Am hartnäckigsten hielten sich die Gerüchte um den dritten Turm, der am 11. September 2001 um 17:21 Uhr einstürzte. Dritter Turm? Eben. Die wenigsten kennen ihn, anders natürlich als die Twin Towers des World Trade Centers. WTC 7 stand leicht versetzt neben dem Nordturm. In das 174 Meter hohe Gebäude ist zwar kein Flugzeug gekracht, es wurde aber von herabstürzenden Trümmern des WTC 1 getroffen, wodurch ein Brand ausgelöst wurde. Bis dato ist noch nie ein vergleichbarer Wolkenkratzer durch einen Brand zusammengebrochen. Nach rund acht Stunden sackt er aber doch in sich zusammen. Auf Videoaufnahmen sieht das verdächtig gleichmäßig aus: Wurde der Turm etwa gesprengt? Und die Twin Towers ebenso? War es am Ende gar nicht al-Qaida, sondern die CIA? Kein Anschlag, ein Komplott?
All jene, die so was sagen, heißen in den USA „Truther“. Das sind gar nicht so wenige. Und sie waren sofort da. Verdächtig kam es ihnen etwa vor, wie schnell die Täter gefunden waren: die Namen der 19 Flugzeugentführer, das Netzwerk al-Qaida, hinter dem Osama bin Laden steckte. Wer so schnell den Schuldigen finde, mutmaßten die „Truther“, kann ja wohl vorher kaum unwissend gewesen sein. Bald brachten sie eine alternative Erklärung in Umlauf: 9/11 sei ein „Inside Job“ gewesen, ausgeführt von der eigenen Regierung. Willkommen in den USA, dem gelobten Land der Verschwörungstheorie.
Von Anfang an gehört sie zu den treuen Begleitern der Geschichte. War nicht Thomas Jefferson, dritter US-Präsident und Hauptverfasser der Unabhängigkeitserklärung, beim Geheimbund der Illuminaten? Der Kennedy-Mord, die Mondlandung, die Außerirdischen in Area 51 – die Debatten darüber gehören fest zum Inventar der populären Mythen. Um 9/11 gab es bald zwei zentrale Deutungsmuster. Auf der einen Seite ist da die „LIHOP“-Fraktion. Das steht für: „let it happen on purpose“. Die Anhänger glauben, dass die Regierung wusste, dass Terroristen einen Anschlag planten und nahm das wissentlich in Kauf. Dann gibt es noch den MIHOP-Flügel, kurz für: „make it happen on purpose“. Die Regierung – etwa mit einer privaten Sicherheitsagentur– hätte die Anschläge gleich selbst verübt.
Wozu das Ganze? Natürlich wegen des Öls und als Vorwand, um in den Nahen Osten einzumarschieren, meinen die Truther. Die Bush-Regierung brauchte einen Vorwand, den Nahen Osten nach den eigenen politischen Vorstellungen umzugestalten und so den eigenen Energiebedarf zu decken. Schon lange hätten die kriegslustigen Falken im Pentagon vorgehabt, die Sache im Irak endlich zu Ende zu bringen, die Bush senior noch zehn Jahre zuvor im Zweiten Golfkrieg unerledigt ließ.
Verschwörungstheorien sind erstmal eins: Vertrauenskrisen
Für solche Theorien bot sich mit der Bush-Regierung ein perfekter Nährboden. Ab 2003 nahm die Truther-Bewegung richtig Fahrt auf. Als klar wurde, dass es die Massenvernichtungswaffen, die noch kurz zuvor als Grund für die Invasion des Iraks genannt worden waren, dort gar nicht gegeben hatte, waren die Verschwörungstheoretiker nicht mehr zu halten. Verschwörungstheorien sind nämlich erstmal eins: Vertrauenskrisen. Je weniger Informationen die Behörden rausgeben, desto üppiger wuchern die Gerüchte. Und desto weitere Kreise ziehen sie. Fünf Jahre nach den Anschlägen glaubten nach einer Umfrage der Ohio University unter 1010 Amerikanern 36 Prozent , dass die Regierung entweder aktiv daran beteiligt gewesen sei oder sie nicht verhindert habe, weil sie in den Krieg ziehen wollte. Das änderte sich auch mit dem Abschlussbericht 2008 nicht grundsätzlich, den die US-Regierungsbehörde National Institute of Standards and Technology vorgelegt hat. Obwohl da alle Argumente der vermeintlichen Experten, die sich um den Beweis einer Sprengung von WTC 7 bemühten, widerlegt waren. So wurden weder Kabelreste noch Sprengkapseln oder Sprengstoffrückstände gefunden. Auch von einer Detonation hatte niemand etwas mitbekommen.
Wichtiger noch als technische Details, über die Experten ja öfter mal unterschiedlicher Meinung sind, scheint aber die Frage nach der Plausibilität eines geheimen Plans seitens der US-Geheimdienste. Warum sollten sie zusätzlich zu den Anschlägen auf das World Trade Center noch die beiden weiteren Jumbos gekapert haben, von denen der eine ins US-amerikanische Verteidigungsministerium gestürzt und der andere in Pennsylvania zu Boden gegangen ist? Als vorgeschobener Kriegsgrund hätte ein Anschlag auf die Zwillingstürme in New York allemal gereicht. Zudem sind die US-Truppen nicht direkt in den ölreichen Irak einmarschiert, sondern zuerst in Afghanistan. Ein extrem aufwendiger Umweg, fingiert, um die Sache weniger auffällig zu machen? Als Verschwörungstheoretiker muss man zuweilen selbst Gewalt anwenden – beim Hinbiegen der Tatsachen, sodass sie zur eigenen Theorie passen.
Ruhiger um die Truther-Bewegung wurde es schließlich nach der Wahl Barack Obamas zum US-Präsidenten im Jahr 2009. Unter den verbleibenden Aktivisten entsteht allerdings die nächste Verschwörungstheorie: Wieso wurde die Sache unter der neuen Regierung nicht noch einmal völlig neu aufgerollt? Die Erklärung ist schnell gefunden: Die Strippenzieher hinter 9/11 haben Obama installiert, um zu verhindern, dass die Wahrheit endgültig ans Licht kommt. Verschwörungstheoretiker reagieren auf jeden Einwand eben mit neuen Behauptungen. Deshalb bleibt dies nicht die einzige Verschwörungstheorie rund um den neuen Präsidenten. Da gibt es noch die „Birthers“. Sie behaupten, dass Obamas hawaiianische Geburtsurkunde gefälscht sei. Er sei in Wirklichkeit in Kenia geboren und dürfte laut Verfassung gar nicht Präsident der Vereinigten Staaten sein. Doch das ist eine andere Geschichte.
Als studierter Historiker glaubt Felix Denk grundsätzlich nicht alles, was Regierungen so verlautbaren. Als Journalist bewundert er die Hartnäckigkeit der Truther. Was ihm allerdings gar nicht einleuchtet: Wozu sollten die Verschwörer auch noch einen dritten Turm sprengen?