Am östlichen Stadtrand von Berlin haben sie die Mauer wieder aufgebaut. Sie steht nun auf dem Hof der Sortieranlage: L-förmige Betonmodule, die ausreisewillige DDR-Bürger einst am Überqueren der Grenze nach Westberlin hindern sollten, 3,75 Meter hoch und einen Meter breit. Nach der Wende bekam die Entsorgungsfirma Alba den Auftrag, die nutzlos gewordenen Mauerteile einzusammeln und fortzuschaffen. Heute dienen sie als Trennelemente zwischen den Parzellen, auf denen würfelförmige Ballen mit verschiedenen Sorten von Kunststoffabfällen gestapelt werden. Auf diesem Gelände werden nämlich nicht nur die Relikte des realsozialistischen Regimes einer neuen Verwendung zugeführt, sondern auch der Verpackungsmüll der Berliner und Brandenburger.

Hier draußen in Mahlsdorf werden diese Abfälle sortiert, damit sie sich wieder in Rohstoffe verwandeln können. „Die Maschinen laufen von montags bis freitags rund um die Uhr im Drei-Schichten-Betrieb“, sagt Dirk Mellen, der Geschäftsführer der Alba Recycling GmbH, die die Sortieranlage betreibt. Der Einzugsbereich der Anlage reicht von der Stadt Brandenburg an der Havel im Westen bis zur polnischen Grenze im Osten. Auf diesem Gebiet leben etwa viereinhalb Millionen Menschen. Da kommt ganz schön was zusammen: rund 140.000 Tonnen Verpackungsmüll im Jahr.Die Stoßzeit beginnt gegen elf Uhr vormittags. Dann müssen die Lastwagen für eine Weile in der Schlange stehen, bevor sie ihre Fracht abladen können. Tag für Tag kommen ungefähr 80 Transporter an. Sie bringen die Inhalte der sogenannten Wertstofftonne, die sie am Morgen auf ihren Touren durch Stadtgebiet und Speckgürtel eingesammelt haben, größtenteils eingepackt in gelbe Säcke: Leichtverpackungen wie Joghurtbecher, Shampooflaschen, Getränkekartons und Chipstüten, aber auch andere Materialien, die sich wiederverwerten lassen, von Blechdosen und Folien bis hin zu kaputten Putzeimern und ausrangierten Spielsachen.

Die Laster kippen ihre Ladung in einer weitläufigen Halle ab. Manchmal landen hier auch Sachen, die in der Wertstofftonne eigentlich nichts verloren haben: Teppichböden und Sitzpolster, Staubsauger und Bürostühle, auch ganze Motorblöcke und Schrankwände haben sie schon rausgefischt. „Aber so etwas ist eher die Ausnahme“, sagt Dirk Mellen. „Die Berliner sind bei der Mülltrennung erfreulich diszipliniert.“

Der Abfallberg, der hier im Laufe des Tages heranwächst, wird von einem Bagger abgetragen, der eine Schaufelladung nach der anderen in einen riesigen Trichter an der Seitenwand hebt, den sogenannten Aufgabedosierer. Wenn am nächsten Morgen die ersten Lkw kommen, wird die Halle wieder leer sein. Was dagegen immer bleibt, ist ein etwas säuerlicher Geruch – ein bisschen wie am Glaspfandautomaten im Supermarkt: schon präsent, aber durchaus erträglich. Hätte man sich schlimmer vorgestellt.

In der Halle nebenan fließt der Müllstrom in einem ratternden und klappernden Labyrinth aus Förderbändern von Sortierstation zu Sortierstation. Im Leitstand, der in der Mitte der Halle thront wie die Kommandozentrale eines Raumschiffs und von dem aus alle Abläufe via Monitor überwacht werden, läuft „Happy“ von Pharrell Williams. Die gesamte Niederlassung hat rund hundert Mitarbeiter, doch den größten Teil der Arbeit erledigen Maschinen. Nur vereinzelte Irrläufer müssen noch von Hand aussortiert werden.

Beim nächsten Schritt, der sogenannten Windsichtung, werden leichte Teile wie lose Etiketten, Zeitungsseiten oder Folienstücke nach oben geblasen. Dann zieht ein Elektromagnet alle Komponenten aus Eisen und Weißblech vom Band. Um Metallteile auszusortieren, die nicht magnetisch sind, zum Beispiel Verpackungen aus Aluminium oder Spraydosen, erzeugt ein sogenannter Wirbelstromabscheider ein elektrisches Feld. Besonders stolz ist Mellen auf den Nahinfrarot-Scanner. Da jeder Kunststoff Licht auf unterschiedliche Weise reflektiert, kann diese Maschine unterscheiden, ob ihr gerade eine PET-Flasche, ein Joghurtbecher aus Polystyrol oder ein Shampoobehälter aus Polyethylen entgegenkommt. „Die Trefferquote der Nahinfrarot-Sortierung liegt bei 95 Prozent“, sagt er. „Wir lassen die Teile hier zweimal durchlaufen, dadurch erreichen wir die hohe Qualität.“ Am Fuß des Trichters, der vom Bagger auf der anderen Seite der Wand kontinuierlich befüllt wird und der für einen gleichmäßigen Materialstrom sorgt, reißen Zahnräder die gelben Säcke auf. Die losen Einzelteile fallen auf ein Band, das sie zu einer Siebtrommel befördert. Das Gerät hat einen Durchmesser von vier Metern und ist 18 Meter lang, es trennt alle Teile vom Strom, die kleiner als drei Zentimeter sind und bei denen es sich in der Regel um Fremdkörper handelt. An seinem Kopfende kann man durch ein kleines Kontrollfenster ins Innere der Maschine schauen. Dort tanzen Plastik- und Papierfetzen lautlos und zeitlupenartig durch die rotierende Trommel wie seltsame Lebewesen aus der Tiefsee.

Die einzelnen Sorten werden auf verschiedene Bänder gepustet und landen dann in einem speziellen Container. Am Ende werden die Einzelteile aus den Containern zu nahezu sortenreinen Ballen mit einem Volumen von etwa einem Kubikmeter und einem Gewicht von etwa 600 Kilogramm gepresst. Der Weg vom Trichter bis zum Ballen dauert 30 bis 45 Minuten. Auf diesem Weg haben sich 90 Prozent der Abfälle, die von den Transportern herbeigekarrt wurden, in Wertstoffe verwandelt. Was übrig bleibt, wird größtenteils als Ersatzbrennstoff in eine Zementfabrik geliefert.

Die Ballen werden nun von Gabelstaplern nach Wertstoffgruppen geordnet – neben den verschiedenen Verpackungsmaterialien und Folienarten sind das zum Beispiel Aluminium, Papierreste und Styropor – und auf dem Hof der Anlage zwischengelagert. Hier bleiben sie allerdings nicht lange stehen. „Es dauert in der Regel nur drei Tage, bis das sortierte Material wieder abtransportiert ist,“ sagt Dirk Mellen. Spezialisierte Abnehmer sind bereit, gutes Geld dafür zu zahlen. Zur Weiterverarbeitung werden die Wertstoffballen in die verschiedensten Richtungen abtransportiert. Um zwei Kunststoffarten kümmert sich Alba selbst: Polyethylen (PE) und Polypropylen (PP) kommen in eine Verwertungsanlage auf dem Gelände des Stahlwerks im rund 100 Kilometer entfernten Eisenhüttenstadt.

Nach der Aufbereitung hat sich der Wert etwa verfünffacht

Auch für diesen Betrieb ist Herr Mellen als Geschäftsführer verantwortlich. Hier riecht es etwas intensiver als in der Sortieranlage, da das Plastik im Zuge der Weiterverarbeitung eingeschmolzen wird. Für eine Tonne Kunststoff zahlt seine Firma im Schnitt etwa 200 Euro an die Dualen Systeme (siehe Kasten rechts). Nach der Aufbereitung in Eisenhüttenstadt hat sich der Wert des Materials ungefähr verfünffacht. Auch hier geschieht fast alles automatisch: Die schweren Ballen landen zunächst in einem Schredder, der die Kunststoffteile auf Bierdeckelgröße zerkleinert. Das geschredderte Material wird klein gemahlen und in heißem Wasser gewaschen, die Papieretiketten lösen sich dabei ab und werden herausgefiltert. Eine Zentrifuge trennt nun die schwimmenden von den sinkenden Teilen, daraufhin wird der Materialstrom getrocknet und mit Luftstößen nach Gewicht unterteilt. 

Die leichten Partikel werden zu einem rieselfähigen Agglomerat verdichtet, die schweren in einem sogenannten Extruder zu einer dickflüssigen Masse verschmolzen. Diese Masse wird am Ende durch eine Art Fleischwolf gedreht, der strohhalmdicke Fäden ausspuckt. Diese Fäden werden in kleine Stücke geschnitten, bevor sie trocknen und hart werden. Was dabei herauskommt, ist ein grobkörniges Granulat, das von Weitem ein bisschen an Rollsplitt erinnert. „Unser Rezyklat ist sehr vielseitig einsetzbar“, sagt Dirk Mellen.

Es wird unter anderem zu Blumenkübeln, Gartenstühlen, Plastikbehältern und Autoteilen verarbeitet. Immer wieder kommen neue Anwendungen hinzu. Durch Zugabe von Chemikalien während der Extrusion können die Eigenschaften des Kunststoffes beeinflusst und zum Beispiel farblich an die Bedürfnisse der Kunden angepasst werden. Die Qualität des Ausgangsmaterials ist beim Recycling von Kunststoffen jedoch kaum erreichbar. Ein Phänomen, das auch als Downcycling bezeichnet wird. Ein Joghurtbecher kann also nicht als Joghurtbecher wiedergeboren werden. Aber als Blumenkübel macht er sich ja auch ganz gut.

Heiko Zwirner war sechs Jahre lang Chefredakteur des Berliner Stadtmagazins „Tip“ und arbeitet heute wieder als freier Autor. Keiner kennt die Hauptstadt besser als er. Aber die Müllsortierungsanlage am östlichen Stadtrand war sogar für ihn Neuland.