Vielleicht haben die Eltern dieses ungeborenen Kindes diesen Satz schon mal gesagt, den so viele Eltern sagen, wenn sie schon wieder gefragt werden, ob sie sich einen Jungen oder ein Mädchen wünschen: "Hauptsache gesund". Die vergrößerten Chromosomen auf dem Bildschirm sehen aus wie verbogene Würste. Ein Junge, sagt Maren Bierwolf und zeigt auf das Y-Chromosom. Sie ist medizinisch-technische Assistentin am Zentrum für Pränataldiagnostik in Berlin. Und sie sieht noch etwas, das über Leben oder Tod dieses Jungen entscheiden könnte: Sie sieht drei Chromosomen mit der Nummer 21, statt zwei. Trisomie 21. Nicht gesund? Der Junge wird mit dem Downsyndrom auf die Welt kommen. Oder besser: würde. Schätzungen gehen von ca. 90 Prozent Frauen aus, die sich dafür entscheiden, ein Kind mit Downsyndrom abzutreiben.

Die Pränataldiagnostik, in den Siebzigerjahren noch absolute Ausnahme für Risikopaare, ist heute Routine. Gibt es im Ultraschall Auffälligkeiten, können Ärzte dem ungeborenen Kind auf Wunsch der Eltern Zellen entnehmen und die Chromosomen untersuchen – in besonderen Notlagen können Frauen ihr Kind straffrei bis zum neunten Monat abtreiben. Es gibt Anzeichen dafür, dass bis 2020 in Deutschland möglich sein wird, was in anderen europäischen Ländern heute schon Routine ist: Nämlich, ein Kind nicht erst im Mutterleib zu untersuchen, sondern einen Embryo, noch bevor er in die Gebärmutter eingepflanzt wird, daraufhin zu überprüfen, ob er die Schwangerschaft "wert" ist oder nicht.

Es gibt Paare, die wegen eines erblichen Gendefekts ein hohes Risiko haben, ein schwer behindertes oder nicht lebensfähiges Kind zu bekommen. Bisher bleibt ihnen in Deutschland nur die "Schwangerschaft auf Probe" – wird bei der vorgeburtlichen Untersuchung des bereits gezeugten Kindes der befürchtete Gendefekt festgestellt, können sie es abtreiben lassen. Manche Paare hoffen auf die Präimplantationsdiagnostik (PID). Diese setzt voraus, dass ein Embryo durch künstliche Befruchtung im Reagenzglas entsteht. Seit 1978 das erste Retortenbaby, Louise Brown, in Großbritannien zur Welt kam, hat sich die Methode auch in Deutschland zum Standard für ungewollt kinderlose Paare entwickelt. Bei der PID also wird das Erbgut von Embryonen, die im Reagenzglas erzeugt wurden, auf genetisch bedingte Krankheiten untersucht, bevor man sie in die Gebärmutter einsetzt – in Deutschland galt das bisher als verboten. Was viele Wissenschaftler nicht nachvollziehen können. Professor Rolf-Dieter Wegner ist Humangenetiker am Zentrum für Pränataldiagnostik. Er sagt: "Nach deutscher Gesetzgebung ist es tatsächlich so, dass ein noch nicht implantierter Embryo, der aus ein paar Zellen besteht, derzeit mehr Rechte hat als ein schon lebensfähiger Fötus im Mutterleib. Sobald sich ein Embryo eingenistet hat, darf er abgetrieben werden. Das entbehrt jeglicher Logik."

Kritiker befürchten, dass nicht nur erblich vorbelastete Paare die PID nutzen würden, sondern auch Paare, die ihren Nachwuchs nach ihren Wünschen und Kriterien gestalten wollen. Axel W. Bauer sagt: "Es gibt kein Recht auf ein gesundes Kind." Er ist Professor für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin in Mannheim. Und seit 2008 ist er Mitglied des Deutschen Ethikrates, der den Bundestag in medizinethischen Fragen berät. Dort, sagt er selbst, sei er einer der konservativen Vertreter. Er will weiterhin ethisch und politisch für ein Verbot der PID in Deutschland eintreten. Er ahnt, dass das vergeblich sein wird. 

Denn vielleicht schon in diesem Jahr wird der Bundesgerichtshof über einen außergewöhnlichen Fall entscheiden: Ein Berliner Kinderwunschspezialist hatte sich bereit erklärt, drei erblich vorbelasteten Paaren die Schwangerschaft auf Probe zu ersparen. Er untersuchte alle im Reagenzglas erzeugten Embryos, ließ die genetisch auffälligen auf Wunsch der Paare absterben – und zeigte sich selbst an, um Klarheit zu schaffen. Ein Berliner Gericht sprach ihn 2009 frei, der Fall wurde an den Bundesgerichthof verwiesen, das Urteil steht noch aus. Bis zu dieser Entscheidung bleibt die strafrechtliche Beurteilung der PID umstritten. Im Embryonenschutzgesetz, das am 1. Januar 1991 in Kraft trat, ist sie nicht erwähnt, weil die Methode damals noch sehr neu war. Dort steht, dass mit Embryonen nichts getan werden dürfe, das etwas anderes als eine Schwangerschaft zum Ziel habe. Insofern, so sah es das Berliner Gericht, habe der Arzt nichts Verbotenes getan.