Sie sind klug, stark und wortmächtig: Schriftstellerinnen mit familiären Wurzeln auf dem afrikanischen Kontinent werden seit einigen Jahren auffallend gehandelt in der weltweiten Literaturszene. Während noch eine Generation zuvor fast ausschließlich Männer das literarische Bild von Afrika bestimmten, sind es heute vor allem junge Frauen, die international für Furore sorgen. So unterschiedlich die Länder sein mögen, aus denen die Autorinnen stammen, haben sie doch eine wichtige Gemeinsamkeit: Sie schreiben in der Regel auf Englisch, sind international sozialisiert, hochgebildet und damit typische Beispiele erfolgreicher „Afropolitans“, ein Terminus, den eine von ihnen selbst prägte.
Taiye Selasi
Die britisch-amerikanische Autorin Taiye Selasi war es, die 2005 in einem Essay die „Afropolitans“ in die Debatte warf und damit einer neuen Generation afrikanischstämmiger Menschen einen Namen gab: den urban geprägten, global denkenden Intellektuellen, die meistens in den großen Städten der (westlichen) Welt leben, das Afrika ihrer Herkunft aber gedanklich intensiv umkreisen. Selasi selbst hat einen ghanaischen Vater und eine nigerianische Mutter und hat über Familienverhältnisse, die ähnlich vertrackt sind wie ihre eigenen, einen packenden Roman geschrieben: In „Diese Dinge geschehen nicht einfach so“ (aus dem Englischen von Adelheid Zöfel, Fischer TB, 400 S., 10,99 Euro) stirbt ein Mann in Ghana, und seine über die Kontinente versprengte Familie kommt zu seiner Beerdigung zusammen. Die ungewollte Zusammenkunft hat eine befreiende Wirkung, denn dabei kommen ein paar unschöne, lange verschwiegene Wahrheiten ans Tageslicht.
Nadifa Mohamed
Im Jahr 1981 im somalischen Hargeisa geboren, floh Nadifa Mohamed mit ihrer Familie vor dem Bürgerkrieg nach England, als sie noch ein kleines Mädchen war. Sie studierte in Oxford Politik und Geschichte und arbeitete jahrelang für eine TV-Produktionsfirma, bevor sie Vollzeitautorin wurde. Das Romandebüt der Britin, „Black Mamba Boy“ (aus dem Englischen von Susann Urban, C.H. Beck, 366 S., 19,95 Euro), erzählt die Geschichte ihres Vaters, der als junger somalischer Seemann in die Fremde gezogen war und in Großbritannien lebte – ein Umstand, der ihm und seiner Familie später sehr die Flucht erleichtern sollte. Nadifas zweiter Roman „Der Garten der verlorenen Seelen“ (dtv, 272 S., 12,90 Euro) ist, sehr im Gegensatz zur exklusiv männlichen Welt der Seeleute im ersten Roman, ein Mehrfachporträt dreier sehr unterschiedlicher Frauen: Aus der Perspektive eines kleines Mädchens, einer ehrgeizigen jungen Offizierin und einer bettlägerigen alten Frau erzählt Nadifa Mohamed sehr spannend die Geschichte des Bürgerkriegs in Nordsomalia. Eines Tages, sagt sie, will sie diesen Roman vor Ort in Somalia verfilmen. (Das kann aber vielleicht noch dauern. Besser erst einmal lesen!)
Yvonne Adhiambo Owuor
Die Kenianerin ist eine Pendlerin zwischen den Welten. Mal in Kenia, mal in Europa lebend, hat Yvonne Owuor sowohl in Nairobi Anglistik studiert als auch im englischen Reading einen Master im Bereich Fernsehen/Video erworben. Die ausgesprochen visuelle, sinnlich aufgeladene Qualität von Owuors Prosa mag mit dieser Doppelqualifikation eng zusammenhängen. Da Yvonne Owuor beruflich in vielen Bereichen unterwegs und beschäftigt ist – unter anderem war sie Direktorin des Zanzibar Film Festival –, ist ihr literarisches Schaffen von der Menge her bisher recht überschaubar. Ihr kürzlich in deutscher Übersetzung erschienener erster Roman „Der Ort, an dem die Reise endet“ (aus dem Englischen von Simone Jakob, DuMont, 512 S., 22,99 Euro), an dem sie viele Jahre lang gearbeitet hat, ist dafür aber auch eine kleine Sensation. Owuor erzählt darin eine Familiengeschichte, in deren dunkle Geheimnisse erst nach und nach Licht kommt. Auslöser für die Romanhandlung ist der Tod eines jungen Mannes, eines Ingenieurs und politischen Aktivisten, der in Kenia auf offener Straße erschossen wird, während die Polizei danebensteht. Seiner Schwester, die schon vor vielen Jahren ihrem Heimatland den Rücken gekehrt hat und nun in Brasilien lebt, lassen die Umstände dieses Todes keine Ruhe. Sie beginnt umfassende Nachforschungen anzustellen. Denn auch der Familiensitz, ein mythisch aufgeladener Ort in einer abgelegenen, staubigen Gegend Kenias, birgt noch so manches ungelöste Rätsel. Großes Kino!
Chimamanda Ngozi Adichie
Sie ist beinahe eine Art Popstar der internationalen Literatur. Das liegt zum Teil daran, dass ein Pop-Popstar, nämlich Beyoncé, einen Text der Autorin – genauer: einen sehr inspirierenden Vortrag über Feminismus – vor ein paar Jahren in ihrem Song „Flawless“ sampelte. Auf einmal kannten sogar solche Menschen die nigerianisch-amerikanische Autorin, die sonst weder freiwillig ein Buch aufschlagen noch sich einen Vortrag über Feminismus anhören würden. Dem Verkauf von Ngozi Adichies bisher dickleibigstem Roman „Americanah“ (aus dem Englischen von Anette Grube, Fischer TB, 608 S., 9,99 Euro) hat Beyoncé jedenfalls sicher gutgetan. Doch es traf definitiv nicht die Falsche, denn „Americanah“ ist ein wirklich toller, geistreicher Schmöker. Adichie erzählt darin die nicht unproblematische Entwicklungsgeschichte einer jungen Nigerianerin, die sich in den USA durchkämpfen muss. Durchsetzt ist das Ganze mit unglücklichen und halbglücklichen Liebesgeschichten sowie tragikomischen Diskursen, etwa über Rassismus im Alltag. Auch Lifestyleprobleme, vor allem die Frage nach der richtigen Frisur für die richtige afrikanische Frau, kommen nicht zu kurz. Nebenbei bekommt man einen guten Eindruck von der gleichzeitig angespannten und hoffnungsvollen Atmosphäre, die während des ersten Obama-Wahlkampfs in den USA geherrscht haben muss. Chimamanda Ngozi Adichie, die genau wie ihre Romanheldin zum Studium in die USA gekommen war, pendelt heute zwischen den Kontinenten und lebt in den USA und in Nigeria.
Lola Shoneyin
Ebenso wie die berühmtere Chimamanda Ngozi Adichie stammt Lola Shoneyin aus Nigeria. Im Unterschied zu der amerikanisierten Kollegin wohnt sie aber permanent in Lagos, wo sie auch ein Literaturfestival leitet – und ist somit keine „Afropolitan“, wenn der Terminus tatsächlich beinhaltet, dass man meistens „out of Africa“ lebt. Ihre Mädchenjahre allerdings verbrachte Lola Shoneyin in einem englischen Internat, und auch die Erstausgabe ihres Romans „Die geheimen Leben der Frauen des Baba Segi“ erschien in einem britischen Verlag. Der Roman fällt thematisch aber deutlich heraus aus dem üblichen Themenkreis der „Afropolitan“-Literatur, die sich meist eher Fragen der multikulturellen Identitätsfindung widmet. Stattdessen gewährt die Geschichte, die Shoneyin zu erzählen hat, Einblick in einen so selten thematisierten wie intimen Bereich traditionellen nigerianischen Lebens: die Polygamie. Eine junge Akademikerin heiratet einen Analphabeten, der bereits drei Frauen hat. Die älteren Frauen hassen die Neue und machen ihr das Leben schwer, wo sie nur können. Doch die ewigen Intrigen haben ungeahnte Folgen – vor allem für den Mann, mit dem die Frauen verheiratet sind. „Die geheimen Leben der Frauen des Baba Segi“ (aus dem Englischen von Susann Urban, Edition Büchergilde) ist ein wunderbarer Roman voller Drama, Humor und tiefer Menschenkenntnis. Leider ist er hierzulande ein Geheimtipp geblieben und jetzt auch schon, zwei Jahre nach Erscheinen der deutschen Übersetzung, vergriffen. Aber was soll’s! Echte „Europolitans“ können ja zum englischsprachigen Original greifen, das mittlerweile in verschiedenen Ausgaben vorliegt und selbstverständlich auch als E-Book zu haben ist.
Illustrationen: Daavid Mörtl