Manchmal gab es Bandsalat. Dann musste man einen Bleistift nehmen und am Rad drehen, um das abgerollte Magnetband wieder aufzuspulen. Auch sonst war vieles unpraktisch an der Kassette: Das lästige Hin- und Herspulen, um den Lieblingssong zu finden. Das Umdrehen jede halbe Stunde. Dass der Klang manchmal so dumpf wurde, weil das Band oder der Tonkopf mal wieder schief saß. Alles Probleme, die für Musikliebhaber in der MP3-Ära ein bisschen so klingen, als würde Uropa vom Krieg erzählen. Dabei ist das Audiokassettenzeitalter gerade erst vorbei.


Bis in die 1960er-Jahre gab es nur Schallplatten und Tonbandgeräte, die viel zu groß, sperrig und kompliziert für den Privatgebrauch waren. Es war der Erfinder und Ingenieur Lou Ottens von der niederländischen Firma Philips, der den entscheidenden Impuls gab. Es begann damit, dass er einen Holzklotz schnitzte, klein genug, dass er in die Jackentasche passte. Er drückte den Holzklotz seinen Technikern in die Hand. Etwas in der Größe sollten sie entwickeln. Etwas, das so robust und einfach zu handhaben ist, dass es die Masse begeisterte.Nichts ist so alt wie die Tageszeitung von gestern oder eine Technologie, die vor gar nicht allzu langer Zeit abgelöst wurde. Die Audiokassette hat es verdient, dass man sich ihrer noch mal kurz erinnert. Sie war der Revolutionär, dem wir viele heutige Freiheiten des Musikhörens zu verdanken haben. Sie war „iTunes“ avant la lettre. Denn mit ihr kam überhaupt erst die Idee und die Gewohnheit in die Welt, das eigene Leben auch mit einer eigenen Auswahl an Lieblingsmusik zu untermalen. Und zwar überall.

So entwickelten die Philips-Techniker die „Zweilochkassette“. Sie bestand aus einem quaderförmigen Plastikgehäuse, das sich schützend um ein Magnetband aus beschichtetem Kunststoff schloss, welches als Tonband auf zwei Spulen gerollt war. Was aus dem Kassettenrekorder herausschallte, klang zwar nicht so gut wie professionelle Tonbandgeräte. Es war die Handlichkeit dieses neuen Tonträgers und seine Eigenschaft als Aufnahmemedium, wovon sich seine Erfinder den großen Sprung nach vorne versprachen.

Der sollte, nach einigen Nachbesserungen bei der Klangqualität, ab den 1970er-Jahren kommen: Hier war erstmals ein für Privatleute erschwingliches Medium, mit dem jeder seine Lieblingshits direkt aus dem Radio oder von der Schallplatte eines Freundes aufnehmen konnte.

In vielen Ländern haben iPods, Smartphones und andere digitale Audiotechnik die Kassette aus den Jackentaschen verdrängt. Der nächste große Sprung. Aber die Kassette ist noch nicht ganz verschwunden. In einigen Entwicklungs- und Schwellenländern schätzt man sie noch wegen ihrer Robustheit und weil man sie (und die Rekorder) wegen der einfachen Technologie so gut selbst reparieren kann. Ein Stück Selbstbestimmtheit, das mit der Digitalisierung verloren gegangen ist.

Deshalb kam in der Musikindustrie auch schnell die große Angst vor Umsatzeinbußen auf. Sie reagierte mit der Kampagne „Home Taping Is Killing Music“, Ähnlichkeiten mit heutigen Klagen über das Ende des Musikmarktes sind rein zufällig. Dabei konnten dank der Kassette unbekannte Bands ohne Chance auf einen Plattenvertrag kleine Editionen auch selbst vervielfältigen und vertreiben – wovon in den späten 70ern besonders Punkbands regen Gebrauch machten. Im Prinzip hatte mit Audiokassetten jeder die nötigen Mittel in der Hand, um vom hörigen Musikkonsumenten zum mündigen Hörer zu werden. Und so wurde es bald liebe Gewohnheit und Teil der Alltagskultur, auf Audiokassetten seine Lieblingssongs zusammenzustellen – und sich damit vor Freunden zu brüsten oder potenzielle Sexualpartner mit einem Mixtape zu beeindrucken. Und wer gerade alleine war, konnte sich mit dem Kopfhörer in seine eigene Klangwelt zurückziehen: Passend zu dem handlichen Tonträger gab es mit dem Walkman ab 1979 ein Gerät im Taschenformat, das es ermöglichte, die Musik zum ständigen Begleiter durch den Alltag zu machen.

Oliver Geyer kann sich noch gut an diese freudigen Momente erinnern, wenn man beim Zurückspulen zufällig genau den Anfang seines aktuellen Lieblingssongs traf. Eine andere Möglichkeit war, den Lieblingssong einfach acht mal hintereinander aufzunehmen. Aber das haben eigentlich nur die Mädchen gemacht.