Eine junge Frau sitzt in einer vollen Aula, wirkt nachdenklich, während andere um sie herum reden und lachen.

Gossip Girl war harmlos dagegen

Was, wenn die intimsten Chats plötzlich im Netz stehen? In der neuen ARD-Serie „Schattenseite“ geht es um Geheimnisse, Verrat und verhängnisvolle Drohungen einer anonymen Website

Von Shafia Khawaja
Thema: Kultur
17. Oktober 2025

Worum geht’s

Eine Trauerfeier in der Aula – so verstörend beginnt der erste Tag an der neuen Schule für die 18-jährige Nola (Samirah Breuer). Kurz zuvor ist der Schüler Linus gestorben. Während der Gedenkfeier bekommen die Schüler*innen plötzlich Push-Nachrichten. Eine anonyme Website namens „Schattenseite“ droht, alle ihre Geheimnisse zu enthüllen. Als direkt ein intimes Video von ihrem Mitschüler Flavio (Marven Gabriel Suarez-Brinkert) geleakt wird, ist klar: Niemand ist sicher. Zusammen mit Außenseiter Corvin (Florian Geißelmann) versucht Nola herauszufinden, wer dahintersteckt, bis sie selbst auf einmal persönliche Drohnachrichten bekommt. 

Worum geht’s eigentlich?

Um viele schwere Themen – alle Probleme und Geheimnisse, die die Schüler*innen mit sich herumtragen: Mobbing, Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt. Auch mentale Gesundheit spielt eine zentrale Rolle. Essstörungen, Panikattacken, Alkohol- und Drogenmissbrauch werden ehrlich und ungeschönt gezeigt.

Gleichzeitig stellt die Serie die Frage, was Privatsphäre in der digitalen Welt überhaupt noch bedeutet. Einfache Antworten gibt es dabei nicht, auch weil die Offenbarungen der „Schattenseite“ zumindest vereinzelt auch Ungerechtigkeiten offenlegen – etwa weil sie extremes Mobbing anprangern. Allerdings wird auch gezeigt, wie einfach Videos aus dem Kontext gerissen oder gezielt manipuliert werden können. Beim Zuschauen schwankt man einerseits zwischen Mitgefühl und Empörung über den Eingriff in die Privatsphäre und andererseits dem Wunsch, dass einige Geheimnisse doch ans Licht kommen, damit Figuren Hilfe bekommen oder sich den Konsequenzen ihrer Taten stellen müssen. 

Ein junger Mann sitzt an einem Esstisch und blickt ernst, während zwei Erwachsene ihm gegenübersitzen

Irgendwann werden die Probleme von Corvin so groß, dass auch die Eltern mitmischen

Wie ist es erzählt?

Mit vielen Flashbacks, Plot-Twists und unterschiedlichen POVs – genau deshalb bleibt man dran. „Schattenseite“ erinnert dabei an die spanische Netflix-Serie „Élite“: eine Mischung aus Teenie-Soap und Thriller, die Todesfälle, Klassenunterschiede und ungesunde Beziehungen thematisiert. Man fragt sich, ob Linus sich wirklich selbst umgebracht hat, was der wahre Grund für Nolas Umzug ist und wessen Geheimnis als Nächstes auffliegt. Manchmal will die Serie aber zu viel: Viele Handlungsstränge werden angerissen, aber nicht alle konsequent zu Ende erzählt.

In ihrer Bildsprache ist die Serie dafür stark: Statt vieler Schnitte gibt es lange Einstellungen und Schwenks, was das Geschehen unmittelbarer macht. In einer Szene sitzen sich Nolas Mitschülerin Patricia (Tanya Nguyen) und ihre Mutter (Thuy-Van Truong) gegenüber, während des Gesprächs bleibt die Kamera überwiegend in der Totale, also in einer weiten Einstellung, erst spät wird zu den Gesichtern geschnitten. Die Distanz zwischen beiden Figuren wird so auch visuell spürbar. 

Gut zu wissen:  

„Schattenseite“ basiert auf dem gleichnamigen Roman des Content-Creators Jonas Ems von 2019. Gemeinsam mit der Autorin Hanna Hribar hat Ems auch das Drehbuch entwickelt. Regie geführt haben Özgür Yıldırım, bekannt für die Serie „4 Blocks“, und Alison Kuhn, die auch schon die Serie „Druck“ inszeniert hat. 

Zwei junge Männer in roten Basketballtrikots stehen sich gegenüber, im Hintergrund sprechen weitere Spieler

Basketballstar Simon steht doppelt unter Druck. Yannik erzählt ihm von den Talentscouts auf der Tribüne während ihm die Drohung der „Schattenseite“ im Nacken sitzt.

Wie verstörend ist „Schattenseite“? 

Es gibt auf jeden Fall Szenen, die irritieren. In der ersten Folge etwa feiert eine Schülerin ihren Geburtstag auf einem alten Fabrikgelände. Auch zwei Lehrkräfte sind eingeladen, die mit den Schüler*innen Shots trinken. Als wäre das nicht befremdlich genug, gibt es zwei sexuelle Beziehungen, die so ungleiche Machtverhältnisse haben, dass beim Zuschauen mehrere „WTF“-Momente entstehen und man ungläubig vor dem Bildschirm sitzt. 

Was außerdem unlogisch und frustrierend ist: Alle wissen, dass sie jederzeit gehackt werden können, intime Fotos und Chats wurden bereits geleakt. Trotzdem führt das nicht unbedingt dazu, dass die Schüler*innen vorsichtiger kommunizieren. 

Lohnt es sich? 

Ja, auf jeden Fall! Die Serie ist spannend und lässt sich perfekt an einem Wochenende durchbingen – schließlich will man wissen, wer hinter der „Schattenseite“ steckt. Außerdem überzeugen die Charaktere: Die Serie zeigt BiPoC-Figuren und queere Beziehungen so selbstverständlich, dass es nie den Eindruck macht, als hätte zwanghaft eine „Diversity“-Checkbox erfüllt werden müssen. Nolas Panikattacken wirken authentisch, auch Sprache und Styling sind nah am Zeitgeist: Der wohlhabende Simon (Ludger Bökelmann) zum Beispiel trägt Nagellack und Perlenkette und passt damit in das in letzter Zeit häufig diskutierte Bild eines „performativen, feministischen Mannes“, also eines Mannes, der sich aufgeklärt gibt, um Frauen zu gefallen. 

Auch wenn manches überzeichnet wirkt, gelingt es der Serie, den moralischen Zwiespalt der Figuren sichtbar zu machen. Da ist zum Beispiel der trauernde Bruder und fürsorgliche Freund, der zugleich seine Partnerin betrügt und seine Mitschüler nötigt. Genau diese Vielschichtigkeit macht die Serie sehenswert: Sie erzählt vom Alltag der Gen Z, ohne in belehrendes Schwarz-Weiß-Denken zu verfallen. 

„Schattenseite“ ist ab dem 17. Oktober in der ARD-Mediathek zu sehen.

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Fotos: ARD Degeto Film/HR/funk/Dreamtoo