Es kam alles so anders, als Josef es sich vorgestellt hatte – damals, 1994. Damals, als er dachte, dass ihm und seinem Heimatland Eritrea eine blühende Zukunft bevorstünde. Als er stolz war auf sein Land und seinen Beitrag leisten wollte. Hatte Eritrea doch ein Jahr zuvor, am 24. Mai 1993, nach 30 Jahren Krieg endlich die Unabhängigkeit von Äthiopien erlangt und mit dem ehemaligen Freiheitskämpfer Isaias Afewerki einen eigenen Regierungschef bekommen. Damals, 1994, verließ Josef gern seine Geburtsstadt Asmara, um zum Militär zu gehen.

Ursprünglich dauerte der Militärdienst, der auch zivile Tätigkeiten umfasst,  für alle Eritreerinnen und Eritreer 18 Monate. 2002 wurde er dann „offiziell“ auf unbestimmte Zeit verlängert – eine Praxis, die de facto auch vorher schon stattgefunden hat. Seitens der Regierung wird das vor allem damit begründet, dass eine ständige Bedrohung vom großen Nachbarstaat Äthiopien ausgehe. Von 1998 bis 2000 kam es zum Krieg mit Äthiopien, 2008 zum Konflikt mit Dschibuti, 2012 dann erneut zu kleineren militärischen Zusammenstößen mit äthiopischen Truppen. Josef hat sie alle erlebt, diese Konflikte wegen ungelöster Grenzfragen. Er wurde nie aus dem Militär entlassen – aus 18 Monaten wurden 19 Jahre. 19 Jahre, in denen er nie etwas anderes lernen durfte und so wenig Geld bekam, dass er kaum davon leben konnte. Einmal sei er abgehauen, um endlich seine Familie wiederzusehen. „Sie haben mich erwischt. Ich kam für ein Jahr ins Gefängnis“, erzählt der 40-Jährige. „Es war die Hölle. 50 Menschen in einem Raum. Wir konnten uns nicht mal zum Schlafen hinlegen.“ Danach musste er direkt wieder zum Militär.

Seit Jahren schottet sich das kleine Land am Horn von Afrika ab, es belegt den letzten Platz auf der „Rangliste der Pressefreiheit“ von „Reporter ohne Grenzen“. An gesicherte Informationen zu kommen ist schwer. Mehrere Quellen bestätigen jedoch, dass die von der Regierung angekündigte erneute Begrenzung des Militärdienstes auf 18 Monate, die ab Oktober 2015 gelten sollte, bis heute nicht umgesetzt worden ist. Wie so vieles andere. Geplante freie Wahlen fanden nicht statt, die Verfassung besteht weiterhin nur auf dem Papier und ist nie in Kraft getreten. Bis heute herrscht nur eine einzige Partei, und bis heute vereint Afewerki in sich das Amt des Regierungschefs und Staatspräsidenten. In den Gefängnissen sitzen Tausende Oppositionelle, Deserteure oder Mitglieder religiöser, vor allem christlicher Minderheiten.

„Ich habe gehofft, dass ich eines Tages ein freies Leben führen, heiraten, Kinder bekommen kann“, erzählt Josef. Doch all die Jahre des Militärdienstes zertrümmerten jegliche Hoffnung. „Mir wurde klar: Die Lage wird sich nie ändern.“ Josef floh. Nach syrischen und afghanischen machten eritreische Staatsangehörige die drittgrößte Gruppe aus, die in der ersten Jahreshälfte 2015 über das Mittelmeer nach Europa kam.

Einer von ihnen war Teklit. „All die Demütigungen und Ungerechtigkeiten haben mich fliehen lassen“, erklärt der 27-Jährige, der in Eritrea als Mathelehrer arbei-
tete. Er sei für vier Tage ins Gefängnis gekommen, weil er nicht unterrichten konnte. „Ich war krank! Aber in Eritrea stecken sie dich eben einfach so ins Gefängnis. Jeder saß schon mal.“ Selbst seine Mutter, weil ein Nachbar der Polizei verraten habe, dass sein Bruder zwei Tage nicht in der Schule gewesen sei. „Ich bin zum Gefängnis gegangen, um die Freilassung meiner Mutter zu erbitten. Sie brachten meine Mutter. Dann haben sie mich verprügelt, und sie musste zusehen. Ihre Schreie höre ich heute noch.“ Teklits Augen füllen sich mit Tränen, wenn er diese Geschichte erzählt – es ist nur eine von vielen. „Du hast keine Chance, dich zu wehren, wenn es keine Gerechtigkeit gibt“, sagt er. Eine Katastrophe sei das, für die Menschen und das Land.

Zurück nach Eritrea? Für Josef und Teklit ist das undenkbar: „Wir würden den Rest unseres Lebens im Gefängnis verbringen. Oder sie bringen uns gleich um.“