Eigentlich wollen sie hier, im Brachland zwischen dem Münchner Olympiapark, gläsernen Büroklötzen und einer Straßenbahnwendeschleife, keine Schilder aufstellen, sagt Daniel Schoppnies, Lockenkopf, schwarze Windjacke. Sie haben lange diskutiert auf ihren Versammlungen, für oder gegen mehr Regeln. Doch am Ende soll auch im Anarchismus der Salat gedeihen; und so wollen die GärtnerInnen vom Münchner Gemeinschaftsgarten „o’pflanzt is“ im nächsten Jahr „Kernbeete“ ausweisen und diese organisiert bewirtschaften. Daneben, in den „wilden Beeten“, darf weiterhin jeder anpflanzen, was er will. „Wir sollten das mal so laufen lassen“, sagt Schoppnies, dann sehe man schon, ob es funktioniert.

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Mitverwalter des Salatbauanarchismus: Sebastian Schoppnies im „opflanzt is!“ (Foto: Verena Kathrein)

Mitverwalter des Salatbauanarchismus: Sebastian Schoppnies im „opflanzt is!“

(Foto: Verena Kathrein)

Der Garten für alle – auch vier Jahre nach seiner Gründung bleibt er ein Experiment. In München träumen viele vom selbst geernteten Gemüse: Die einen suchen dabei das Gemeinschaftserlebnis, die anderen eine effiziente Art der Selbstversorgung. Gemeinsames Gärtnern mitten in der Stadt ist angesagt. Die Zahl der Gemeinschaftsgärten wächst kontinuierlich. Auf der Deutschlandkarte der Stiftungsgemeinschaft „anstiftung & ertomis“, die Gemeinschaftsgärten fördert und erforscht, fanden sich 2010 etwa 200 Gartenprojekte, nun sind es schon 454.

Dass GroßstädterInnen sich zusammentun, um gemeinsam Brachen in grüne Oasen zu verwandeln, sei kein Trend mehr, sondern eine „gesellschaftliche Bewegung“, sagt die Münchner Soziologin Christa Müller, die sich seit Jahren wissenschaftlich mit neuen Formen des Gartenbaus beschäftigt. Der Grund: „Die Menschen wollen selber Hand anlegen an ihre Umgebung, und sie wollen im Garten einen Teil der Selbstversorgung eigenständig erwirtschaften.“ Auch Schoppnies schloss sich mit dieser Motivation dem Gartenkollektiv an: „Ich wollte nicht über zu wenig Grünflächen motzen, sondern selber etwas machen.“ Außerdem brauche er von seiner Stadtwohnung zum Gemeinschaftsgarten mit dem Rad nur zehn Minuten, erheblich weniger als zu Gärten am Stadtrand.

Auch Erfinder basteln an Formen der Selbstversorgung – allerdings auf kleinstem Raum: Das Start-Up „Agrilution“ des 26-Jährigen Max Lössl will bald den „Plant Cube“ in Serie produzieren: In dem Schrank von der Größe von einer Waschmaschine sollen dann Salat und Kräuter wachsen – mit Hilfe von Leuchtdioden und künstlicher Bewässerung. Ob alle GroßstädterInnen demnächst ihr Gemüse im Schrank züchten werden? Lössl möchte realistisch bleiben: „Diese Technologie wird nie die Landwirtschaft ersetzen.“ Aber gerade in Ländern wie China, wo die Böden verpestet seien und man ein Vielfaches mehr für Bio-Gemüse zahle als in Deutschland, sei diese Form der Selbstversorgung eine lohnenswerte Alternative.

In Deutschland hat die Selbstversorgung mit Gemüse auch jenseits solcher Zukunftsvisionen eine Tradition: im Kleingarten. Anders als dort wollen die neuen GroßstadtgärtnerInnen aber zusammen gärtnern. Im Münchner „o’pflanzt is“ – der Name ist übrigens ein Wortspiel aus dem bayerischen Ausruf „O’zapft is!“ nach dem Anstich eines Bierfasses und dem Wort „angepflanzt“ – säen und ernten sie im Kollektiv. Derzeit seien etwa 45 Mitglieder im Verein, sagt Daniel Schoppnies, von Beruf Kaufmann. Mitmachen darf hier aber jeder, der kommt, egal ob Mitglied im Verein oder nicht. Die etwa 3.000 Quadratmeter große Grundfläche stellte ihnen der Bezirk Oberbayern zur Zwischennutzung zur Verfügung.

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Ich möchte Teil einer Blumenbewegung sein: Den Großstadtgärtnern geht es ums Gemeinschaftserlebnis (Foto: Verena Kathrein)

Ich möchte Teil einer Blumenbewegung sein: Den Großstadtgärtnern geht es ums Gemeinschaftserlebnis

(Foto: Verena Kathrein)

Anfangs kämpften sie mit dem Vorurteil, ein reiner „Akademikergarten“ zu sein – die HobbygärtnerInnen wollten aber auch MünchnerInnen aus anderen Schichten ansprechen. Auch Menschen mit Migrationshintergrund waren kaum im Verein aktiv: „Das klappte am Anfang überhaupt nicht“, sagt Schoppnies. Nun aber sei es anders. Seit Kurzem würden auch jugendliche Geflüchtete im Garten mitarbeiten.

Diesen integrierenden Aspekt betont die Soziologin Müller: „Viele Menschen können am Anfang kein Deutsch, wissen aber zum Beispiel, wie man ein Hochbeet baut. Die Menschen kommen sich auf einer wertschätzenden Ebene näher.“ Gerade heute, da wegen der teuren Mieten die Stadtteile weniger sozial durchmischt seien, stelle der Gemeinschaftsgarten einen Begegnungsort der unterschiedlichen Milieus dar, „der immer seltener wird, jedoch für eine demokratische Gesellschaft unabdingbar ist“.