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„Peking braucht Moskau“

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine geht es auch immer wieder um die Beziehung zwischen China und Russland. Eine Allianz der beiden Weltmächte gibt es aber nicht, sagt Ostasien-Expertin Marina Rudyak

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Xi, Putin

fluter.de: Frau Rudyak, im Krieg zwischen Russland und der Ukraine hat Peking sich mit einem „Papier für den Frieden“ eingebracht. Die USA und die EU reagierten skeptisch, das Papier wurde als prorussisch kritisiert. Zu Recht? 

Marina Rudyak: Das Papier wiederholt die Linie, die die chinesische Regierung auch bisher artikuliert hat. Die lautet: Russland nicht explizit als Aggressor eines Angriffskriegs auf einen souveränen Staat zu benennen. Das Papier ruft die Ukraine und Russland gleichermaßen zur Rückkehr an den Verhandlungstisch auf. Die Bedingungen für Verhandlungen zu schaffen ist aus chinesischer Sicht aber Aufgabe des Westens. 

China gibt damit dem Westen die Schuld am Krieg? 

Ja, aber uneingeschränkt aufseiten Putins steht die Führung in Peking nicht. Russland bereitet auch ihr Kopfzerbrechen, einfach weil Putin so unvorhersehbar ist. Aber Peking braucht Moskau. Solange die USA weiter einen Handelskrieg mit China führen und Sanktionen verhängen, aber auch weil Taiwan sich feindlich gegenüber China positioniert, braucht Peking einen Verbündeten. In Putins Krieg möchte China aber nicht hineingezogen werden, sondern neutral bleiben.

Aber was daran ist neutral?

Von „neutral“ im herkömmlichen Sinne kann man sicherlich nicht sprechen. Verbal unterstützt die Führung in Peking Russland. Aber nach allem, was wir wissen, hält sich China an die militärischen Sanktionen und rüstet entgegen einiger Medienberichte Russland bisher nicht systematisch auf.

Welche Ziele verfolgt China? 

China spricht sich klar gegen Atomwaffen aus und ruft zu einem Ende des Konflikts auf im Interesse der Länder, die auf die Getreide- und Nahrungsmittelexporte aus der Ukraine angewiesen sind. 

Ist China dabei glaubwürdig? 

Es geht weniger um Glaubwürdigkeit als darum, dass China mit seinem Friedensplan ausspricht, was viele Länder im globalen Süden denken. Die Kritik an der US-Hegemonie ist weit verbreitet. Zwar ist das ein Konzept, das zum chinesischen Narrativ gehört, wird aber in vielen Ländern des globalen Südens vielfach auch so empfunden. Vor allem in Afrika wird der Krieg zudem als ein westliches Problem gesehen, in das sie nicht hineingezogen werden wollen.

Moskau (Foto:  Cao Yang Xinhua / eyevine / eyevine / laif)
Willkommen: Im März 2023 wird der chinesische Präsident Xi Jinping bei seinem Staatsbesuch in Moskau auch von einem Plakat begrüßt (Foto: Cao Yang Xinhua / eyevine / eyevine / laif)

Aber wenn China es ernst meint mit dem Frieden – müssten die Vorschläge nicht viel konkreter sein?

Auch für Peking läuft nicht alles nach Plan. Bevor China seinen Friedensplan vorstellte, hieß es in Peking, Staatspräsident Xi Jinping höchstpersönlich werde eine Rede halten. Die fand dann aber nicht statt. Chinas Spitzendiplomat Wang Yi war kurz davor in Moskau, und ich vermute, dass Wang dort konkrete Schritte besprechen wollte. Darauf ließ sich Putin aber nicht ein. Das dürfte ein Grund gewesen sein, warum Xi dann doch keine Rede hielt. Er hatte nichts zu verkünden.

Warum überhaupt Pekings plötzliches Engagement?

Je länger der Krieg anhält, desto wahrscheinlicher ist ein Sturz Putins. Das ist aber ganz und gar nicht in Pekings Interesse. Putins Umfeld besteht aus Oligarchen. Ihre Gelder und Investitionen im Ausland sind wegen der westlichen Sanktionen gerade zum großen Teil eingefroren. Ein Szenario könnte also sein, dass Putin von Leuten gestürzt wird, die auf die USA zugehen wollen. Mit einer prowestlichen Führung in Moskau wäre China isoliert. Eine andere durchaus wahrscheinliche Option ist, dass jemand wie Ramsan Achmatowitsch Kadyrow, der Machthaber der russischen Teilrepublik Tschetschenien, an die Macht kommt. Jemand mit mafiösen Methoden. Das würde Russland noch unberechenbarer machen. Und das will Peking auch nicht.

„Aus Pekings Sicht ist nicht Selenskyj der Hauptverhandlungspartner, sondern Washington“

Xi schickt seinen Chefdiplomaten nach Moskau, empfängt den belarussischen Präsidenten Lukaschenko, einen Putin-Getreuen, hat aber bislang keinen Kontakt mit Ukraines Präsident Selenskyj aufgenommen – keine glaubwürdige Herangehensweise als angeblicher Friedensvermittler. 

Das stimmt. Um wahre Friedensgespräche zu initiieren, müsste Xi nach Kiew reisen. Seine Logik ist aber eine andere: Er gibt die Schuld am Krieg den USA, die seiner Ansicht nach unter dem Deckmantel der Demokratie unbewaffnete Revolutionen wie die auf dem Maidan in Kiew oder bei der Orangen Revolution von 2004 unterstützen. Er vermutet, dass die USA damit die eigenen Hegemonialbestrebungen befördern wollen. Wenn man diese Logik konsequent weiterdenkt, wäre der demokratisch gewählte Präsident der Ukraine nichts anderes als ein Produkt der USA. Aus Pekings Sicht ist also nicht Selenskyj der Hauptverhandlungspartner, sondern Washington.

Wie sollte der Westen auf Pekings Vorstoß reagieren?

Er sollte der Führung in Peking klarmachen: Das von China auf den Weg gebrachte Friedenspapier ist ein erster Ansatz. Aber es reicht nicht aus, andere anzumahnen, sondern China muss sich selbst konstruktiv einbringen. 

Chinas Verhältnis zu Russland war schon zu Sowjetzeiten schwierig. Wie würden Sie das chinesisch-russische Verhältnis jetzt beschreiben? 

Von Herzlichkeit und Liebe geprägt war es nie. Und auch jetzt bleibt das gegenseitige Misstrauen groß. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass Putin Xi vor dem 24. Februar 2022 über die Invasionspläne informiert hat. Xi hätte den Krieg nicht gutgeheißen, schon aus der Befürchtung heraus, Putin könnte die territoriale Ausdehnung der alten Sowjetunion anstreben. Die Staaten Zentralasiens sieht China aber als sein Einflussgebiet. 

Ist China nicht dennoch Nutznießer dieses Krieges? Schließlich ist Russland nun noch abhängiger von der wirtschaftlich sehr viel stärkeren Volksrepublik?

Absolut. China profitiert von niedrigen Rohstoffpreisen, weil Russland sein Öl und sein Gas in Europa nicht mehr loswird. Im Hightech-Bereich und beim Konsum füllen chinesische Unternehmen die Lücken, die westliche Firmen in Russland hinterlassen haben. Und selbst wenn es irgendwann zum Frieden kommt, wird diese Entwicklung nicht rückgängig gemacht werden können. Den russischen Markt haben nun Chinesen besetzt. 

Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup sehen die meisten US-Amerikaner in China den größten Feind der USA. Könnte diese Feindschaft Russland und China nun zusammenschweißen und zu einer Blockbildung wie im Kalten Krieg führen?

Verbal ist das sicherlich der Fall. Und doch ist die Lage eine andere als damals. China und der Westen sind heute wirtschaftlich eng miteinander verwoben. Die wirtschaftlichen Beziehungen zum Westen will China nicht grundsätzlich kappen.

Marina Rudyak ist Sinologin an der Universität Heidelberg und derzeit Vertretungsprofessorin für Chinas Gesellschaft und Wirtschaft an der Universität Göttingen.

Titelbild: Mark Ralston/NYT/Redux/laif

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