„Black is beautiful“? Der jamaikanische Dancehall-Star Vybz Kartel sieht das offenbar etwas anders: „Di gyal dem love off mi bleach out face“ – „Die Mädchen lieben mein gebleichtes Gesicht“, singt er in seinem Song „Look Pon We“ – und sein Wort hat in Jamaika Gewicht. Ebenso sein Gesicht. Wie er bleichen auch andere jamaikanische Musiker ihre Haut. Gaza Slim, Alkaline, Khago und auch Lisa Hyper, die in dem Song „Bleaching fit me“ ebenfalls davon schwärmt: „B When you bleach beauty is da answer“, singt sie und meint sinngemäß wohl: Wer bleicht, wird schön.

Was für ein Kontrast zum Reggae, also zu jener Musik, für die Jamaika noch immer berühmt ist und die für das Lebensgefühl vieler Jamaikaner so lange den Takt angegeben hat. Viele der bekannten Songs sind voller Stolz auf alles, was mit den afrikanischen Wurzeln zu tun hat, die ein Großteil der Menschen hier haben. Jamaika spielte auch eine wichtige Rolle in der Panafrikanischen Bewegung und der Black-Consciousness-Bewegung, die beide die afrikanische Abstammung der schwarzen Bevölkerung als wichtiges kulturelles Erbe ansehen oder sogar feiern. Oft war in den Liedern auch das Wort „Babylon“ zu hören – ein Sammelbegriff, mit dem die jahrzehntelange Unterdrückung der afrikanischstämmigen Menschen in diesem Erdteil durch die Europäer bezeichnet wurde. In Jamaika ist es durchaus auch üblich, eine Person als „Babylon“ zu bezeichnen, sofern sie europäischstämmig ist und deswegen für Unterdrückung und Tyrannei steht. Doch etwas Entscheidendes hat sich geändert. Seit Reggae als Sprachrohr der Jugend von Dancehall abgelöst wurde, kommt es auch schon mal vor, dass die Stars und ihre Songtexte dem Publikum empfehlen, „Babylon“, also hellhäutig zu werden, wenn sie in Jamaika noch zu etwas kommen wollen.

Dancehall gibt mittlerweile nicht nur den Ton, sondern auch das Toning an

Vybz Kartel, der ja schon eine Menge erreicht hat, geht denn auch gleich noch den nächsten Schritt. Er hat nicht nur für sich selbst das Aufhellen der Haut mit Hilfe von Chemikalien entdeckt, er hat auch eine eigene Reihe von Kosmetikprodukten auf den Markt gebracht, für die er nun selbst als Testimonial wirbt. Zwar gibt es auch Gegenstimmen aus der Dancehall-Szene, etwa von Künstlern wie Mavado und Sizzla Kalonji, die das Bleaching verurteilen. Und sogar Vybz Kartel selbst zeigte sich für die Länge eines Songs mit dem Titel „School“ reumütig und warnte zumindest Schulkinder, seinem Bleaching-Vorbild zu folgen. Aber insgesamt gibt Dancehall mittlerweile nicht nur den Ton, sondern auch das Toning an.

Was in Teilen Afrikas als „Skin Toning“, „Skin Whitening“ oder „auch Skin Bleaching“ bekannt ist, wird in Jamaika meist „browning“ genannt. Die Produkte tragen Namen wie „Piona“, „Ambi“, „Nadinola“, „Betnovate“, „Dermovate“, „Movate“, „Maxi white“, „Fair“ und einfach „White“. Und nicht wenige Jamaikaner mögen sich gar nicht für eines der Produkte entscheiden. Sie kaufen gleich mehrere davon und rühren sie zu Hause in Mischverhältnissen zusammen, die als Geheimtipps gehandelt werden: Ein bisschen davon, ein bisschen hiervon und dann noch ein bisschen Zahnpasta dazu – und es wirkt gleich noch mehr.

Mit einer helleren Haut, so die Überzeugung, eröffnen sich neue Chancen im Berufs- und im Liebesleben

Besonders verbreitet ist das Skin Bleaching unter jungen Jamaikanern in den größeren Städten. Mit einer helleren Haut, so die weit verbreitete Überzeugung, würden sich ihnen ganz neue Chancen im Berufs- und auch im Liebesleben eröffnen. Da könnten sie, wie es scheint, durchaus recht haben. Betrachtet man die Elite des Landes in Kultur, Wirtschaft, Politik und Sport, so zeichnet die sich fast durchweg durch eine etwas hellere Haut aus. Menschen mit dunkler Haut hingegen leben in Jamaika oft in der ständigen Erwartung von Zurückweisung und ahnen, sowieso nie dort oben an die Spitze der Gesellschaft hinzukommen. Sie erleben es immer wieder, dass ihre Fähigkeiten und Leistungen allein wegen ihrer Hautfarbe nicht gewürdigt werden. Also suchen sie ihr Heil in chemischen Mitteln, mit denen sie ihre Haut aufhellen.

Sozialer Status, Klasse und Hautfarbe sind in Jamaika, wie in vielen anderen Ländern, eng miteinander verflochten. Die Hautfarbe kann für die soziale Mobilität ein Beschleuniger oder eine Bremse sein – je nach Helligkeit eben. Der jamaikanische Sprint-Weltmeister Usain Bolt redete jüngst ganz offen darüber, wie die Hautfarbe sein Leben in Jamaika beeinflusst: „Ich lebte mal in einem Wohnkomplex, wo ich einige Schwierigkeiten mit Nachbarn hatte, die eine hellere Haut haben. Mein Nachbar war Rechtsanwalt und warnte mich: Sei vorsichtig, hier werden junge, strebsame Leute nicht gerne gesehen.“ Auch Portia Simpson Miller, die frühere Premierministerin von Jamaika, führt einen großen Teil der an ihr geübten Kritik auf ihre Hautfarbe zurück. Auch wer es weit gebracht hat in Jamaika, fühlt sich dennoch oft als Opfer des in der jamaikanischen Gesellschaft weit verbreiteten „Kolorismus“.

Mediziner und Politiker warnen eindringlich vor den Gefahren

Viele der Bleichmittel, die oft harmlos wie einfache Gesichtscremes daherkommen, sind in Wirklichkeit ungesund, weil sie schädliche Stoffe wie Hydrochinon und Quecksilber enthalten, die Hautirritationen, Hautausschläge und eine verstärkte Pigmentierung auslösen und schlimmstenfalls sogar krebserregend sein können. Mediziner und Politiker warnen eindringlich vor den Gefahren des Skin Bleachings und setzen sich dafür ein, diese Praxis zu stoppen. Die jamaikanische Regierung sah sich 2007 gar zu einer Aufklärungskampagne mit dem Titel „Don’t Kill the Skin“ herausgefordert – mit bescheidenem Erfolg: Untersuchungen zeigen, dass das allgemeine Aufhellen ungebrochen weitergeht.

Hinter dem Geschäft mit den Hautaufhellern steckt eine Milliardenindustrie. Bis zum Jahr 2020 soll der Markt laut Schätzungen von Global Industry Analysts weltweit 23 Milliarden US-Dollar schwer sein. Die Firma Unilever zählt mit ihren Marken Vaseline und Dove zu den wichtigsten Akteuren dieser Industrie. Die Aufhellungscreme „Fair and Lovely“ von Unilever etwa ist in Indien ein Verkaufsschlager. Die meisten Konsumenten dieser Produkte leben in Asien, Afrika und der Karibik. In Nordamerika und Europa sind solche Produkte wegen ihrer Inhaltsstoffe meist verboten oder werden nur unter massiven Einschränkungen zugelassen. Aber angesichts einer schwach ausgeprägten gesetzlichen Regulierung in vielen Entwicklungsländern haben die Firmen es dort oft viel leichter, Absatzmärkte zu finden.

An diesem Geschäft möchte auch Dancehall-Star Vybz Kartel mitverdienen. Er weiß eben sehr genau, wie man in Jamaika zu etwas kommt.

Agomo Atambire ist 27 Jahre alt und kommt aus Ghana, wo er in der Hauptstadt Accra Biotechnologie studiert hat. Im Sommer hat er ein sechswöchiges Praktikum in der Redaktion von fluter.de absolviert und währenddessen über seine Erfahrungen in Deutschland Tagebuch geführt. Nun ist er zurück in Accra und will seinen Master machen.

Illustration: Héctor Jiménez