog aus Bayern: keine Reaktion.

Am ehrlichsten ist der Schauspieler, der den Kommissar in einer ZDF-Vorabendkrimiserie spielt und gleich zurückruft. Die Sache sei so gewesen, erklärt er: Er habe früher einmal eine Seite für seine Fans bei Facebook gehabt, aber die sei irgendwann übergelaufen mit blöden Kommentaren, Leute, die seinem Vorgänger nachtrauerten und über ihn nur geschimpft hätten. Also hat er die Seite gelöscht.

Aber dann meinte seine Produktionsfirma, er müsse doch als Hauptdarsteller bei Facebook präsent sein. Es würde doch ewig dauern, seine Fans von früher wiederzugewinnen, habe er entgegnet. Man könne Fans kaufen, machten doch alle. 1.000 Stück für 89 Euro, lautete die Antwort. Er habe sich nichts weiter dabei gedacht, erzählt der Fernsehermittler am Telefon. Jetzt ist es ihm allerdings peinlich.

Amores Perros! Plötzlich bekommt ein deutscher Hund ganz viele Likes aus Südamerika

Und die Hundebesitzerin aus Thüringen? Warum braucht man Likes für ein privates Foto? Die Antwort zeigt, in was für eine absurde Kreislaufwirtschaft der Handel mit den Likes führt. Viele Unternehmen versuchen bei Facebook durch Gewinnspiele Aufmerksamkeit für sich zu bekommen – mit redlichen Mitteln also und ohne gekaufte Fans.

Ein Tierfutterhersteller zum Beispiel ruft seine Nutzer dazu auf, Hundefotos zu posten: Wer die meisten Likes bekommt, gewinnt. Bei solchen Wettbewerben, erzählt die Hundebesitzerin aus Thüringen, mogle sie ein bisschen. Einmal sei sie aufgeflogen: Sie hatte einen Haken falsch gesetzt, und plötzlich bekam ihr Hund lauter verdächtige Stimmen aus Südamerika. Ein anderes Mal habe sie gewonnen: ein Wochenende im Fünfsternehotel an der Ostsee im Wert von 800 Euro. Mit dem Labrador am Strand ist sie knapp gescheitert. Die Likes haben diesmal nur für den zweiten Platz gereicht.