Immer wenn ich vor einer Disco in der Schlange stehe, kommt das Gefühl der Anspannung auf, in die sich Vorfreude mischt. Alles oder nichts, das ist die Maxime für den Abend. Der Abstand zum Türsteher wird kürzer. Ich habe ein eher lässiges Outfit gewählt, eine Jeans und einen Kapuzenpulli. Das Raffinierte an diesem Pulli: Am Hals hat er drei Knöpfe, die man zuknöpfen kann. Dadurch schafft der Pulli den schmalen Grat zwischen lässig und elegant. Darauf bin ich ziemlich stolz, denn die Leute um mich herum sehen entweder zu lässig oder zu elegant aus. Einer trägt sogar einen Anzug.

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Fegefeuer der Körperlichkeiten: In einem Club braucht man schon mal starke Nerven - und ein gesundes Selbstbewusstsein.

Fegefeuer der Körperlichkeiten: In einem Club braucht man schon mal starke Nerven - und ein gesundes Selbstbewusstsein.


 

In der Disco geht es zu wie auf einem persischen Basar. Überall schreien knackige Frauenhintern herum, ausgestreckte Oberkörper feilschen um die Wette. Ich kann keinem dieser Mädchen lange in die Augen schauen. Die Musik wummert aus den Boxen, es ist heiß. So wird das nix heut Abend. Ich eile von der Tanzfläche aufs Klo. Die Wände sind voller Graffiti, es stinkt nach Pisse. Den hab ich gesucht! Ein kleiner quadratischer Spiegel hängt schief über dem Waschbecken. Ich schaue mir in die Augen und sehe eigentlich ganz gut aus. Finde ich. Aber als mein Blick an meinem Körper herunterwandert, weiß ich, was das Problem ist. Der dünne Stoffpullover verdeckt zwar meine Arme. Die unförmige Masse lässt aber trotzdem erahnen, was sie zu verbergen versucht.Dann der Einlass. Der Ordner grabscht an meinen Oberkörper rum – und ich darf rein. Der Lautstärkepegel ist kurz vorm oberen Anschlag. Es ist unendlich heiß. Aber ich ziehe meinen Pulli trotzdem nicht aus, denn dann würde man meine Oberarme sehen. Also eben nicht meine Oberarme. Bei den meisten Leuten wölben sich die Muskeln über den Unterarm nach außen, bei mir senkt sich die Muskelmasse fast bis auf den Knochen. Das schmälert mein eigentlich gesundes Selbstbewusstsein beträchtlich. So auch jetzt, wo ich auf der Tanzfläche einen freien Platz suche. Die Musik ist eintönig. PAM, PAM, PAM, dröhnt es aus den Boxen immergleich in meine Ohren. Ich tanze, mit jedem Schluck Bier immer mehr variierend, im Dreieck und schaue in die nebelumwaberte tanzende Meute.

Mit jedem Schluck wächst das Verlangen

Ich laufe zur Bar und trinke noch ein Bier. 
Ich bin ganz schön betrunken, merke ich. Und wie immer, wenn ich viel getrunken habe, wacht dieses Verlangen wieder auf. Mit jedem Schluck. Ich verlange nach Berührung, Zärtlichkeit. Einem Körper. Das Problem ist, dass alle anderen hier genauso empfinden wie ich. In einer Disco wird man analysiert, bewertet, auf sein Äußeres reduziert. Ich stelle mir vor, wie ich vor einer Jury posiere und die Oberarme anspanne. Ein Jurymitglied guckt peinlich berührt in die Kamera und hält ein Bewertungskärtchen mit der Note „Fünf“ nach oben.

Die Meute ist jetzt richtig gut in Stimmung. Ich aber auch. Ich stürze mich ins Gemenge und mache mich auf die Suche. Für eine Stunde wird der Alkohol meine Komplexe zurückhalten und mich in einen reißenden Wolf verwandeln. Der Schuppen gehört jetzt mir, die Discokugel zwinkert mir neckisch zu.
Ein Mädchen vor mir sieht wirklich gut aus, sie hat schulterlange blonde Haare und trägt Leggings. Sie tanzt elegant, sehr weiblich, ihr Körper zuckt nicht, er ist geschmeichelt von den Streicheleinheiten des Trompetensolos, er schmiegt sich an die Musik. Der Wolf knurrt, das Mädchen dreht sich zu mir, analysiert mich – und lässt mich allein. An meinem Oberkörper ist es gescheitert, da bin ich mir sicher. Ich bin nun mal ein Lauch, und junges Gemüse sucht eben nach Fleisch.

Kein Mädchen im Umkreis des Achselschweißes zeigt Interesse

Ich gebe mich nicht auf. Ich tanze jetzt echt cool. Ich erfinde Mooves, tanze fremde Opas an. Das müssen die Mädchen doch lustig finden, oder? Man muss aufwändig tanzen, um die oberflächlichen Gefühle zu wecken, meine ich. Ich tanze eine Weile allein. Die Wirkung des Alkohols lässt allmählich nach, ich muss mich beeilen. Kein Mädchen im Umkreis meines Achselschweißes zeigt Interesse. Ich beginne, wieder unsicher zu werden. Die Müdigkeit schleicht sich in die Glieder, mein Körper erschlafft. Das „Nichts“ schwebt bedrohlich über dem „Alles“.

Aber ich habe noch nicht verloren. Unverhofft lächelt mich das Mädchen an, das rechts vor mir tanzt. Ich schaffe es, zurückzulächeln. Sie passt einigermaßen in mein Beuteschema: Sie ist nicht wirklich hübsch, aber auch auf keinen Fall hässlich. Es klappt. Aber es ist nicht das Wahre, nicht das, was ich gesucht habe. Um der greifbaren Demütigung zu entkommen, musste ich Abstriche machen, und diese Abstriche waren dann am Ende schon gewaltig. Ich wanke aus der Disco und kotze auf den spärlich beleuchteten Asphalt. Ich schaue auf die kleinen Klumpen in der rosa Soße vor mir. Das war es wirklich nicht wert.

Damian Correa, 19 Jahre, ist Praktikant bei fluter.de. Außerhalb des Nachtlebens, wo es nunmal sehr auf die äußere Erscheinung ankommt, fühlt er sich in seinem Körper eigentlich sehr wohl. Das merkt man auch in unserem Film „Und, wie sehe ich aus?“, in dem er und andere Teeanager mal ganz offen über ihren Körper sprechen.