Warum haben die Nazis des NSU ausgerechnet in Dortmund gemordet? Ist das ein Zufall? Fragen, die sich der Journalist David Schraven nach dem Bekanntwerden der Terrorzelle im Herbst 2011 stellte.

Schraven war damals Ressortleiter Recherche bei der WAZ-Mediengruppe in Essen. Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hatten sich nach einem Raubüberfall in Eisenach in ihrem Wohnmobil erschossen. Beate Zschäpe steckte wenig später die gemeinsame Wohnung in Zwickau in Brand. In den Trümmern des zerstörten Hauses fanden die Ermittler eine DVD, auf der sich das Trio zu den Morden an neun Menschen mit ausländisch klingenden Namen bekannte. Blumen- und Gemüsehändler, Kioskbesitzer und Dönerverkäufer waren darunter. Einer davon war Mehmet Kubaşık. Am 4. April 2006 wurde er im „Topkapi Grill“ in der Dortmunder Nordstadt erschossen.

„Warum fahren zwei Typen aus Thüringen nach Dortmund?“, fragt Schraven, der mittlerweile das gemeinnützige Recherchebüro CORRECT!V leitet. „Das macht alles keinen Sinn. In der Dortmunder Nordstadt ist überhaupt nichts.“ „Vielleicht war der Mord ein Signal. Ein Symbol, das irgendwer verstehen soll“, rät ihm ein Informant.

Also beginnt Schraven zu suchen. Investigative Recherchen sind seit Jahren sein Metier. Was er aufdeckt, sind Verbindungen. Vom Westen in den Osten, zwischen den Nazis in Nordrhein-Westfalen und Thüringen, aber auch ins europäische Ausland, nach Belgien. Damit widerspricht er der Trio-Theorie der Staatsanwaltschaft im NSU-Prozess, die Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe als mehr oder weniger isolierte Täter sieht.

Schraven steigt tief ein in den braunen Dortmunder Sumpf und stößt auf eine funktionierende Terrorzelle der Kampftruppe „Combat 18“, die sich als militanter Arm des rechtsradikalen Netzwerks „Blood & Honour“ versteht. Er erfährt von Nazis, die in Belgien von einem Offizier mit Waffen und Equipment des Militärs ausgebildet werden. Und er überredet einen ehemaligen Neonazi aus Dortmund, ihm anonym von seiner persönlichen Geschichte zu erzählen.

Doch dann schreibt Schraven all diese Recherchen nicht in einem Artikel zusammen, sondern verarbeitet sie zu einem Comic. „Weisse Wölfe“, benannt nach einer Sauerländer Nazi-Band – das Doppel-s im Namen ist Programm –, erzählt nun, wie gemäß Schravens Interpretation alles zusammenhängt. Es ist nicht Schravens erster Comic: 2012 rechnete er in „Kriegszeiten“ mit der deutschen Afghanistan-Strategie ab und porträtierte das Leben von Bundeswehrsoldaten am Hindukusch. Unterstützt wurde Schraven damals vom Zeichner Vincent Burmeister.

Diesmal arbeitet er mit dem Zeichner Jan Feindt zusammen, der 2005 mit einem Stück über das Leben von Beduinenfrauen in Israel bereits Comicreportage-Erfahrungen gesammelt hat. Feindts Bilder sind fast ausschließlich in Schwarz-Weiß gehalten, die Stimmung ist düster und kalt, die Seiten sind mit reichlich Nazi-Symbolik ausstaffiert. Harte Kontraste illustrieren eine brutale Welt, die Verwendung von gezeichneten Fotos verweist immer wieder darauf, dass der Comic auf echter Recherche, auf Fakten basiert.

Drei Erzählebenen sind in „Weisse Wölfe“ ineinander verschränkt. Da sind zum einen die Szenen, die Schravens Treffen mit Informanten, seine Lektüre von Polizei- und Geheimdienstakten und daraus resultierende Schlussfolgerungen rekapitulieren. Der Staat habe den Terror finanziert und über alles Bescheid gewusst, sagt Schraven. Parallel wird das Leben von Albert S. erzählt: Die etwas holzschnittartige Coming-of-Age-Geschichte eines Punks, der sich mit Türken prügelt und sich eines Tages den Iro zur Glatze rasiert. Wie im flackernden Licht eines Stroboskops gewährt der Comic so schlaglichtartig Einblick in eine Welt, die den meisten Menschen sonst fremd und verschlossen bleibt.

Und dann sind da noch die Turner-Tagebücher, die als lose und eng von Hand beschriebene Seiten dem Erzählten einen mutmaßlichen Rahmen verleihen. Der Amerikaner William L. Pierce veröffentlichte sie 1978 unter dem Pseudonym Andrew Macdonald, mittlerweile haben sie als eine Art Anleitung für den „Rassenkampf“ Kultstatus in der rechten Szene erlangt. Beschrieben wird darin der „führerlose Widerstand“ in winzigen Terrorzellen: Der Anschlag sei die Botschaft an die Gleichgesinnten, das Motiv die Message. Die Tagebücher gelten als Vorlage für militante Neonazis und waren es laut dem Bundeskriminalamt auch für den NSU.

Um diesen Zusammenhang geht es auch dem Autor, um „die Kommunikation der Tat“. Jeder Brandanschlag, jeder Mord, sagt Schraven, sei eine Nachricht an die anderen Terrorzellen, die andernorts autark agieren. „Die warten darauf, dass sich die Brände verdichten, damit sie den großen Anschlag planen können.“

All das zu lesen ist kein Spaß, und das ist gut so. „Weisse Wölfe“ ist ein Blick in den Abgrund, der aufrütteln und erschrecken, ja abstoßen soll. Anfangs mögen die Zeichnungen noch glauben machen, all das sei bloße Fiktion. Doch diese Schutzvorstellung wird am Schluss brutal entlarvt. Dann, wenn das Bild aufzoomt – und alle Orte in Deutschland zeigt, die Teil sein könnten ebenjener geheimen symbolischen Kommunikation.