Es war ein Skandal, als N.W.A. aus Los Angeles im Sommer 1988 ihren Song „Fuck tha Police“ veröffentlichten, weil die Rapper sich darin in Gewaltfantasien gegen Polizisten ergingen. Amerika war empört. N.W.A. posierten in dem Stück als schießwütige Gangster und klagten gleichzeitig Rassismus und Gewalt seitens der Polizei an. Der Song inszenierte sich als Gerichtsverfahren, in der MC Ren, Ice Cube und Eazy E als Staatsanwälte auftraten. Der zentrale Vorwurf lautete: „Police think they have the authority to kill a minority.“

Auch KRS-One rappte gegen Polizeigewalt: „Woop-woop! That’s the sound of da police / Woop-woop! That’s the sound of da beast“, lautete der Refrain von „Sound of da Police“ aus dem Jahr 1993. Der New Yorker Rapper war politischer als die Kollegen von der Westküste. Er stellte Polizeigewalt gegen Afroamerikaner in einen historischen Kontext: Der „Officer“ sei der Nachfolger des „Overseer“, des weißen Aufsehers in den Plantagen des Südens, wo schwarze Sklaven arbeiten mussten.

Die Klage über institutionellen Rassismus, Racial Profiling und Polizeigewalt ist seit jeher ein Thema für Rapper gewesen. Und seit schwarze Musiker in den USA erfolgreich sind, wird in der afroamerikanischen Community darüber gestritten, ob es nicht ihre Aufgabe sei, sich diese Themen zu eigen zu machen. Und wenn sie schon nicht darüber singen und rappen, dann sollten sie sich doch zumindest öffentlich mit dem Kampf gegen Rassismus solidarisieren, ist oft zu hören.

„I am a young black rich motherfucker. If that don’t let you know that America understands black motherfuckers matter these days, I don’t know what it is.” (Lil Wayne)

Das aber leuchtet nicht allen ein. Im November musste sich Lil Wayne unter einem Shitstorm ducken, nachdem er Black Lives Matter kritisiert hatte. „I don’t feel connected to a damn thing that ain’t got nothin’ to do with me. If you do, you crazy as shit.” – „Ich fühle keinerlei Verbindung zu einer verdammten Sache, die nichts mit mir zu tun hat. Wenn du das tust, bist du scheißverrückt.” Später bat der Rapper um Entschuldigung bei allen, die sich durch seine harschen Worte verletzt gefühlt haben könnten. Er habe sich so aufgeregt, weil er davor Fragen zu seiner Tochter beantworten sollte, die als „bitch“ und „hoe“ beschimpft worden war.

In der Sache selbst aber gab Lil Wayne nicht nach. Bereits Monate zuvor hatte er in Zweifel gezogen, dass es in den USA noch Rassismus gebe. Eigene Erfahrungen hätten ihn zu dieser Überzeugung gebracht, einmal habe ihm ein weißer Polizist sogar das Leben gerettet. Als er sich später zu Black Lives Matter äußerte, führte er an: „I am a young black rich motherfucker. If that don’t let you know that America understands black motherfuckers matter these days, I don’t know what it is.” Er sei reich und erfolgreich, und wenn das nicht zeige, dass Amerika längst verstanden habe, dass Schwarze wichtig sind, dann wisse er auch nicht weiter.

Black Lives Matter wurde 2013 als Reaktion auf den Freispruch von George Zimmerman durch eine Jury gegründet. Der Wachmann hatte den afroamerikanischen Teenager Trayvon Martin erschossen – aus Notwehr, wie er behauptete. Die politischen Aktivistinnen Alicia Garza, Patrisse Cullors und Opal Tometi hatten mit dem Hashtag #BlackLivesMatter auf Twitter angefangen und schufen bald eine Graswurzelorganisation, die ohne charismatische Anführer auskommt und als Netzwerk strukturiert ist. Black Lives Matter etablierte sich als Bewegung, die in knapp 40 Ortsgruppen vertreten und dem internationalen Verband Movement for Black Lives angeschlossen ist. Sie orientiert sich an 13 Prinzipien – wie gesellschaftliche Vielfalt und gerichtliche Wiedergutmachungsverfahren – und organisiert unter anderem Demonstrationen als Antwort auf Polizeigewalt. In Ferguson, Charlotte und Baltimore kam es in den vergangenen Jahren zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei, nachdem junge schwarze Männer von der Polizei erschossen worden waren. Viele afroamerikanische Musiker solidarisierten sich seither mit den Anliegen von Black Lives Matter, darunter viel HipHop-Prominenz.

Lil Waynes Kommentare zu Black Lives Matter blieben daher erwartungsgemäß nicht lange unwidersprochen. Rap-Kollegen wie Vic Mensa oder T.I. rügten, Lil Waynes Äußerungen seien „absolut unakzeptabel“, er sei „selbstsüchtig und ignorant“; er solle sich schämen, seinen Kindern ein so schlechtes Beispiel zu geben. Der amerikanische Autor Sheldon Pearce kommentierte im Guardian: „Über Generationen haben sich viele schwarze Musiker und Entertainer dafür entschieden, in Zeiten bürgerlichen Protests außen vor zu bleiben und sich aus ihrer Blackness, ihrem Schwarzsein, und ihren sozialen Verpflichtungen zu verabschieden.“

„I don’t wanna talk about no fucking Ferguson and shit because I don’t live over there!” (A$AP Rocky)

Gibt es also eine Pflicht für Künstler, sich einer Sache anzuschließen, die von vielen als notwendig erachtet wird? Sind Künstler dazu angehalten, sich zu politischen Fragen zu äußern, die sie womöglich selbst betreffen? Lil Wayne war nicht der Einzige, der diese Frage mit einem resoluten Nein beantwortet hat. A$AP Rocky nannte die Black Lives Matter-Bewegung einen „fahrenden Zug“ und deutete damit an, ihre prominenten Unterstützer seien Trittbrettfahrer. Er hatte außerdem offenkundig keine Lust darauf, auf Schwarzsein reduziert zu werden: „Muss ich jedes Mal, wenn was passiert, dagegen aufstehen, weil ich schwarz bin?“, fragte er. Er sei kein Politiker und wolle nicht über Sachen reden, die ihn persönlich nicht betreffen und über die er zu wenig wisse: „I don’t wanna talk about no fucking Ferguson and shit because I don’t live over there!” („Ich will nicht über das verdammte Ferguson und den Scheiß sprechen, weil ich nicht da drüben wohne.“)

Während Lil Wayne und A$AP Rocky sich für die Kritiker so ihrer Pflichten als Afroamerikaner verweigerten, kritisierten andere Rapper den Fokus von Black Lives Matter auf Polizeigewalt: Das sei „Bullshit“, meinte etwa Kevin Gates, man solle sich zuerst einmal der grassierenden Gewalt Schwarzer gegen Schwarzer widmen: „Wir bringen uns gegenseitig um.“ Unterstützung bekam er von Hopsin: „In dieser Woche haben mehr Niggas andere Niggas umgebracht als Polizisten.“

„Just a boy from the hood that / Got my hands in the air in despair / Don't shoot,“ (Jay-Z, Spiritual)

Die Diskussionen um die Beteiligung und Nichtbeteiligung von Musikern an politischen Bewegungen werden weitergehen, nicht nur unter Afroamerikanern: Es wird immer Künstler geben, die sich verweigern. Entweder, weil sie denken, dass es nicht ihre Aufgabe ist, sich als Künstler zu konkreten politischen Fragen zu äußern. Oder weil sie persönlich nicht betroffen sind und daher keinen Grund sehen, sich entsprechenden Forderungen anzuschließen. Oder weil sie meinen, dass die gute Sache zu kompliziert ist, um sie auf Slogans herunterzubrechen.

Titelbild: Raymond Boyd/Michael Ochs Archives/Getty Images