fluter: In den sozialen Netzwerken posten Fußballer oder Popstars ihre Sportwagen, Goldketten oder Gucci-Taschen. Und wer es sich nicht leisten kann, hält die Imitate von Luxus-Accessoires in die Kamera. Ist das Protzen gesellschaftsfähiger geworden?
Eva Gajek: Die Praktiken der Zurschaustellung des Reichtums bleiben nie konstant. Sie ändern sich, weil sie unterschiedlichen zeitgenössischen und auch internationalen Einflüssen unterliegen. Die Frage, wie legitim das Zeigen von Statussymbolen wie der Goldkette oder des Ferraris ist, wird dabei von Gesellschaften unterschiedlich und immer wieder neu verhandelt. Bei den heutigen Popstars oder Fußballern könnte man schnell von „Neureichen“ sprechen. Diesen wurde schon im 19. Jahrhundert ein Hang zum Luxus zugeschrieben. Diese Gruppe der Reichen habe gerade das Zeigen von Reichtum genutzt, um ihren sozialen Aufstieg deutlich zu machen. Teile des Adels haben sich Ende des 19. Jahrhunderts von solchen Luxusdarstellungen ganz bewusst mit einer „Kultur der Kargheit“ abgegrenzt.
Aber die Möglichkeiten des Zeigens sind heute ganz andere.
„Jeder kann selbst entscheiden, was er in die Kamera hält. Instagram etc. bieten ganz neue Formen der Inszenierung“
Die sozialen Medien ermöglichen das Zeigen von Reichtum nicht nur intensiver, sondern auch selbstbestimmter. Jeder kann selbst entscheiden, was er in die Kamera hält, und ist nicht von Journalisten und ihren Darstellungen abhängig. Instagram etc. bieten ganz neue Formen der Inszenierung. Ein Nebeneffekt dieser Entwicklungen ist, dass die Reichen plötzlich wieder stärker als „Vorbilder“ des Konsums in Erscheinung treten. Interessant daran ist, dass das Zeigen von Luxusgegenständen noch lange nichts darüber aussagt, wie reich derjenige, der sie zeigt, wirklich ist.
Verlieren klassische Statussymbole bei vielen jungen Leuten nicht eh zunehmend an Wert?
Das ist schwierig zu beantworten. Ich denke, wir können aber durch Gruppen wie Occupy Wallstreet eine deutliche Gegenbewegung feststellen. Viele junge Leute sehen, dass beim Streben nach Reichtum Wichtiges auf der Strecke bleibt, und kritisieren von Politik und Finanzmärkten. Sie besinnen sich deswegen ganz bewusst auf Nachhaltigkeit und betrachten monetären Reichtum eben nicht mehr als einzig erstrebenswertes Ziel. Aber das ist nur eine Gruppe, es gibt auch andere, die ganz bewusst die Inszenierung von Reichtum nachahmen.
Seit wann ist der Begriff Reichtum überhaupt an Geld gekoppelt?
In Wörterbüchern finden wir noch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts zwei Begriffsbedeutungen: den geistigen und den monetären Reichtum. Ende des 19. Jahrhunderts wird Reichtum dann aber zunehmend an Geld gekoppelt. Das erklärt sich auch durch die Entstehung der großen bürgerlichen Vermögen in der Zeit der Industrialisierung. Auch der Begriff des Millionärs erlebte erst hier, also in den 1880er-Jahren, seine Blütezeit.
Als nicht mehr nur Adlige reich waren?
Richtig. Vor der Industrialisierung besaß die Aristokratie in großen Teilen die hohen Vermögen in Deutschland, die ja vor allem an Grundbesitz gekoppelt waren und von Generation zu Generation vererbt wurden. Mit der Industrialisierung entstanden dann die großen bürgerlichen Vermögen. Hier war die Quelle eben nicht mehr allein Herkunft und Grundbesitz, sondern Unternehmertum und Finanzwesen. Beispielhaft für solche Karrieren sind die sogenannten Stahlbarone wie Thyssen oder Krupp. Diese neuen Vermögen entstanden von 1880 bis 1890 und setzten sich allein in ihrer Anzahl vom alten Reichtum ab. 1874 gab es in Preußen 170 Millionäre, 1900 waren es bereits 10.000. Reichtum war plötzlich nicht nur eine Sache des Erbes, sondern etwas, das man durch Erfolg, durch Erfindergeist, aber auch durch all die Vor- und Nachteile des Kapitalismus erlangen konnte.
Galten die neuen Millionäre als neureich?
„Interessant bei der Einteilung von altem und neuem Geld ist ja, dass diese Einteilung immer wieder neu definiert wird“
Die Aristokratie empfand die Wirtschaftsbürger teilweise als geschmacklose Emporkömmlinge und entwickelte in dieser Zeit die bereits erwähnte „Kultur der Kargheit“. Gerade jene Teile des Adels, die zum Ende des 19. Jahrhunderts Macht und Reichtum verloren hatten, nutzten diese Praxis der Abgrenzung; Sie stellten Reichtum bewusst nicht mehr zur Schau, wie es dann die großen Industriellen taten, die sich entsprechende Anwesen bauten – etwa die Villa Hügel der Familie Krupp in Essen.
Damit ging auch die moralische Frage einher, wie mit Reichtum umzugehen sei. Interessant bei der Einteilung von altem und neuem Geld ist ja, dass diese Einteilung immer wieder neu definiert wird. In den 1920er-Jahren waren es eben die Thyssens und Krupps, die das alte Geld darstellten und den Neureichen und Profiteuren der Wirtschaftskrise den Umgang mit Geld vorleben wollten.
Was hat die Erkenntnis, dass Reichtum nicht mehr ausschließlich eine Frage der Geburt ist, für Folgen gehabt?
Sie bedeutete Hoffnung, vor allem in Zeiten des Umbruchs. Im Ersten Weltkrieg gingen viele Vermögen verloren, aber es entstanden auch neue. In der Weimarer Zeit erschienen dann zahlreiche Ratgeber, die erklärten, wie man reich werden könne. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es ähnlich – eigentlich immer, wenn es große politische oder wirtschaftliche Zäsuren gab, durch die sich neue Möglichkeiten ergaben. Da wuchs bei vielen die Hoffnung auf Umverteilung.
Auch in den sogenannten Wirtschaftswunderjahren in den 1950ern?
In den 1950er- und 1960er-Jahren war der Aufstieg der sogenannten Neureichen weniger als zuvor an Bildung und Herkunft gekoppelt, mehr an Ideen und geschicktes Unternehmertum. Damals erschien in der Illustrierten Stern eine Serie mit dem Titel „Deutschland – deine Jungmillionäre“. Solche medialen Homestories waren eine Botschaft für die Mitte. Sie versprachen: Jeder kann es schaffen.
In Deutschland reden manche nicht so gern über Geld und zeigen auch den Reichtum nicht. Woher kommt das?
„In vielen Religionen wird Reichtum stigmatisiert“
Die Erklärungen, die wir in der Literatur finden, sind ganz unterschiedlich. Sicher kann man zuallererst auf die starke Bedeutung der Religion in Deutschland verweisen. In vielen Religionen wird Reichtum stigmatisiert. Interessant ist, dass wir nicht nur ein bewusstes Beschweigen des Reichtums von einem Teil der Reichen selber feststellen können, wir haben es auch grundsätzlich mit einem blinden Fleck im Wissen über Reichtum und Reiche zu tun. Es fehlte uns lange Zeit an statistischen Daten oder Forschungen zu Reichtum.
Soziologische Studien sagen, dass dies vor allem daran liegt, dass viele Reiche an den Schaltstellen der Gesellschaft säßen und kein Interesse daran hätten, dass Erhebungen stattfänden. Aber auch vonseiten der Politik können wir immer wieder eine gewisse Zurückhaltung in der Erhebung zum Vermögen feststellen. Bis in die 1960er- Jahre beispielsweise erhob das Statistische Bundesamt keine Statistiken über Einkommen oder Vermögen. Die Vermutung zeitgenössischer Medien war, dass die Unterschiede bewusst ausgeblendet wurden, um den Glauben an die gleichen Startbedingungen nach dem Zweiten Weltkrieg nicht ins Wanken zu bringen. Als dann Mitte der 1960er erstmals Daten zeigten, wie groß die Kluft war, wuchs auch gleich der politische und mediale Protest.
In den USA scheint es genau andersherum zu sein. Da gibt es geradezu mythische Figuren vom großen Gatsby bis zum Wolf of Wallstreet, die ihren Reichtum zur Schau stellen.
Es gibt eben ganz unterschiedliche Reichtumskulturen oder -mentalitäten, wie es die Forschung nennt. Dass der Umgang in Deutschland anders ist, hat auch damit zu tun, dass sich der Reichtum gegenüber der Gesellschaft immer stärker legitimieren musste. Dagegen war und ist der Rechtfertigungsdruck in den USA viel geringer. Hier galt und gilt Reichtum als Zeichen des Erfolgs und diente auch der Bekräftigung der Vorstellung von sozialer Mobilität. Dass Industrielle wie Rockefeller mit Öl, Vanderbilt mit Eisenbahnen oder Hearst mit Zeitungen reich wurden, stärkte den Mythos „Vom Tellerwäscher zum Millionär“.
Ein Versprechen, das es bis heute gibt und das gleichwohl für viele hohl ist.
Es ist ein künstliches Versprechen, eine medial inszenierte Hoffnung. Es gab weder damals noch heute eine Chancengleichheit, die diese Hoffnung für viele rechtfertigen würde. Die Geschichten von Rockefeller, Vanderbilt und Hearst waren Geschichten einzelner Männer, die Medien gerne für die Erzählungen für die breite Masse nutzten.
In den USA haben die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung mehr als 50 Prozent des Gesamtvermögens. Und auch bei uns besitzen immer weniger immer mehr. Was bedeutet das für die Gesellschaft?
Sie haben eigentlich zu jeder Zeit unterschiedliche Studien darüber, inwiefern die Kluft zwischen Arm und Reich größer wird oder abnimmt. In den 1950er-Jahren konstatierten Soziologen eine große soziale Mobilität, bekräftigten Ludwig Erhards Credo vom Wohlstand für alle. Andere hingegen widerlegten diesen sozialen Fahrstuhleffekt. Aufschlussreich ist, dass zu unterschiedlichen Zeiten ganz unterschiedlich über soziale Ungleichheit diskutiert wurde. Das hing immer auch von der gesellschaftlichen und ökonomischen Situation ab. Mit den ersten Rissen im Wirtschaftswunder um 1967 wurden dann auch verstärkt Studien veröffentlicht, die die Chancengleichheit in Frage stellten. Und solch eine Wahrnehmung von Ungleichheit führte schließlich zu einem größeren Legitimationsdruck. Die Politik reagierte mit einer großen Steuerreform, und gesellschaftliche Kräfte wie Kirche und Gewerkschaften diskutierten stärker über Bildungsfragen und forderten mehr Chancengleichheit.
„Mit Kunstsammlungen und Museen war und ist aber immer auch Macht über Wissen darüber verbunden, was zu bewahren ist und was nicht“
Geht mit Reichtum eine soziale Verantwortung einher?
Schon die Entstehung der großen Industrievermögen ging mit der Gründung von Stiftungen oder kulturellem Engagement einher. Große Kunstsammlungen wie die von Thyssen waren nicht nur Investitionsmöglichkeiten, sondern ihre Aufgabe war es, zugleich kulturelle Schätze zu bewahren. Mit Kunstsammlungen und Museen war und ist aber immer auch Macht über Wissen darüber verbunden, was zu bewahren ist und was nicht.
Auch die Art der Geschichtsschreibung kann durch solch eine Gründung bestimmt werden. Die Erbin des Wal-Mart-Konzerns in den USA hat zum Beispiel ein großes Museum zur amerikanischen Kunst gestiftet, bei dem manche kritisierten, dass die Kunst der indigenen Völker darin nicht vorkomme.
Schon Herrscher wie August der Starke haben ihren Ländern durch ihren Kunstsinn zu großer kultureller Blüte verholfen, von der viele Regionen heute profitieren.
Wenn sich Reichtum mit einem gewissen Freisinn verbindet, kann eine Gesellschaft sehr von Spendern und Stiftern profitieren. Aber Kritiker werden immer sagen, dass das alles im Eigeninteresse geschieht, um sich zu inszenieren und sein Vermögen zu vermehren. Vermögen en sind stets auf verschiedene Arten symbolisch aufgeladen, ihre Deutung liegt im Auge des Betrachters.
Ein Beispiel für einen speziellen Umgang mit Geld ist Hamburg. Dort hält sich das wohlhabende Bürgertum viel zugute darauf, dass man sich gesellschaftlich engagiert und das Interesse der ganzen Stadt im Auge hat.
In Hamburg empfinden viele Wohlhabende eine starke soziale Verantwortung für die Stadt, egal ob das Vermögen ererbt oder erarbeitet ist. Es gibt eine lange Tradition der Stiftungen und des Mäzenatentums. Dennoch engagiert man sich dort lieber im Hintergrund. Das mag viel mit einer bewussten Inszenierung des Hanseatischen zu tun haben, vielleicht aber auch damit, nicht Gefahr zu laufen, für seinen Einfluss kritisiert zu werden. Denn Reichtum impliziert immer Macht, immer Zugang zu Ressourcen, immer die Möglichkeit, über andere zu entscheiden. In einem Theaterstück von Volker Lösch am Hamburger Schauspielhaus wurden zu Beginn die Namen der 28 reichsten Hamburger verlesen. Lösch löste damit einen Theaterskandal aus, einige der Betroffenen klagten sogar dagegen.
Dr. Eva Maria Gajek lehrt am Historischen Institut der Universität Gießen und hat zu unserem Thema bereits einiges erforscht. Unter anderem schreibt sie derzeit ein Buch über die „Geschichte des Reichtums von 1900 bis 1970“.
Fotos: Dougie Wallace / institute