Organspende ist Nächstenliebe“ – mit diesem Slogan werben Ärzte, Bundesregierung und sogar der Papst für die freiwillige Organspende. Nutzlos, sagt Peter Oberender, Professor für Wirtschaftswissenschaft an der Universität Bayreuth: „Wir werden das Problem der mangelnden Spendebereitschaft erst lösen, wenn wir einen geregelten Markt für Organe schaffen. Finanzielle Anreize wiegen in der Realität schwerer als das Wissen um eine gute Tat.“ Sein Vorschlag: eine Art Börse für Organe. Mit staatlich zertifizierten Maklern und einer internationalen Organaufsicht. Der Preis wird bestimmt von Angebot und Nachfrage, je gefragter ein Organ ist, desto teurer wird es. „Ein Markt wäre eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten“, sagt Oberender: Weniger Menschen müssten sterben, während sie auf ein Spenderorgan warten, der bestehende Schwarzmarkt würde ausgetrocknet, die Spender bekämen mehr Geld und würden von einer besseren Nachsorge profitieren.

In Deutschland warten derzeit rund 14 000 Menschen auf ein Spenderorgan, die meisten von ihnen brauchen eine Niere. 2005 waren 8853 Patienten auf der Warteliste für eine neue Niere. 2712 Nieren wurden transplantiert. Die anderen Patienten bleiben auf der Warteliste, jeden Tag werden im Schnitt drei von ihnen sterben. Es sei denn, sie fliegen zum Beispiel nach Indien und kaufen dort ein Organ, obwohl das – natürlich – illegal ist. Fast überall auf der Welt ist der Handel mit Organen verboten.

Aber warum eigentlich? Weil der menschliche Körper nicht zum Gegenstand ökonomischer Erwägungen werden dürfe, lautet das Hauptargument. Allerdings geschieht genau das längst. So wird eine Blutspende mit einer Mahlzeit, sogenannten Spendergeschenken oder sogar mit bis zu 40 Euro vergolten – und das Blut dann auch keineswegs in die ganze Welt verschenkt, sondern verkauft. Internationale Blutbanken verdienen viel Geld damit, denn Blut fällt in die gleiche Kategorie wie Organe: knappes Gut. Unter dem Deckmantel der „Gewebespende“ findet ein weltweiter Handel mit Sehnen, Knochen, Herzlappen und anderen Körperteilen verstorbener Menschen statt. Ein kompletter menschlicher Körper, recherchierte die amerikanische Autorin Annie Cheney in Leichenhallen und an medizinischen Hochschulen, ist etwa 75 000 Euro wert, andere sprechen sogar von 250 000 Euro. Alle momentan legalen Modelle, die zu einer Transplantation von Körperteilen führen, haben eines gemeinsam: Die Spender profitieren dabei am wenigsten, von ihnen erwartet man selbstlose Motive.

Hier setzt der Professor aus Bayreuth an, er betrachtet eine stark emotional und moralisch geprägte Diskussion unter sachlich-ökonomi-schen Aspekten. „Mir wird vorgeworfen, es sei eine Verödung des Geistes, über einen Markt für Organe auch nur nachzudenken. Aber ich sehe keine andere Lösung, als finanzielle Anreize zu schaffen. Und ein Markt beutet Menschen nicht automatisch aus oder diskriminiert automatisch die Einkommensschwachen.“

Den Organmarkt stellt sich Oberender so vor: Der potenzielle Spender wendet sich an einen Makler, der ihn an eine Beratungsstelle verweist. Dort soll sichergestellt werden, dass dem Spender die Konsequenzen einer Organspende bewusst sind und er aus eigenem Antrieb handelt. Ist der Beratungsschein ausgestellt, schließt der Spender eine Versicherung ab, die einspringt, falls er als Folge der Organspende selbst körperliche Probleme bekommen sollte. Diese Versicherung tritt in Kraft, sobald das Organ entnommen wurde, und wird von einem Teil des Geldes bezahlt, das der Spender erhält. Es folgt eine medizinische Überprüfung, erst dann bietet der Makler die Niere an, vermutlich auf einer speziellen Internetplattform. Das Angebot steht.

Gegner des Organmarktes befürchten, Patienten aus reichen Industrieländern könnten die Notlage anderer ausnützen, die keine andere Wahl haben, als eine Niere zu verkaufen. Oberender jedoch meint, man dürfe armen Menschen nicht aus moralischen Gründen die Möglichkeit auf ein besseres Leben nehmen: „Sonst müssten wir ihnen auch verbieten, gefährliche Arbeit etwa in ungesicherten Bergbaugruben zu verrichten.“ Zudem sei die Verdammung des Organhandels realitätsfern. „Es gibt längst einen illegalen, grauen Markt für Organe, mit furchtbaren Folgen. Bei uns sterben weniger als ein Prozent der Organspender, in Indien sind es sechzig bis achtzig Prozent, weil sie sich keine ordentliche Nachsorge leisten können.“ Auch das würde sich auf dem legalen Organmarkt ändern: Derzeit werden für eine indische Niere etwa 1500 Euro bezahlt, auf einem geregelten Markt stiege der Preis auf 40 000 Euro, schätzt Oberender. Und eine postmortale Organspende könnte wenigstens den Erben zu einer besseren Zukunft verhelfen: Das Geld aus der Versteigerung würde in die Erbmasse einfließen.

Organkäufer könnten Privatpersonen sein, aber auch Krankenkassen. „Und das ist das Entscheidende: So wird sichergestellt, dass auch einkommensschwache Patienten nicht übergangen werden“, meint Oberender. Krankenkassen hätten ein ureigenes Interesse, ihren Kunden ein Ersatzorgan zu besorgen: Es würde ihnen Geld sparen, rechnet Oberender vor. „Ein Dialysepatient kostet die Krankenkasse etwa 50 000 Euro im Jahr, und das im Schnitt fünf bis sieben Jahre. Eine Niere würde inklusive Operation nur 70 000 Euro kosten. Berücksichtigen muss man hier noch die Kosten für die Medikamente, damit das Organ nicht abgestoßen wird.“

Durch das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage bildet sich der Preis, das Geschäft wird abgeschlossen, und wenig später können Organentnahme und -transplantation stattfinden. In Oberenders Vision wären am Ende alle zufrieden und auf beiden Seiten Leben gerettet: die der wartenden Empfänger ebenso wie die der besser versorgten Spender. Die ethischen Aspekte eines Marktes für Organe bleiben kontrovers. Unumstritten ist die wirtschaftliche Seite, unter den Fürsprechern ist auch US-Starökonom Gary Becker. Und der ist immerhin Wirtschaftsnobelpreisträger.