Es gibt "Männerfreundschaften", und es gibt "Frauensolidarität". Das eine klingt nach einer privaten Angelegenheit, nach Fußballspielen und Zusammenausgehen, das andere nach einer gesellschaftlichen Instanz, nach Demonstrationen, auf denen "Wir fordern eine Quote"-Transparente geschwenkt werden. Doch in Wahrheit sind die Verhältnisse häufig anders herum: Frauensolidarität beschränkt sich fast ausschließlich auf private Freundschaften, im öffentlichen Leben aber sind es die Männerbünde, durch die Karrieren gemacht werden und in denen Einfluss verteilt wird. Wer wissen will, warum Frauen lieber bei einem Cap-puccino plaudern anstatt gemeinsam für ihre Interessen zu kämpfen, muss an vielen Stellen suchen. Antworten gibt es im modernen weiblichen Selbstverständnis, im Berufsalltag, in der Kindheit.

Mädchen und Jungen werden immer noch unterschiedlich erzogen. Jungen dürfen raufen, Wut oder Ärger auch mal körperlich ab-reagieren. Mädchen dagegen werden getadelt, wenn sie sich mit jemandem prügeln. Die westliche Gesellschaft gesteht Jungen Aggressionen zu – sie sollen ja später auch eine Familie ernähren und beschützen können. Mädchen dagegen werden hauptsächlich zu guten Ehefrauen und Müttern erzogen. Sie lernen früh die von ihnen erwarteten Tugenden: Lieb, brav, fürsorglich, hübsch und zärtlich sollen sie sein. Aber natürlich sind auch Mädchen mal zornig. Weil sie aber gelernt haben, dass sich offenes aggressives Verhalten "für ein Mädchen nicht gehört", leben sie ihre Aggressionen subtiler aus als Jungen – indem sie sticheln, intrigieren, andere "fertigmachen". Und zwar vorzugsweise andere Mädchen, denn die wurden ja so erzogen wie sie und werden sich deshalb nur in seltenen Fällen offen zur Wehr setzen.

So wachsen Mädchen zu Frauen heran, die nie gelernt haben, Konflikte offen auszutragen. Ebenso vertrauen sie anderen Frauen nicht, können sich weibliche Verlässlichkeit trotz aller "Beste Freundin für immer und ewig"-Phasen nicht wirklich vorstellen. Aus dem "Zickenterror" der Teenagerzeit wird im Erwachsenenleben die "Stutenbissigkeit". Sie ist ein Reflex, der die Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft widerspiegelt, beispielsweise in einem Unternehmen: Will eine Frau aufsteigen oder auch nur eine Idee durchsetzen, dann wird ihr recht schnell bewusst, dass sie sich mit diesem Anliegen an die Männer wenden muss. Sie sind in den meisten Fällen diejenigen, die entscheiden, welche Ideen angehört werden, wer befördert oder gefeuert wird. Männer teilen ihren Einfluss, wenn es sein muss. Dann aber am liebsten mit anderen Männern, weil sie diese als sich selbst ähnlicher einschätzen. Anne Lauvergeon, Leiterin des größten Atomkonzerns weltweit, Areva, bestätigt diesen Mechanismus im Magazin Cicero: "Ein weißes Männchen stellt meist ein weißes Männchen an." Eine Frau muss sich das Vertrauen "der weißen Männchen" erst einmal hart erkämpfen. Taucht dann eine andere auf und will mit-mischen, ist sie eine Konkurrenz um die begrenzte Aufmerksamkeit der Machtinhaber – es muss "zugebissen" werden.

Dieser Reflex funktioniert heute wie vor dreißig Jahren, weil sich die Machtverhältnisse in der Gesellschaft immer noch nicht entscheidend geändert haben. Die Feministinnen der Siebzigerjahre verbanden mit dem Schlagwort "Frauensolidarität" große Hoffnungen: Wenn Frauen Netzwerke bilden, würde das zu einer weiblicheren, also irgendwie auch besseren Gesellschaft führen. Alice Schwarzer ist das Paradebeispiel für fleißiges Netzwerken: Sie bildet Zirkel mit Journalistinnen und Politikerinnen, kommuniziert in alle Richtungen. Doch die große Masse der Frauen tut es ihr nicht gleich. Nach der Frauenbewegung brach schnell das Zeitalter der totalen Individualisierung an, und leider verwechseln mittlerweile viele Menschen Individualität mit Einzelkämpfertum: Man könne alles erreichen, wenn man sich nur genug anstrengt, und vor allem könne jeder alles auch allein erreichen. Vor allem diejenigen, die zu emanzipierten Frauen erzogen wurden, haben dieses Mantra vom Individualismus verinnerlicht. Gelingt ihnen einmal etwas nicht, halten sie das für ihr ganz persönliches Versagen. Wer sein Scheitern dagegen auch mal auf geschlech-terrelevante Faktoren abklopft, gilt als total rückständig oder sogar als "Emanze", was für viele zum Schimpfwort geworden ist.

"Frauensolidarität" erscheint vielen wie eine Vokabel aus einem anderen Zeitalter. Doch das, was dahintersteckt, ist heute wichtiger denn je, und zwar nicht nur im Berufsleben. Wenn junge Frauen feiern, sollten sie darauf achten, dass ihnen keiner K.o.-Tropfen ins Glas kippt - was in den letzten Jahren vermehrt vorgekommen ist. Frauen bewegen sich heute in allen Bereichen der Gesellschaft und der Stadt und können nach wie vor Opfer eines sexuellen Übergriffes werden. Im Privaten kann Solidarität die negativen Folgen einer individualisierten Gesellschaft auffangen. Im gesellschaftlichen Leben aber können Mädchen und Frauen nach wie vor durch solidarisches Verhalten sogar die bestehenden Machtverhältnisse beeinflussen: Wenn sie die Leistung anderer Frauen anerkennen, statt sich über deren Schwächen zu definieren. Es ist natürlich leichter, über die schräge Frisur der Kommilitonin zu lästern, als ihre Anstren-gungen für ökologisches Mensaessen zu loben. Doch solange Frauen sich das Leben ge-genseitig schwer machen, werden sich die Strukturen nicht ändern.

Erst durch ein Miteinander, zum Beispiel beim Gespräch über Probleme in Studium oder Beruf, wird strukturelle Benachteiligung schneller als solche erkannt und nicht mehr so leicht als "individuelles Scheitern" abgetan. Nach dem Miteinandersprechen kommt das Miteinanderhandeln, sei es eben für ökologisches Mensaessen oder später in einem Unternehmen für einen rauchfreien Pausenraum – was auch immer: Die Erfahrung, dass Frauen sich auf Frauen verlassen können, wird ihr strategisches Verhalten grundlegend ändern. Weil sie lernen, dass nicht mehr nur die Männer zuständig für Machtfragen sind. Stutenbissigkeit und Zickenterror, Adieu.

Die Autorinnen veröffentlichen mit Meredith Haaf im März 2008 das Buch »Wir Alphamädchen. Warum Feminismus das Leben schöner macht« im Verlag Hoffmann und Campe.