Thema – Gender

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Viele Alleinerziehende sind von Armut betroffen. Über ein Leben zwischen Haushalt und Existenzangst

Als Isabelle mit 27 schwan­ger wird, ist sie glücklich. Die Hamburgerin ist damals selbst­ständig, koordiniert Freiwilligendienste und bereitet Menschen auf Auslandsaufenthalte vor. Die Schwangerschaft kommt zwar et­was früher als geplant, doch sie und ihr Mann wollen das Kind unbedingt. In den kommenden neun Monaten zeichnet sich jedoch ab: Ihr Mann, der Vater ihres heute vierjährigen Sohnes, ist für die Vaterschaft nicht bereit. Sechs Wochen nach der Geburt verlässt er Isabelle und das Baby.

Noch heute streiten sich beide vor Gericht um das Sorge­recht, weswegen Isabelle nicht mit ihrem richtigen Namen in diesem Text vorkommen möchte. Was es heißt, alleinerziehend – sie spricht lieber von „al­leinverantwortlich“ – zu sein, erfährt Isabelle relativ schnell: Ihr Sohn schreit nächtelang durch und kommt nicht zur Ruhe. Sie muss ihre Freiberuflichkeit aufgeben, denn die Seminare und Workshops, die sie gibt, finden fast immer abends statt. Aber sie hat Glück: Ihre Eltern unterstützen sie, Freunde und Freundinnen passen in den ers­ten Monaten regelmäßig auf das Kind auf, machen den Abwasch und gehen für sie einkaufen.

Noch heute ist Isabelles Alltag von ihrem Kind bestimmt. Die Zeit, in der es in der Kita ist, verbringt Isabelle in di­gitalen Vorlesungen und Semina­ren ihres Studiums der Sozia­len Arbeit. Wenn ihr Sohn um 20 Uhr schläft, muss sie sich um den Haushalt kümmern. Regelmä­ßig stapeln sich bei ihr zu Hau­se Geschirr und Wäsche. „Ich bin sehr glücklich darüber, Mutter zu sein, aber manchmal wünsche ich mir schon, dass ich einfach mal abends in eine Bar gehen könnte“, sagt die heute 31-­Jäh­rige. „An richtige Hobbys mag ich gar nicht denken.“ Wenn sie noch Energie hat, lernt sie oder entspannt sich in der Badewanne. „Solange abends keine Kinderbe­treuung angeboten wird, kann ich weder zu einem Elternabend noch zu einem Theaterstück gehen.“

88 Prozent der Alleinerziehenden in Deutschland sind Frauen

Als alleinerziehende Mut­ter ist Isabelle hin-­ und her­gerissen zwischen dem Gefühl, alles einfach hinschmeißen zu wollen, und der großen Freu­de über ihren Sohn. So wie ihr geht es vielen der 1,34 Millio­nen alleinerziehenden Mütter in Deutschland, die 88 Prozent al­ler Alleinerziehenden ausmachen. Alleinerziehend zu sein bedeu­tet für die meisten tatsäch­lich auch finanzielle Not. Viele Väter zahlen keinen Unterhalt oder müssen erst per Gerichtsbeschluss dazu gebracht werden. Da oft Kitaplätze fehlen, können viele Mütter nicht in Vollzeit arbeiten, nur 42 Prozent waren es 2017. So verwundert es nicht, dass alleinerziehende Mütter in Deutschland eines der größten Armutsrisiken aufweisen. „Die existenzielle Angst ist immer da“, sagt Isabelle. Gerade lebt sie von einem Studienkredit, hinzu kommen Unterhaltszahlungen vom Vater des Kindes und Zuwen­dungen ihrer Eltern. Trotzdem hat sie damit insgesamt gerade mal 50 Euro mehr, als ihr mit Hartz IV zustehen würde.

Der Austausch mit ande­ren Alleinerziehenden helfe ihr, denn oftmals könnten Eltern, die gemeinsam ein Kind großziehen, ihre Probleme nicht nachvollzie­hen. „Wenn ich höre: ‚Ich bin ja eigentlich auch alleinerziehend‘, weil der Partner ständig auf Geschäftsreise ist, werde ich echt schnell wütend.“ Oft ernte sie Mitleid anstelle von Anerkennung.

Aber Isabelle hat einen Plan. Sie will eine Beratungsstelle für alleinerziehende Mütter auf­bauen, in der diese unbürokrati­sche Unterstützung bekommen.

Titelbild: Cavan Images/Getty Images

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.