Sollten wir Meta boykottieren?
Mark Zuckerberg kumpelt mit Donald Trump rum und auch sonst ist vieles fragwürdig am Internetkonzern Meta. Ist es Zeit, auf Instagram, WhatsApp und Facebook komplett zu verzichten? Wir streiten
Ja, ein Abschied von Meta ist eine gute Idee! Gerade jetzt
findet Ingo Dachwitz
Die Liste guter Gründe dafür ist so lang wie die Geschichte des Meta-Konzerns voller Skandale und halb garer Entschuldigungen. Spätestens seit den Facebook-Papers der Whistleblowerin Frances Haugen ist bekannt: Selbst interne Untersuchungen attestieren dem Konzern, dass seine Dienste sich toxisch auf die Psyche vieler Menschen auswirken und den gleichen Effekt auch auf die demokratische Öffentlichkeit haben können.
Ich denke: Meta nimmt das nicht nur in Kauf, sondern befeuert es sogar aktiv durch Entscheidungen wie die mangelnde Moderation in seinen sozialen Netzwerken.
Die mangelnde Moderation heizt Konflikte an
Was schon in Staaten mit einer gefestigten demokratischen Öffentlichkeit zu Problemen führt, kann in politisch fragileren Regionen geradezu verheerend wirken. So zum Beispiel in Myanmar oder Äthiopien, wo Metas mangelnde Moderation wahrscheinlich dazu beigetragen hat, blutige Konflikte anzuheizen. Politische Gruppen konnten Metas Dienste nahezu ungehindert nutzen, um zur Gewalt gegen ethnische und religiöse Minderheiten aufzurufen. In Vietnam wiederum arbeitet Meta laut Frances Haugens Enthüllungen direkt mit der staatlichen Zensur zusammen, um nicht den Zugang zu einem lukrativen Markt zu verlieren.
Dass der Konzern in einer expliziten Annäherung an die neue US-Regierung von Präsident Donald Trump nun auch in den USA das Fact-Checking abschafft und die Moderationsregeln abschwächt, ist da nur konsequent. Viele Moderator:innen, die der Konzern beschäftigt, klagen unterdessen seit Jahren über ausbeuterische Arbeitsbedingungen. Angestellt sind sie fast alle bei Outsourcing-Firmen. Ihre Arbeitsbedingungen verglichen kenianische Moderator:innen, von denen einige auch für Meta arbeiteten, 2024 in einem Hilferuf an die US-Regierung mit „moderner Sklaverei“. Es war das Jahr, in dem Meta über 62 Milliarden Dollar Gewinn gemacht hat.
Metas „Addictive Design“ macht den Absprung so schwer
Wenn ich Menschen davon erzähle, dass ich Instagram gelöscht habe – WhatsApp und Facebook sowieso –, erzählen mir viele von ihren eigenen Erfahrungen bei dem Versuch. Oft berichten sie von ihrem Scheitern. Die meisten kehren irgendwann wieder zu Meta zurück. Das ist kein Zufall: Techkonzerne beschäftigen Heere von Verhaltensforscher:innen, die permanent mit uns herumexperimentieren, um herauszufinden, wie sie uns noch abhängiger machen können. Zum sogenannten „Addictive Design“ gehören Mechanismen wie hyperpersonalisierte Empfehlungsalgorithmen, die jede Gefühlsregung von uns analysieren, und die immer neu aufploppenden Benachrichtigungen, die das Belohnungszentrum im Gehirn aktivieren. Auch die Erfindung des „Infinite Scroll“ gehört dazu, also Timelines, bei denen wir nie das Ende erreichen, sondern immer noch mehr Neues gezeigt bekommen. Metas größer Trumpf ist unsere Angst, etwas zu verpassen.
Ein Abschied von den Meta-Plattformen kann ein sehr konkreter Schritt sein, dem Ohnmachtsgefühl etwas entgegenzusetzen. Kein Imperium hält ewig, und wir alle können etwas zu seinem Sturz beitragen. Doch mit individuellem Verzicht allein werden wir das Problem nicht lösen. Wir brauchen deshalb auch eine wirksame Tech-Regulierung, wie die EU sie derzeit probiert. Und wir brauchen bessere soziale Medien, die nicht nur nach kommerzieller Logik funktionieren.
Nein! Soziale Plattformen müssen reguliert werden, nicht boykottiert
sagt Carla Siepmann
Dass Mark Zuckerberg sich bei Donald Trump anbiedert und dabei etwa für bestimmte Themen wie Gender und Migration die Moderationsmöglichkeiten zurückschneidet, ist kein Zufall. Vielmehr ist das Teil einer ebenso vorhersehbaren wie altbekannten Strategie: Unternehmer hofieren weltliche Machthaber in der Hoffnung, durch sie begünstigt zu werden, wirtschaftlich wie politisch.
Plattforminhaber unterwerfen sich politisch regelrecht, um Vorteile – wie Freiheit von Regulation – zu erhalten. Dafür opfern sie die Freiheit der Nutzer:innen auf ihren sozialen Plattformen, sie werden zu ihrem Verhandlungsgut: weg von korrekten Informationen und demokratischem Diskurs, hin zu Manipulation durch unmoderierte Desinformation und Platz für rechte Mobilisierung. Unternehmen verfolgen mit ihren Plattformen wirtschaftliche Zwecke und nicht das Ziel, die Demokratie zu erhalten.
Wer sich zurückzieht, macht Platz für Kräfte, die das Netz zur Verbreitung autoritärer Ideen nutzen
Ein Teil der Nutzer:innen verlässt deshalb die großen Meta-Plattformen und wechselt zu dezentralen Alternativen mit besserem Datenschutz und Moderation. Doch das löst das Problem nicht. Es überlässt die zentralen Netzwerke denen, die sich an demokratischen Werten stören. Wer sich zurückzieht, macht Platz für Kräfte, die das Netz zur Verbreitung autoritärer Ideen nutzen. Elon Musks Onlineplattform X hat vorgemacht, wie schnell eine Plattform kippen kann, wenn Tech-Oligarchen dort unreguliert ihre politische Agenda verbreiten können.
Soziale Netzwerke sind längst mehr als bloße Unterhaltungsplattformen. Sie sind Teil des öffentlichen Raums: Wir informieren uns und andere durch sie, kommunizieren über sie, bilden mit ihrer Hilfe politische Meinungen und gar Mehrheiten. Wir gebrauchen soziale Medien heute so alltäglich, wie wir Straßen nutzen, sie sind als Informationsquelle mindestens so wichtig wie Fernsehen, Radio und Zeitungen geworden, und vielleicht kommunizieren wir mit unseren Freunden mittlerweile mehr über Instagram-Direktnachrichten als im persönlichen Gespräch. Genau deshalb dürfen wir sie nicht den Interessen von Tech-Milliardären überlassen.
Es braucht demokratische Regeln – die auch durchgesetzt werden
Soziale Netzwerke sind öffentliche Infrastruktur. Deshalb müssen sie reguliert und nach demokratischen Regeln betrieben werden. Der Digital Services Act (DSA) der EU schafft für Nutzer mit Niederlassungsort oder Sitz in der EU eine Grundlage dafür: mehr Transparenz, klarere Verantwortung, weniger Willkür. So müssen Plattformen etwa zugängliche Möglichkeiten anbieten, Content zu melden, sowie das interne Beschwerdemanagementsystem nach bestimmten Kriterien ausgestalten und die Meldeverfahren offenlegen. Fällt einer Nutzerin etwa ein illegaler Inhalt auf, muss sie diesen über ein nutzerfreundliches Beschwerdesystem melden können und über das Ergebnis der Prüfung informiert werden.
Diese Regeln müssen auch durchgesetzt werden; konsequent und rechtssicher. Nur so können digitale Plattformen als öffentliche Infrastruktur erhalten werden. Der DSA macht vor, wie demokratische Gesetzgeber Tech-Oligarchen in die Schranken weisen können – das sollte öfter und mutiger geschehen.
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Collage: Renke Brandt