Hier planten die Nationalsozialisten Verfolgung und Vernichtung. Hierhin schleppten sie Oppositionelle, verhörten und folterten sie. Die Zentralen von Gestapo, SS und Reichssicherheitshauptamt lagen mitten in Berlin. Eine Straßenbahn fuhr vorbei, der Potsdamer Platz war einen Steinwurf entfernt. Nach dem Krieg riss man die beschädigten Gebäude ab. Das Gelände lag brach, in Westberlin, direkt neben der Mauer. Man lud hier Bauschutt ab, und in einem „Autodrom“ konnten Fahrschüler sich im Autofahren üben.

In der ehemaligen Kunstgewerbeschule an der damaligen Prinz-Albrecht-Straße in Berlin befanden sich von 1933 bis 1945 die wichtigsten Zentralen des nationalsozialistischen Terrors: das Geheime Staatspolizeiamt mit einem eigenen Gefängnis, nebenan die Reichsführung-SS sowie der Sicherheitsdienst der SS – und während des Zweiten Weltkriegs auch das von Heinrich Himmler gegründete Reichssicherheitshauptamt. 1956 wurde das Gebäude abgerissen. 1992 die Stiftung „Topographie des Terrors“ gegründet. Seit 2010 ist dort ein Museum mit Dokumentationszentrum.

Das Gelände an der heutigen Niederkirchnerstraße ist einer dieser Orte, an dem sich die Gräuel der Nazis verdichteten. Ein deutscher Erinnerungsort. Jahrelang kämpfen Historiker und Bürgerinitiativen darum, dessen Geschichte sichtbar zu machen. Doch sie scheitern immer wieder – mal an politischen Differenzen, mal an bürokratischen Hürden.

Ende der 80er-Jahre bringen Ausgrabungen die Kellerwände der NS-Gebäude zum Vorschein. Der Kameramann Martin Gressmann wird aufmerksam auf den Ort und beginnt, ihn zu filmen.

Seine Oma hatte ihm erzählt, dass es in der Nazizeit „in Berlin eine bestimmte Straße gegeben hätte, durch die man einfach nicht durchging.“ Das sind Gressmanns Worte aus dem Off am Beginn seines Films „Das Gelände“.

Gressmann beobachtet – und wir mit ihm

Als Gressmann anfing mit dem Filmen, dachte er, die Brache würde bald mit Häusern bebaut, und plante einen Kurzfilm. Aber sie wurde nicht bebaut. Im Laufe der Jahre kommt Gressmann immer wieder zum Gelände und hält die Kamera drauf. Beobachtet Stapel aus alten Autoreifen. Halb herunterhängende Plakate. Wie Gräser im Wind schaukeln. Archäologen in einen Betontunnel steigen. Einen Mann, der nach der Grenzöffnung durch ein Loch in der Mauer schaut und schimpft. Bauarbeiter Sand schaufeln. Kinder Schlitten fahren. Die Kamera erkundet auch die Gegend um das Gelände. Vor dem Berliner Abgeordnetenhaus spielt eine Bundeswehr-Kapelle Blasmusik zur Verabschiedung der Alliierten. Am ehemaligen Reichsluftfahrtministerium wird ein Film gedreht. Die Jahre vergehen, der Dokumentarfilm ist gegliedert durch Zwischentafeln, auf denen Jahreszahlen stehen, 1985, 1989, 1999, 2006 …

Im Off hören wir Personen, die etwas zum Gelände erzählen. Ein Historiker schildert, dass die Gestapo gar nicht so „geheim“ vorging. Eine Biologin beschreibt, welche Pflanzen auf der Brache wachsen. Der gescheiterte erste Architektur-Entwurf für ein Ausstellungsgebäude kommt auch zur Sprache. Und so weiter. Ein Puzzle aus Informationsfragmenten breitet sich aus, zusammen mit den Bildern. Die Personen der Off-Töne bleiben unsichtbar, ihre Namen werden erst im Abspann genannt.

Gressmann beobachtet. Und wir beobachten mit ihm. Das ist das Schöne an diesem stillen Film. Er lässt uns in eineinhalb Stunden eine Reise machen, bei der wir mit den Augen am selben Ort bleiben, aber durch die Jahre wandern. Von 1985 bis 2013. Es ist ein Ort deutscher Geschichte, doch es geht darum, was hier Jahrzehnte später passiert. Oder nicht passiert. Und wie auch das Geschichte wird.

Der Film schenkt Atmosphäre und Blicke. Aber wenig Information. Die muss man selbst mitbringen oder sich nach dem Film holen. Wer mit wenig Vorwissen in diesen Film geht, wird mit noch mehr Fragezeichen hinausgehen. Das ist nur dann frustrierend, wenn man eine traditionelle Doku erwartet, mit Interviewpartnern, die in die Kamera schauen, mit Archivaufnahmen, Erklärungen und Einordnungen.

Gressmann hat hingegen einen radikal kontemplativen Film gemacht. Da hätte er auch auf den Tonspur-Schmuck verzichten können, der an einigen Stellen erklingt, zum Beispiel ein Straßenbahnbimmeln, wenn aus dem Off von der Tram berichtet wird, die früher dort vorbeifuhr. In die Reduziertheit des Films passen aber die Zwischentafeln mit Hinweisen, die manchmal auftauchen wie in Stummfilmen. Gegen Ende steht auf so einer Tafel: „Am 6. Mai 2010 wird das Dokumentationszentrum ‚Topographie des Terrors‘ eingeweiht.“ Es folgen die letzten Bilder, die Gressmann gefilmt hat. Das Gelände hat sich gefunden.

„Das Gelände“, Regie und Buch Martin Gressmann, Deutschland 2014, www.das-gelaende.de