Tag für Tag verbringen wir Stunden miteinander, bei der Arbeit oder abends, wenn ich einen Film schaue. Trotzdem ist er mir erschreckend fremd. Vor zwei Jahren habe ich den Laptop gekauft. Über sein Vorleben weiß ich kaum etwas. Was ist passiert, bevor er auf meinen Schreibtisch kam? Und wer musste leiden, damit ich an ihm arbeiten kann?
Natürlich weiß ich, dass unser Lebensstil Kosten hat, die andere tragen müssen. Manchmal versuche ich dagegen anzusteuern, meistens nicht. Ich kaufe Fair-Trade-Kaffee, aber ganz normale Schokolade. Ich habe ein paar nachhaltig produzierte T-Shirts im Schrank, die meisten anderen Klamotten stammen aber von den Standardmarken.
Mein persönlicher Lebensstil beruht auf der Arbeit von 23 Sklaven
Im Internet mache ich unter slaveryfootprint einen Test. Ich beantworte Fragen zu meiner Ernährung, meiner Wohnsituation, meinem Kleidungsbestand. Die Seite hat die Produktionswege von Hunderten alltäglichen Gegenständen auf Sklavenarbeit hin untersucht und mit Punkten versehen. Am Ende erfahre ich: Mein persönlicher Lebensstil beruht auf der Arbeit von 23 Sklaven. Zu einem großen Teil ist diese Zahl auf Elektronikprodukte zurückzuführen.
Man kann sich fragen, wie genau man so einen Schätzwert nehmen sollte und ob mit dem Begriff Sklaverei hier etwas freigiebig hantiert wird. Aber der Test erinnert mich daran: Hinter den Dingen, die wir kaufen, verbergen sich immer Beziehungen zu anderen Menschen. Der Anstand verlangt, dass wir Menschen respektvoll behandeln, die uns im Alltag begegnen, Kollegen, Freunde, Fremde auf der Straße. Muss das nicht auch für diejenigen gelten, mit denen wir nur über die Dinge verbunden sind, die wir kaufen? Die Bergarbeiter, die Mineralien für die IT-Industrie abbauen? Die Menschen, die in den Fabriken die Geräte zusammenschrauben?
Die Geburt meines Laptops verursacht Leid
Das Etikett auf der Unterseite verrät, dass mein Laptop in China gefertigt wurde und das Montagedatum: 18. September 2016. Ich rufe bei der Kundenhotline an. „Wo wurde mein Laptop gefertigt?“, frage ich einen Mitarbeiter. Der Servicemann am anderen Ende der Leitung reagiert merklich irritiert. „Na, in China“, sagt er. Pause. „Warum wollen Sie das denn wissen?“ Weitere Infos finde er im System nicht. Aber ich könne ja eine Mail schreiben.
Es ist wahrscheinlich, dass mein Laptop aus Chongqing stammt, einer Millionenstadt im Herzen Chinas. Zählt man das weitläufige Umland mit, ist Chongqing mit 32 Millionen Einwohnern die größte Stadt der Welt. Mehr als 60 Millionen Geräte gingen von dort aus im vergangenen Jahr in die Welt, fast jedes dritte verkaufte Notebook stammt inzwischen aus Chongqing.
Es ist wahrscheinlich, dass mein Laptop von Schülern zusammengeschraubt wurde
Ende 2016, als auch mein Notebook entstand, schleuste die in Hongkong ansässige Organisation „Students and Scholars Against Corporate Misbehavior“ einen verdeckten Mitarbeiter in ein Montagewerk ein. Das Ergebnis: Berufsschüler aus der Region wurden dort offenbar systematisch zu billiger Arbeit gezwungen, mit Schichten von 12 Stunden, teils über Monate hinweg, ohne einen einzigen Ruhetag. Ein Manager soll dem verdeckten NGO-Mitarbeiter gegenüber gesagt haben, dass Berufsschulpraktikanten rund 60 Prozent der Belegschaft stellen. Das wäre illegal. Das Gesetz erlaubt zehn Prozent. „Die Schülerpraktikanten sind gut, weil sie so flexibel sind“, wird der Fabrikmanager im Report der Organisation zitiert. „Es dauert nur wenige Wochen, um neue Praktikanten bei den Schulen zu bestellen.“
Angeblich sollen auch Geräte meines Herstellers in der Fabrik produziert werden. Sicher sagen lässt sich das kaum. Auf eine Anfrage der britischen Zeitung „Guardian“ zu den Vorwürfen äußerte sich mein Hersteller nicht. Auf seiner Internetseite beteuert er, dass er keine Zwangsarbeit von Schülern dulde und seine Geschäftspartner sorgfältig kontrolliere. Aber lässt sich das überprüfen?
Peter Pawlicki macht mir wenig Hoffnung. „Sie werden verschwindend wenig über Ihren Computer herausfinden.“ Pawlicki arbeitet für die Monitoring-Organisation Electronics Watch, die öffentliche Einrichtungen beim Einkauf von möglichst sozial produzierter IT unterstützt. Was nahezu unmöglich ist: „In der Elektronikbranche gibt es kein sozial nachhaltiges Produkt.“
Man könne den Herstellern daher nur das Versprechen abnehmen, dass sie reagieren, wenn irgendwo in ihrer Lieferkette Missstände bekannt werden. Dafür sammeln Pawlicki und sein Team die Informationen von Arbeitsorganisationen vor Ort. „Aber wir können immer nur aktiv werden, wenn in den Fabriken ein Produkt hergestellt wird, das unsere Mitglieder aus den öffentlichen Verwaltungen beziehen.“ Mein Hersteller steht nicht auf der Liste von Electronics Watch.
Fair produziert: eine Computermaus aus Regensburg
Derzeit verhandeln die Vereinten Nationen über ein Abkommen, mit dem Unternehmen dazu angehalten werden sollen, die Menschenrechte in ihrer Lieferkette zu achten. Noch gibt es kein Ergebnis. Sollten sich die Staaten doch auf ein strenges Abkommen einigen, dürften die Auswirkungen für die Computerindustrie groß sein.
Wie verworren die Lieferwege sind, zeigt die Geschichte von Susanne Jordan aus Bichl in Oberbayern. Sie arbeitete zunächst bei einer kleinen Rating-Agentur, die Nachhaltigkeit von Unternehmen bewertet – und wunderte sich: Es gibt fairen Kaffee, faire Kleidung, aber warum keinen fairen Computer? Also gründete sie einen Verein, um selbst sozial nachhaltige IT herzustellen. Fürs Erste nur eine Maus. Das simpelste aller IT-Geräte. Das dürfte doch ein Leichtes sein – oder?
„Derartige Daten stehen uns nicht zur Verfügung“, heißt es knapp
Tatsächlich tüftelte sie knapp drei Jahre, ehe sie den Prototypen präsentierte. Montieren lässt Jordan die Maus in einer Integrationswerkstatt in Regensburg – zu Bedingungen nach dem deutschen Arbeitsrecht. Aber wurden auch die rund 20 Bauteile der Maus fair produziert? Jordan versuchte, den Weg jedes Teils nachzuzeichnen, vom Zulieferer über dessen Zulieferer bis zu den Rohstoffproduzenten. Sie reiste nach China, sprach mit Unternehmen, erntete aber mit ihren Nachfragen wenig Verständnis. Die Spuren verlieren sich schnell. Woher bezieht der Schalterhersteller die Bleche? Und wo werden das Silber, das Zink und das Kupfer abgebaut, aus denen das Blech entsteht? Alles dunkel. Die Lieferwege ergeben ein komplexes Schaubild mit vielen Pfeilen – für ein Gerät, das doch eigentlich so simpel ist.
Nach einer Woche schickt mir der Hersteller endlich eine Antwort. Sie fällt kurz aus. Bedauerlicherweise könne man mir den Produktionsort nicht nennen. „Derartige Daten stehen uns nicht zur Verfügung“, heißt es knapp.
Titelbild: Tony Law / Redux / laif