Dickes Geschäft
Wie Übergewicht und Schlankheitswahn das große Geld in ein dänisches Küstenstädtchen spülen
Wenn es heute noch so etwas gibt wie eine Goldgräberstadt, dann ist es Kalundborg in Dänemark. Hier ist das Gold flüssig, farblos und wird stark verdünnt in Spritzen abgefüllt. Millionen davon werden in die Welt verschickt, und Milliarden dänische Kronen kommen zurück. Denn hier produziert das Pharmaunternehmen Novo Nordisk die Medikamente Wegovy und Ozempic, die viele zum Abnehmen verwenden.
Das Angebot klingt unwiderstehlich: Ein Pieks pro Woche, und das Fett schmilzt förmlich von den Hüften, bei Menschen mit großem Übergewicht bis zu 15 Prozent des Körpergewichts innerhalb eines Jahres. Der Wirkstoff der Spritzen: Semaglutid. Er ahmt die Wirkung eines Darmhormons nach, stabilisiert den Blutzuckerspiegel, hält Nahrung länger im Magen und löst im Gehirn ein Gefühl der Sättigung aus.
Ozempic ist eigentlich für die Behandlung von Typ-2-Diabetes gedacht, Wegovy für Adipositas, eine chronische Krankheit, bei der Patientinnen und Patienten übermäßig viel Körperfett ansammeln. Den Hype um die Spritzen haben aber nicht Menschen ausgelöst, die krank sind, sondern chronisch reich und berühmt. Promis wie Elon Musk oder Amy Schumer. Auch Robbie Williams spritzte ein Ozempic-ähnliches Medikament. Über seinen Gewichtsverlust sagte er: „Es ist wie ein Weihnachtswunder.“
Europas teuerstes Unternehmen
Das Zitat könnte aus der Presseabteilung von Novo Nordisk stammen. Das Unternehmen verkauft die Monatsdosen von Ozempic und Wegovy in Deutschland für bis zu 300 Euro, in den USA für sehr viel mehr, und hat damit in den vergangenen Jahren Milliardengewinne gemacht. Im Sommer 2024 galt Novo Nordisk mit 600 Milliarden Euro Börsenwert als wertvollstes Unternehmen Europas und war mehr wert als das gesamte Bruttoinlandsprodukt Dänemarks.
Der Schwarzmarkt für Wegovy und Ozempic brummt: Legal kriegt man beide Mittel in Deutschland nur auf Rezept. Ozempic übernimmt zur Diabetesbehandlung meist die Krankenkasse, Wegovy muss in der Regel selbst gezahlt werden. Beide können Nebenwirkungen haben, die Langzeitfolgen werden noch untersucht.
Seinen Hauptsitz hat Novo Nordisk nahe Kopenhagen, produziert wird aber vor allem 100 Kilometer westlich, in Kalundborg, einer Kleinstadt an der Küste. Es gibt ein kleines Barockschloss in der Nähe, einen großen Hafen, sehr viel Backstein, knapp 17.000 Menschen. Manche Dänen nennen Kalundborg Novosibirsk. Wegen der Firma, klar, und weil der Ort für dänische Verhältnisse so abgelegen ist wie das echte Nowosibirsk in Sibirien.
Die ewige Suche nach Schönheit hat Kalundborg schon mal Wohlstand gebracht, in den 1960er- und 1970er-Jahren, als hier elektrische Lockenwickler, die „Carmen Curlers“, produziert wurden. Die Wickler gingen, Novo Nordisk kam – und baute. Aus einer Fabrik wurde eine Stadt neben der Stadt, laut Medienberichten sind die Preise für Grundstücke und Mieten in Kalundborg explodiert.
Bald laufen die Patente aus
Millionen Menschen setzen sich die Spritzen von Novo Nordisk, vor allem in den USA. Aber der Konzern verliert Marktanteile: Die Spritzen der US-Konkurrenz sind mittlerweile gleichwertig oder sogar wirkungsvoller, und Wegovy und Ozempic könnten bald teurer werden, weil US-Präsident Trump mit hohen Zöllen auf Importe aus Dänemark droht. Dazu läuft 2026 auf den ersten Märkten das Patent für den Erfolgswirkstoff Semaglutid aus, zum Beispiel in China und Kanada. Dann können die dänischen Spritzen massenhaft und günstig nachgebaut werden. Laut klinischen Studien werden in China derzeit mindestens 15 Mittel dieser Art entwickelt.
Novo Nordisk versucht, seinen Goldrausch mit einem neuen Medikament am Laufen zu halten. Das Mittel Cagri-Sema enthält neben Semaglutid einen weiteren hormonähnlichen Wirkstoff. Im Test ließ es adipöse Patienten ohne Diabetes im Schnitt ein Fünftel ihres Körpergewichts abnehmen. Das wäre mehr als alle anderen Novo-Nordisk-Mittel bisher, aber weniger als erhofft. Seit dem Höhepunkt des Hypes 2024 sind die Gewinnerwartungen und der Wert der Novo-Nordisk-Aktie um mehr als die Hälfte eingebrochen.
Novosibirsk soll trotzdem wachsen. Novo Nordisk will mehr Ozempic und Wegovy produzieren, viel mehr, und baut den Standort Kalundborg milliardenschwer aus: Neue Fabrikgebäude und neue Wohnhäuser entstehen, sogar ein kleiner Uni-Campus. Gelehrt und geforscht wird, natürlich, im Bereich Biotechnologie. Schließlich wächst der Markt. Weltweit gelten mehr als eine Milliarde Menschen als adipös, Tendenz steigend. In der Küstenstadt selbst auch. Laut BBC sind hier besonders viele Kinder übergewichtig.
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Titelbild: Ashley Markle/Connected Arcives